Limitarismus: Warum niemand mehr als 10 Millionen Euro braucht
Grenzen für extreme Vermögen sind wieder in der Diskussion. Aber warum sollten die Reichsten das akzeptieren? Teil 2 und Schluss.
Die weltweite Vermögensungleichheit hat ein beispielloses Ausmaß erreicht. Auch in Deutschland. Extreme Reichtümer stehen in scharfem Kontrast zu existenzieller Armut. Das hat bedeutende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Individuen, auf den sozialen Frieden, auf die Gesundheit, auf die soziale Mobilität.
Bereits Denker wie Platon und Aristoteles erkannten, dass ein Gleichgewicht zwischen Mindest- und Höchstvermögen notwendig ist, um gesellschaftliche Stabilität zu gewährleisten, wie in Teil 1 dargelegt.
Es ist Zeit, solche Ideen neu zu überdenken und konkrete Lösungen zu suchen.
Die niederländische Wirtschaftswissenschaftlerin und Ethikprofessorin Ingrid Robeyns schreibt in Ihrem grundlegenden Werk mit dem Titel "Limitarismus" über ihre Forschung zu dem Thema:
Auf meinem weiteren Weg zeigte sich deutlich, dass extremer Reichtum nicht nur praktische und politische, sondern auch moralische Probleme schafft. Die Legitimität von Ungleichheit und vor allem von extremem Reichtum einzuschätzen bedeutete, sich einer Reihe von grundlegenden philosophischen Fragen zu stellen.
Wie sehen wir uns als Menschen?
Wie verstehen wir unser Verhältnis zu anderen in der Gesellschaft?
Welche Verantwortung haben wir für vulnerable Menschen und die Bereitstellung öffentlicher Güter?
Und was sollen wir mit den Rechtfertigungen extrem reicher Menschen anfangen, warum sie so viel Geld und Macht besitzen?
Alles hat eine Grenze
Nach einem Jahrzehnt der Untersuchung kommt Robeyns zu dem Schluss, dass es keine Extrem-Reichen geben dürfe und daher eine Obergrenze für Einkommen, aber insbesondere Vermögen notwendig sei:
Wenn man will, dass niemand in Armut lebt, und zu viel Ungleichheit für schlecht hält, folgt daraus, dass es eine Obergrenze für das Vermögen geben muss, wie viel eine Person besitzen darf.
Drei Gegenargumente
Robeyns steht heute mit Ihrem Lösungskonzept des Limitarismus keineswegs alleine. Auch der US-amerikanische Soziologe Tom Malleson macht sich in "Against Inequality" hierfür stark, ebenso wie die Journalistin Julia Friedrichs in "Crazy Rich", einer Untersuchung über Superreiche in Deutschland.
Robeyns nennt drei Einwände, die ihr gegenüber immer wieder erhoben werden, wenn sie die Idee einer Obergrenze für Einkommen und Vermögen vorschlägt:
• Nicht Ungleichheit, die damit bekämpft werde, sei das eigentliche Problem, das es zu lösen gelte, sondern vielmehr Armut
• Eine Obergrenze widerspreche fundamental der Idee der Meritokratie
• Eine Obergrenze stehe im Widerspruch zur Motivation, die die Aussicht auf außergewöhnlich hohe Gewinne erzeugt.
1. Einwand: Armut nicht Ungleichheit
An anderer Stelle hatte der Autor auf Telepolis bereits darauf hingewiesen, dass ein sehr beliebtes Argument, gegen eine nähere Beschäftigung mit dem Ausmaß der Ungleichheit darin besteht, Armut als eigentliches Problem zu benennen.
Entsprechend zentral ist auch der Kampf gegen Armut für viele Philantrokapitalisten, wohingegen man bei ihnen den Kampf für eine Verringerung der Ungleichheit meist vergeblich sucht. Selbstverständlich hat es einen unschlagbaren Vorteil für Milliardäre und Superreiche, einzig das Problem der Armut ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen.
