Literatur und Macht - eine gefährliche Liebschaft
In den Bücherregalen von Mächtigen wie Hitler, Saddam Hussein oder George W. Bush gestöbert
Napoleon ließ Johann Philipp Palm am 26. August 1806 in Braunau am Inn für sein Bändchen Deutschland in seiner tiefsten Erniedrigung exekutieren. Ein hoher Preis für das bisschen literarischen Widerstand. Der in Braunau geborene Hitler, Bibliomane und Bücherverbrenner in schizoider Personalunion, zitiert in "Mein Kampf" gleich auf der ersten Seite diesen "Märtyrer", der ihm wohl die rechte Anregung gab, seine Underdog-Perspektive gegen den Rest der Welt aus dem Geist der Literatur zu rechtfertigen. "Bücher waren seine Welt," schrieb sein Jugendfreund August Kubizek. Wohl nicht nur.
Wer die innersten Zusammenhänge der Weltpolitik, die politischen und militärischen Spiele der Mächtigen, ihre unbezähmbare Lust auf Krieg, Frieden und Unsterblichkeit begreifen will, tut gleichwohl gut daran, sich nicht von vordergründigen Motiven oder hintergründigen Verschwörungsfantasien irritieren zu lassen. Der Mensch ist, was er liest, wenn er nicht gerade fernsieht.
Nun haben Mächtige meistens nicht viel Zeit zum Lesen und deshalb verrät ihre bedeutungsschwache Politik zwischen Fantasiearmut und ungezügelten kindlichen Allmachtsfantasien zu oft, dass es auch einen Analphabetismus der Macht gibt. Doch kaum weniger brisant sind die Zusammenhänge von Einbildungskraft und Politik, die erst umfassende politische Visionen von neuen Imperien, hegemonialer Machtausübung und blühenden Kolonien der Demokratie anstiften und rechtfertigen.
Wer schreibt, der bleibt
Politische Tatmenschen und Literaten sind oft Kollaborateure des Machtspiels gewesen. Liefern die einen den heroischen Stoff der Wirklichkeit, der besungen werden will, zeichnen jene die großen Vorbilder und Handlungsanweisungen für künftige historische Großtaten auf. Sainte-Beuve wusste also, warum er Napoleon III. empfahl, in den Literaten Alliierte zu sehen, eine Avantgarde der spitzen Federn, die zum Wohle des Empire nützlich sein könnten (Wolf Lepenies). Nützliche Intellektuelle!
Aber was, wenn die Männer der Tat gleich selbst zur Feder greifen? Vielen Helden der Wirklichkeit war ihre Wirklichkeitsherrschaft verdächtig, nicht bedeutend genug zu sein, um ihren Ruhm der Geschichte dauerhaft einzuschreiben. Herrscher mit Sinn für die Historie wissen vielleicht mehr als ihre Opfer um die Fragilität ihrer Eroberungen. Cäsar war sein eigener Kriegsberichterstatter, der sein eher mittelmäßiges Feldherrentalent erst literarisch richtig veredelte, um der Nachwelt einen Begriff von seiner Größe zu liefern. Wer schreibt, der bleibt.
Napoleons Prosa wurden imperiale und despotische Dimensionen nachgesagt, was stilkritische und hermeneutische Fragen aufwirft bis hin zu Edward K. Saids Engführungen von literarischen und geopolitischen Landnahmen. "Le style c'est l'homme même" - der Stil ist das Bild des Menschen, im Leben und in der Literatur. Friedrich der Große kokettierte auf die Glückwünsche d'Alemberts zum erfolgreichen Siebenjährigen Krieg mit dem Wunsch, er hätte lieber Racines Athalie gedichtet.
Richelieu war gar von der Idee besessen, "une belle tragédie" zu schreiben, ein Nationalepos ähnlich wie den spanischen Cid, das ihm mehr posthumen Ruhm verschafft hätte als alle Intrigenspiele der Macht zusammengenommen. Sein literarisch dagegen eher selbstverräterischer Wahlspruch: "Man gebe mir sechs Zeilen des ehrenwertesten Mannes und ich werde etwas in ihnen finden, um ihn zu hängen."
