Lützerath – nur ein Rädchen im System der Lobbyisten

Seite 4: Energiewende oder Lützerath

Beim Gas ging in Deutschland plötzlich alles rasant. Alles, was sonst bei der Energiewende nicht geht, geht plötzlich. Naturschutz, lange Verfahren, Bedenken, Debatten werden kurzerhand beiseitegeschoben und viel öffentliches Geld in die Hand genommen. Im Handumdrehen entsteht eine neue Gasinfrastruktur.

Dabei zeigt ausgerechnet eine Gasberatungsorganisation Rystad Energy in einer aktuellen Studie, dass es Europa sehr viel teurer kommt, das abgeschaltete Gas vor allem durch Gas zu ersetzen. Bei den derzeitigen Gaspreisen wäre es langfristig zehnmal teurer, Gaskraftwerke zu betreiben, als neue Solaranlagen in Europa zu bauen. (Siehe dazu: Luxus-Gas ohne Zukunft: Solar bis zu zehnmal billiger).

Aber darüber wird bei uns nicht einmal diskutiert. Es ist höchste Zeit, unsere Energiepolitik grundsätzlich zu überdenken und auf den Prüfstand zu stellen. Lieber schimpfen Lanz & Co. auf die Klimabewegung und schwärmen von der Kernfusion, die vielleicht in 30 Jahren etwas Energie bringt.

Wieder wird behauptet, man könne jetzt nicht anders, wieder wird auf Zeit gespielt und weiter beschwichtigt. Gleichzeitig rückt in Lützerath das ganz große Gerät an, um den fruchtbaren Boden und den Ort in eine Mondlandschaft zu verwandeln. Die klimaschädlichste Energiegewinnung, die Braunkohle, soll künstlich am Leben erhalten werden.

Ein Windrad muss 1.000 Meter von der nächsten Wohnbebauung entfernt sein, viel weiter als eine Müllverbrennungsanlage. Ein Braunkohletagebau braucht keinen Abstand, er begräbt alles unter sich. Lützerath ist nur ein Rädchen im Getriebe der deutschen Energielobby, aber mehr als ein Symbol für die aktuelle Politik.

Klimaaktivisten stellen sich in den Weg, Hundertschaften gepanzerter Polizisten formieren sich. Bilder aus einer fernen Dystopie. Diesmal mit Zustimmung einer "Ganz Großen Koalition". Wer sagt eigentlich im Bundestag, wie absurd es ist, 2023 eine so alte, schmutzige Energieform abzuschalten?

Es widerspricht allen Klimaabkommen und jeder Vernunft. Ein Pyrrhussieg der alten Energielobby und eines Konzerns, der sich nie gewandelt hat, der nie die Zukunft erkannt hat – ein Mittelständler wäre längst pleite. Eine Niederlage für alle, die auch an die Zukunft denken.

RWE ist der Prototyp eines schwerfälligen, aber mächtigen Großkonzerns, der bis zum bitteren Ende mit Zerstörung und auf Kosten der Mehrheit Profit machen will – unter dem Schutz der Staatsgewalt, die von der Allgemeinheit bezahlt wird. Es ist ein Konzern, der so agiert, wie es das Lobby- und Profitsystem zulässt, teilweise sogar vorschreibt.

Verantwortlich dafür ist die Politik, die dies billigt und fördert, sich mit den Energielobbyisten gemein macht und nicht in diesem Jahrtausend angekommen ist. Natürlich kommen jetzt wieder die Glaubenssätze, "Ja, aber wir steigen doch aus ...", "Wir mussten Kompromisse machen, aber jetzt bauen wir auch die erneuerbaren Energien aus ...", "Und es gibt doch den Kohleausstieg ...". "Und es gibt ja den Kohleausstieg."

Wer soll das noch glauben? So oft wurden Beschlüsse zurückgenommen, Fristen verlängert – eine neue Ausrede findet sich bestimmt.

Während ich diese Zeilen schreibe, verkünden die Profiteure von Lützerath, dass sie auch nach 2030 noch Kohle verfeuern wollen und planen mit einer Reserve von 50 Millionen Tonnen Braunkohle... Das ist Wahnsinn. Lützerath ist nur ein Rädchen im Lobbygetriebe, aber wenn ein Rädchen ausfällt, kann das ganze Getriebe den Geist aufgeben.

Marco Bülow ist Publizist, Politiker und Aktivist. Von 2002 bis 2021 war er direkt gewählter Abgeordneter der SPD im Bundestag. Im November 2018 trat er nach 26 Jahren aus der SPD aus und war drei Jahre fraktionsloser Abgeordneter, bevor er im Oktober 2020 Mitglied der Partei "Die Partei" wurde.

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