Denn dadurch wird keine Frage am Ausmaß des eigenen Reichtums und der moralischen Rechtfertigung dafür laut, dass Jahr für Jahr die Vermögen des obersten Prozents und des obersten Promille kräftig zulegen, wohingegen der Rest der Gesellschaft fast nichts von dem größer gewordenen Kuchen erhält. Daher betont Robeyns:
Die Frage, die wir uns wirklich stellen sollten, lautet: Wie wurden die Gewinne der Globalisierung verteilt? Es genügt nicht, zu fragen, ob wir in einer Win-Win-Situation sind. Vielmehr müssen wir wissen, ob es sich um eine faire Win-Win-Situation handelt und sogar, ob es die beste aller möglichen Win-Win-Situationen ist.
Das Hauptproblem, das Thema der massiven Ungleichheit galant zu umgehen, indem man sich einzig auf Armut fokussiert, führt auch zu den zahlreichen desaströsen Nebenwirkungen auf Demokratie, Gesellschaft sowie körperlicher und mentaler Gesundheit der Menschen, wie sie im ersten Teil der Artikelserie aufgezeigt worden sind.
Daher kann eine Linderung der Armut, so wichtig das Thema auch ist, keine Antwort auf das grundlegende Problem von Armut und massiver Ungleichheit sein.
2. Einwand: Widerspruch zur Meritokratie
Das Konzept der Meritokratie, das eng mit dem Thema der Chancengleichheit verbunden ist und den Kern des amerikanischen Traums bildet, stellt sicherlich das Zentrum des Arguments für die unbegrenzte Zunahme der höchsten Einkommen und Vermögen dar.
Wie fragwürdig und in gewisser Hinsicht auch gefährlich dieses Konzept ist (und nicht zuletzt wie wenig die gesellschaftliche Realität mit der angeblich vorherrschenden Meritokratie übereinstimmt), legt der US-amerikanische Philosoph Michael Sandel in seinem lesenswerten Buch "Vom Ende des Gemeinwohls" dar.
Ein weiterer Punkt: Ein Blick auf die reichsten Deutschen offenbart, dass das Argument der Meritokratie kaum etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat. Höchstens ein Drittel der 100 reichsten Deutschen haben ihren Reichtum durch eigenes Unternehmertum erarbeitet.
Ob die außergewöhnlich vermögenden Menschen auch außergewöhnlich hart gearbeitet haben, bleibt dabei mehr als fraglich. Morris Pearl, ehemaliger Hedgefond-Manager bei Black Rock, Multimillionär und Mitbegründer der "Patriotic Millionaires", die sich für eine höhere Besteuerung der reichsten Menschen einsetzt, erklärt:
Habe ich besonders schwer gearbeitet? Vielleicht ein bisschen, manchmal. Meine Arbeit bestand meist daraus, im Büro zu sitzen, E-Mails zu lesen und zu schreiben und zu telefonieren. Habe ich härter gearbeitet als der Mann, der im Schnee die Feuerwehrschläuche an den Hydranten anschließen muss, oder die Frau, die den ganzen Abend volle Bierkrüge schleppen muss? Nicht wirklich.
Nick Hanauer (dessen Vermögen auf rund eine halbe Milliarde US-Dollar geschätzt wird) gesteht frank und frei: "Ich bin nicht der klügste Kerl, den Sie je getroffen haben, oder der fleißigste."
Aber auch der gesunde Menschenverstand sollte ausreichen, um zu belegen, dass etwa ein "gewöhnlicher" Einkommensmillionär wohl kaum 20-mal härter arbeitet als eine Krankenschwester oder ein Pfleger. Die Frage an dieser Stelle ist natürlich, was ist ein Beruf wert und wer bestimmt es auf welche Weise.