Saddam Hussein las Stalin und schrieb Liebesromane
Lenin, Stalin, Mao-Tse-Tung, die nicht weniger Gründe fanden, sich ihrer Widersacher zu entledigen, füllten in der Nachfolge von Marx/Engels meterlange Buchregale, um nicht weniger ihren Ruhm wie ihre Lehren unter das Volk zu bringen. Inzwischen verkümmern die sozialistischen Aufklärungsdiktate der Macht allerdings zu den Sorgenkindern der Antiquariate, weil der real existierende Literaturbetrieb längst anderen Göttern folgt. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit!
Stalin war Saddam Husseins vorzüglichste Inspirationsquelle für seine politischen Großtaten und wohl mehr noch für seine unvollendeten. Doch Hussein wollte noch erheblich mehr sein als ein lesender Potentat auf den Spuren des Stählernen. Saddam Hussein präsentierte sich, ganz anders als sein sprachfragiler Widersacher, US-Präsident Bush, als ein "homme des lettres", der, ähnlich wie Dieter Bohlen, Massenunterhaltungswaffen schuf, die tief in das Herz der Menschheit dringen sollten, wenn er schon wohl zuletzt keine Massenvernichtungswaffen besaß, um auf diesem Wege dorthin hin zu gelangen.
Die irakische Literaturkritik bescheinigte Saddam Hussein für sein zweites Opus magnum, den Liebesroman "Die uneinnehmbare Festung", ein Meisterwerk vorgelegt zu haben, dessen epische Kraft die ganze Menschheit beträfe. Weniger olymipionikische Ehren wären wohl auch gefährlich gewesen. Wenigstens in dieser belletristisch uneinnehmbaren Festung herrschten jener Kampfesgeist und Patriotismus, die in Bagdad trotz der literarisch hochwertigen "Kraft durch Freude"-Satiren von Comical Ali, dem um surreale Einfälle nie verlegenen Chefkriegspropagandisten Husseins, nicht so recht virulent werden wollten.
Geholfen hat Saddam Hussein die Beschwörung der Welt durch schwarze Magie wenig. So wenig wie dem gleichfalls bestsellernden Autor Adolf Hitler seine 7.000 Bände zählende Bibliothek, die vor allem zahlreiche Militärklassiker bis hin zu seinem Favoriten Karl May enthielt. Vor allem von Karl Mays taktischen und strategischen Finessen soll der größte Feldherr aller Zeiten so fasziniert gewesen sein, dass er den Freiheitsdrang der Indianer wohl gleich zu der imperialen Doktrin "Volk braucht Raum" umschmiedete.
Vermittelten Old Shatterhand und Winnetou Hitler das Fantasma, auch noch die stärksten Widersacher zu überwinden? Oder war es eher Schopenhauers "Die Welt als Wille und Vorstellung", Hitlers Lektüre während des ersten Weltkriegs, die nur darauf wartete, aus ihrer transzendental gemächlichen Verfassung zu einem brachialen Realepos aufgeblasen zu werden?
Weniger bekannt als Saddam Husseins Bestseller ist seine größte schriftstellerische Tat, den Koran in einer höchstpersönlichen Luxusedition vorzulegen, die bereits mehr als bloße Literatur ist, weil sie das Fleisch ohne Umwege zum Geiste trieb. Hussein ließ das Buch der Bücher als kostbarstes Geschenk an die Gläubigen mit seinem eigenen Blut schreiben (Der Baulöwe von Bagdad).