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Gemeinschaftsleistung
Vielleicht das wichtigste Argument gegen Meritokratie, die kühl jedes Ausmaß von Reichtum akzeptiert, weil es "verdient" sei, führt Robeyns an:
Extremer Reichtum baut immer auf einem Fundament auf, das andere geschaffen haben.
Man denke nur an den komplett steuerfinanzierten Rechtsstaat, der mit seiner Rechtssicherheit und seinem verlässlichen Rechtssystem Eigentum und Patente schützt, ohne die Superreiche einfach nur ein Stück Papier in der Hand halten würden, anstatt eines endlosen Geldstroms.
Robeyns gibt hierfür ein hilfreiches Gedankenspiel:
Angenommen, ein Schiff mit hundert Passagieren an Bord havariert auf halber Strecke zwischen zwei Inseln. In einem Szenario schaffen es die Passagiere, eine einsame Insel ohne jede Infrastruktur und bestehende Zivilisation zu erreichen.
Im anderen gelangen sie auf eine Insel, auf der die gesamte Infrastruktur, Technologie und alle komfortablen Einrichtungen eines reichen Landes des 21. Jahrhunderts vorhanden sind – nur haben alle Menschen diese zweite Insel einen oder zwei Tage zuvor wie durch ein Wunder verlassen (in Gedankenexperimenten ist so etwas möglich; vielleicht sind sie alle gerade aufgebrochen, um die Galaxie zu erobern).
Wie viel materiellen Wohlstand könnte dieselbe Gruppe Schiffbrüchiger in ihrem Leben auf der ersten beziehungsweise auf der zweiten Insel schaffen?
Der Unterschied wäre enorm. Das zeigt, wie viel von unserem Wohlstand davon abhängt, was vorherige Generationen für uns entwickelt haben. Wir können keinen Wohlstand schaffen, ohne auf den Schultern unserer Vorfahren zu stehen, und das heißt, so viel Unternehmensgeist wir auch besitzen mögen, unser eigener Beitrag zu unserem Erfolg ist begrenzt.
So beliebt der Begriff auch sein mag: Einen Self-made Millionär gibt es nicht.
Reich von alleine
Ein Hauptargument gegen die Überzeugung, dass extrem hoher Reichtum "verdient" und damit auch gerecht sei, besteht darin, dass aufgrund des Finanzmarktes, ab einer gewissen Höhe des Vermögens deutlich höhere Gewinne – ohne besonderes Risiko – möglich sind, die dem Normalsterblichen verwehrt bleiben.
Mit anderen Worten: Ab einer bestimmten Vermögenshöhe steigt der prozentuale Gewinn am Finanzmarkt deutlich an und beginnt die Teilnahme am Finanzmarkt Sinn zu machen.
Fondsmanager Andreas Beck, der rund eineinhalb Milliarden Euro verwaltet, erklärt im Interview mit der Zeit, dass seine Taktik darin bestehe, in Normalphasen Geld breit zu streuen, um dann in Krisenzeiten davon zu profitieren und besondere Renditechancen zu nutzen. Beck gibt zu:
Das ist das Unfaire am Kapitalmarkt. Die Strategie funktioniert nur für vermögende Menschen. Deswegen werden die Reichen immer reicher.
Wenn ich im Krisenfall innerhalb von drei Wochen auf mein Geld zugreifen muss, weil ich sonst die Miete nicht zahlen kann, dann hilft mir das nicht. Ansonsten bedeutet eine ultrastabile Geldanlage aber vereinfacht gesagt, dass Zeit Geld ist.
Oder um Brecht zu zitieren: Ist am Anfang genug Geld da, ist das Ende meistens gut.
Von Meritokratie weit und breit keine Spur.
3. Einwand: Obergrenze gefährdet Motivation
Die Überzeugung, extrem reiche Menschen würden nicht mehr ausreichend motiviert und damit weniger produktiv sein, wenn es eine Obergrenze für ihr Einkommen eingeführt würde, krankt gleich an mehreren Stellen.
Es mag eine weitverbreitete Vorstellung sein, Menschen seien einzig durch Geld – also extrinsisch – motiviert, aber diese traurige Annahme widerspricht schlicht der Forschung über das Wesen der Motivation komplett und wird empirisch nicht einmal im Ansatz belegt. Hingegen gibt es eine ganze Reihe von Experimenten, die etwa die negativen Auswirkungen auf Motivation und Produktivität von sehr hohen Boni zeigen.
Bei der scheinbaren Gewissheit, nur möglichst hohe Geldsummen würden motivieren, mag sich der gesunde Menschenverstand wieder einmal sich etwas verwundert die Augen reiben: Extrem reiche Menschen sind also für ihre Arbeit nur dann ausreichend motiviert, wenn sie extrem hohe Löhne einfahren können, die sich möglichst jedes Jahr deutlich erhöhen?
Und wenn der Lohn einmal nicht weiter explodiert, begeben sie sich in die innere Arbeitsverweigerung? Die Vermutung kann nur ein Armutszeugnis für die betreffende Arbeit oder die betreffenden Menschen sein. Oder beides.
Das Argument hält nicht einmal einer oberflächlichen Überprüfung stand. Ein Beispiel: Jeroen van der Veer, ehemaliger CEO von Shell, erhielt im Jahr der Finanzkrise von 2008 ein Gehalt von 10,3 Millionen Euro. Er betont, dass die unterschiedlichen Gehaltsniveaus keinen Einfluss auf seine Leistung hatten:
Wenn man mir 50 Prozent mehr gezahlt hätte, hätte ich es nicht besser gemacht. Hätte man mir 50 Prozent weniger gezahlt, hätte ich es nicht schlechter gemacht.
Eine Frage der Moral
Robeyns ist der Ansicht, dass extremer Reichtum moralisch nicht zu rechtfertigen ist. Insbesondere Schenkungen und Erbschaften großer Vermögen bilden ein besonderes Problem der moralischen Rechtfertigung. Das Volumen von Erbschaften und Schenkungen ist gigantisch.
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2017 kommt zu dem Ergebnis:
Im Zeitraum bis 2027 wird das jährliche Erbvolumen in Deutschland inklusive Schenkungen bis zu 400 Milliarden Euro betragen.
Amtliche Statistiken darüber, wie viel genau vererbt oder verschenkt wird, gibt es bezeichnenderweise nicht. Das Statistische Bundesamt dokumentiert nur die steuerlich veranlagten Fälle. Deutschland nimmt im Schnitt lediglich etwa drei Prozent Erbschaftssteuer ein.
Die deutlich zunehmende Ungleichheit wird daher vererbt und massiv unterschiedliche Startchancen werden in die Wiege gelegt, während zugleich viele nicht müde werden, von Meritokratie zu sprechen.
Ein weiteres moralisches Problem aus Sicht von Ingrid Robeyns: Ein Teil von Superreichen und Milliardären ist auf mehr oder minder dubiose oder semi-kriminelle Weise an ihr Vermögen gekommen. Als Beispiel hierfür gibt sie Familien an, die in den USA im Zusammenhang mit dem Sklavenhandel zu ihrem Reichtum gekommen sind und auch heute noch in den Vermögensrankings vorne mitspielen.
Oder Familien in Deutschland, die im Zusammenhang mit dem Dritten Reich, den Konzentrations- und Arbeitslagern sowie der Übernahme von jüdischem Vermögen extrem viel Geld anhäufen und für sich arbeiten lassen konnten.
Ein dritter Aspekt, moralische Zweifel an extrem großen Vermögen zu erheben, ist die unverhältnismäßig starke Möglichkeit, das eigene Vermögen dazu zu nutzen, Politik im eigenen Sinne zu gestalten und dadurch noch reicher zu werden oder die Steuerpolitik dergestalt zu beeinflussen, dass Steuervermeidung noch einfacher wird. Laut der Untersuchung von Julia Friedrichs zahlen deutsche Superreiche im Schnitt eine Steuerlast von einem Prozent haben.