George W. Bush und die Erbauung durch Bibel und christliche Romane
Wenn schon Saddam Husseins Glaubensüberzeugungen verdächtigt wurden, weniger stählern zu sein als seine Despotie, sollte wenigstens dieser Blutzoll Beweis seiner unverbrüchlichen Gefolgschaft auf den Pfaden des Propheten sein. Dieses mythopoetisch-religiöse Genie hat sich in der Familie indes nicht kongenial vererbt. Saddam Husseins missratener Sohn Udai hielt es mehr mit der Pornografie - wohl gar westlicher. US-Soldaten sollen in seiner Sporthalle, die flächendeckend mit erotischen Fotos tapeziert war, selbst Fotos der beiden Bush-Twins Jenna und Barbara gefunden haben - selbige allerdings züchtig in Abendroben verpackt. Bush, der sittenstrenge Bekämpfer vorehelicher Libido, wird so viel Zurückhaltung beim obersten Folterer des Irak gleichwohl weniger schätzen.
Wie nun hält es der mächtigste Mann der Erde, verheiratet mit der früheren Bibliothekarin Laura Bush, aber selbst mit der Literatur? Der semantisch unorthodoxe Präsident hat sintemal auf seine Bibellektüre hingewiesen, die ihm täglich Kraft gebe für das raue Geschäft der Wirklichkeit - wenn schon nicht zu einer Rhetorik, die diesen Namen verdient.
Ob der inzwischen abstinente Methodist nun über das Alte Testament schon bis zur versöhnlichen Bergpredigt vorgedrungen ist, wissen wir nicht. Aber Bushs übrige literarische Neigungen liegen für alle Augen offen auf dem Nachtisch. Bush ist neben einem Andachtsbuch von Oswald Chambers bekennender Leser der Left Behind-Serie christlicher Romane gewesen - im deutschen Sprachraum unter dem Titel "Das Finale" vertrieben.
Doch Bush fand nicht nur in den apokalyptischen Geschichten rund um die Johannes-Offenbarung die nötige Inspiration, wie der Weltgeist richtig zu reiten sei. Wohl noch mehr als von Bibel und christlicher Erbauungsliteratur könnte Bush von Eliot A. Cohens Supreme Command beeinflusst sein. Bushs Mastermind Cohen ist ein früher Pentagon-Mitarbeiter, der heute seine polit-strategischen Falken-Thesen an der Johns Hopkins University verkündet und zu den frühesten Propagandisten eines Militärschlages gegen den Irak zählte. Der Titel und noch mehr der Untertitel "Soldiers, Statesman and Leadership in Wartime" verraten bereits die ganze Mission des einstigen Nationalgardisten Bushs, der nicht am Vietnamkrieg teilnahm und sich angeblich für anderthalb Jahre unentschuldigt von der Truppe entfernte.
Cohens nicht ganz neuer Ratschlag für große Herrscher: Den Krieg solle man nicht den Militärs überlassen, damit der common sense nicht auf der Strecke bleibe. Dieser Tage lässt es sich Bush folglich nicht nehmen, als martialischer Bomberpräsident a la "Independence Day" in zünftiger Top-Gun-Montur die Geschicke scheinbar selbst in die Hand zu nehmen.
Und wer nun immer noch nach Motiven für Bushs Krieg fahndet, könnte hierzu Zuflucht nehmen: Sollte Bushs Krieg auf sein Ressentiment gegen den Lese- und Schreiblöwen Saddam Hussein, auf dessen überlegene Literarizität, zurückzuführen sein? War Bush als bekennender sekundärer Analphabet neidisch auf Husseins literarische Heldentaten?
Wenn Bush jedenfalls dereinst seine Memoiren als zivil-militärisches Leitbild kommender Demokratoren verfassen lässt, werden sie kaum mit dem voluminösen Epos Leben und Kampf von Saddam Hussein konkurrieren können. Denn trotz der damaligen Papierknappheit im Irak waren es nicht weniger als neunzehn Bände, die zur vormalige Pflichtlektüre irakischer Verwaltungsspitzen gehörten. Immerhin, das bisher unveröffentlichte Schlusskapitel hat dann George W. Bush, ganz ohne Tinte, aber mit Lebenssaft, geschrieben. Was wiederum beweist, wie innig und verschlungen das Verhältnis von Literatur und Macht ist.