Gift für die Gesellschaft
Während Deutschland ein Hochsteuerland für Arbeitnehmer ist, ist es für sehr hohe Einkommen und Vermögen ein Niedrigsteuerland. Milliardäre und Superreiche haben eine geringere Steuerlast als der Durchschnittsdeutsche zu stemmen. Hierbei zudem ein besonderer Faktor: Steuervermeidung und Steuerhinterziehung.
Laut einer Studie der University of London verliert Deutschland wegen Steuerhinterziehung 125 Milliarden Euro. Jährlich.
Einnahmeverluste durch die Steuervermeidung von Unternehmen belaufen sich laut Schätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf bis zu 30 Milliarden Euro. Jährlich.
Durch die ungleiche Verteilung der Steuerlast, die der Grundidee einer progressiven Steuer radikal zuwiderläuft, entsteht ein grundlegendes gesellschaftspolitisches Problem dadurch, dass viele sogenannte Superreiche kaum Interesse am Gemeinwohl und eine Exit-Strategie in der Hand haben, wenn es dem gemeinen Volk zu schlecht gehen und eine Katastrophe drohen sollte.
Der Medienwissenschaftler Douglas Rushkoff hat dies in "The Survival of the Richest" sehr eindringlich beschrieben und in einem Interview mit dem Deutschlandfunk erklärt.
Grenze
Bei der Konkretisierung des Limitarismus schlägt Robeyns vor, drei unterschiedliche Begrenzungen zu berücksichtigen:
Der Limitarismus unterscheidet drei Schwellen: die Wohlstandsobergrenze, die ethischen Grenze und die politischen Grenze. Das verkompliziert die Geschichte, die ich erzählen möchte zwar etwas, ein wenig, aber diese Unterscheidungen sind wichtig. (…)
Die Wohlstandsobergrenze ist das Niveau, ab dem zusätzliches Geld den Lebensstandard nicht mehr verbessern kann, zumindest nicht signifikant. (...)
Die ethische Obergrenze bezeichnet das maximale Niveau an Geld, das man aus moralischen Gründen besitzen sollte. Oberhalb dieser ethischen Grenze können wir es nicht mit gutem Gewissen rechtfertigen, das überschüssige Geld zu behalten. (...)
Die politische Grenze ist die für eine Person geltende Vermögensobergrenze, die der Staat als Ziel für seine Sozial- und Fiskalsysteme ansetzen sollte. Oberhalb dieser Schwelle ist Vermögen, nach meiner Ansicht, unmoralisch. Staaten sollten versuchen, durch politische Maßnahmen und institutionelle Gestaltung dafür zu sorgen, dass niemand mehr Geld anhäuft.
Das muss sich nicht zwangsläufig in einem Steuersatz von 100 Prozent auf das Einkommen oberhalb der politischen Grenze übersetzen. Idealerweise sollte ein Paket diverser Maßnahmen die Konzentration extremen Reichtums verwässern.
Allerdings sollte aber diese Schwelle nicht als unrealistisch aufgefasst werden, sondern eine möglichst harte Grenze sein.
Vorschlag
Beim Ansatz, eine konkrete Obergrenze für das Vermögen zu beziffern, besteht Robeyns darauf, dass weniger die Zahl entscheidend sei, als das Konzept und die damit einhergehende Grundeinstellung der Gesellschaft.
Basierend auf einer eigenen Studie in den Niederlanden, die der Frage nachging, ab welchem Vermögen Wohlstand zum Exzess wird, gaben 80 Prozent der Befragten an, ein Vermögen von vier Millionen Euro sei für eine vierköpfige Familie die gesuchte Grenze. Robeyns rundet diese Summe deutlich auf und gelangt zu dem Schluss:
In einem Land mit einem ähnlichen sozioökonomischen Profil wie den Niederlanden, wo ich wohne, sollten wir eine Gesellschaft anstreben, in der niemand mehr als 10 Millionen Euro besitzt. Es sollte keine Dekamillionäre geben. Diese Grenze in Euro, Dollar oder Pfund gilt in etwa für die meisten entwickelten Volkswirtschaften.
Ein Vermögen von 10 Millionen Euro ist "ein ausgewogenes Verhältnis zwischen dem Niveau, das moralische und politische Erwägungen herstellt, die uns sagen, was das maximale Niveau ist".
Die massiven staatlichen Mehreinnahmen sollen nach Robeyns zum einen für die Sicherstellung der staatlichen Aufgaben verwendet werden und zum anderen in sehr konkreter Weise gravierende Ungleichheit unmittelbar bekämpfen. Sie befürwortet – ebenso wie der französische Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty – ein Einstiegserbe, das alle Jugendlichen beim Erreichen der Volljährigkeit als Starthilfe ins Leben erhalten sollen.
Linderung des Leidens
Tom Malleson betont, man sollte weniger darüber sprechen, was Menschen "verdienen", als darüber, was sie benötigen. Und nicht das Ende der Ungleichheit sollte das Ziel sein, sondern radikale Reduzierung. Ingrid Robyens ihrerseits unterstreicht, nichts könne eine unbegrenzte Ungleichheit rechtfertigen. Dies sei das stärkste Argument für den Limitarismus.
Die Essenz von Moral sei es, Leiden zu beenden, wo wir es beenden können. Daher folgt für die Ethikprofessorin Robeyns, es sei ein moralisches Gebot, den überschüssigen Reichtum der Extremreichen für die Linderung des Leidens zu nutzen.
In einer wirklich gerechten Welt würden Reiche akzeptieren, dass es Grenzen ihres Reichtum geben müsse. Und eine Welt, in der alle akzeptieren, dass es eine Obergrenze und faire Verteilung gebe, wäre eine zutiefst gerechte Welt.
Die Zeit drängt
Limitarismus erscheint als ein wichtiges Werkzeug, um eine gerechtere Gesellschaft mit einer weniger extremen Ungleichheit den Weg zu ebnen. Und Maßnahmen sind notwendig, denn ohne staatlichen Eingriff geht die soziale Schere noch weiter auseinander und nehmen entsprechend die desaströsen Nebenwirkungen zu.
Das New Economic Forum warnt aufgrund einer Studie:
Die Konzentration der Vermögen an der Spitze der Reichsten wird in den kommenden Jahren ohne politisches Zutun noch einmal deutlich zunehmen. Simulations-Rechnungen zufolge würde der Anteil der reichsten zehn Prozent der Deutschen an den Gesamtvermögen von zuletzt knapp über 60 Prozent bis 2027 auf etwa 67 Prozent steigen.
Das ergeben Schätzungen auf Basis eines neuen Vermögens-Simulators, den eine Wissenschaftlergruppe um Timm Bönke und Charlotte Bartels vom DIW Berlin zusammen mit dem Forum New Economy entwickelt haben.
Ein Lösungsvorschlag der Studienautoren: Ein Grunderbe für jeden 20-Jährigen würde die Vermögensverteilung am ehesten positiv verändern.
Ob die soziale Frage, sich weiterhin vergrößernde Ungleichheit und mögliche Lösungen im Wahlkampf zum Thema werden? Man wird sehen.
Literatur:
Friedrichs, Julia: Crazy Rich: Die geheime Welt der Superreichen.
Malleson, Tom: Against Inequality The Practical and Ethical Case for Abolishing the Superrich.
Robeyns, Ingrid: Limitarismus. Warum Reichtum begrenzt werden muss.
Sandel, Michael: Vom Ende des Gemeinwohls: Wie die Leistungsgesellschaft unsere Demokratien zerreißt.
Watkins, Don, Brook, Yaron: Equal is Unfair: America's Misguided Fight Against Income Inequality
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