Luftkrieg: Terror und totale Zerstörung
Seite 2: Umgestaltung der Stadt zur Anpassung an den Luftangriff
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Am 17. August 1939, also kurz vor dem deutschen Überfall auf Polen, wurde die "Neunte Durchführungsverordnung zum Luftschutzgesetz (Behelfsmäßige Luftschutzmaßnahmen in bestehenden Gebäuden)" erlassen. Vorgeschrieben war, dass für jede Person drei Quadratmeter Raum zur Verfügung stehen mussten. War dieser nicht vorhanden, so sollte zumindest eine künstliche Luftzufuhr gewährleistet sein.
Um Verluste zu minimieren, setzte man anstatt von großen Bunkeranlagen auf viele kleinere Luftschutzräume für bis zu 50 Menschen. Um auch diejenigen zu schützen, die zum Zeitpunkt des Angriffs gerade nicht zuhause waren, bedurfte es außerdem öffentlicher Schutzeinrichtungen an belebten Straßen und Plätzen, die vielfältige Formen annehmen konnten.
Wichtig war bei den behelfsmäßigen Luftschutzkellerräumen eine Sicherung der Decke möglichst mit geschützten Eisen- oder besser noch mit Stahlträgern, Massivdecken gegen Brand und Trümmer, die gas- und splitterdichte Schließung der Fenster in den Außenwänden etwa durch Sandsäcke oder einen Vorbau aus Erde oder Steinen, Gasschleusen, Notausstiege, Brandtüren und -mauern, Durchbrüche zum Keller des Nachbarhauses und vieles mehr.
Bei Neubauten setzte man auf moderne Materialien, während es in den älteren Gebäuden an vielem mangelte, nicht zuletzt an Brandschutzmauern. So hieß es 1939 bei Hampe:
"Es wird nicht möglich sein, alle bestehenden Häuser unverbrennlich zu machen, aber man kann doch durch Verwendung von Stein, Eisen und Beton viel ›Unverbrennliches‹ schaffen."
Vorschriften für Schutzräume in der Gegenwart sind im Wesentlichen dadurch ergänzt, dass sie zusätzlich zum oben genannten auch vor radioaktiver Strahlung schützen müssen, wie aus den entsprechenden Papieren des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe hervorgeht.
Die Umgestaltung der Stadt zur Anpassung an den Luftangriff veränderte ihre Struktur und damit auch das Wohnen in ihr. Oberstes Gebot war die Auflockerung oder Entdichtung, um die Schäden durch Bomben zu minimieren. Gleichzeitig ging es darum, den Stadtraum für den Auto- und Schienenverkehr, die Durchlüftung und "Aufklärung" zu öffnen. Schon lange vor dem Luftkrieg hatte Georges-Eugène Baron Haussmann hier entscheidende Vorarbeit geleistet: Paris wurde zum Vorbild anderer Städte und zur Blaupause für deren Um- und Neubau.
Als Pionier der modernen Stadtplanung, die später direkt in die Umgestaltung der Städte zur größeren Resilienz gegen den Luftkrieg mündete, hatte er die Altstadt aufgeschnitten und große Schneisen in die dichte Bebauung geschlagen. Die Stadt wurde für den Verkehr durch breite Boulevards und Bahnhöfe erschlossen.
Die Stadtplaner für die Luftkriegsstadt fanden in Haussmanns Paris und in den Gartenstädten Vorbilder. Auch Le Corbusier hatte bereits nach dem Ersten Weltkrieg in seinem Buch Urbanism aus dem Jahre 1925 den Architekten in Weiterführung von Haussmann als "Chirurgen" gefeiert, der das städtische Gewebe der alten, langsamen und unübersichtlichen Stadt aufschneidet, um die schnelle, unabgelenkte und zielgerichtete Bewegung in der funktionalen Stadt zu ermöglichen.
Walter Benjamin setzte dem bald das Bild des Flaneurs entgegen, als romantische Erinnerung an das Verhalten der Menschen in der verdichteten traditionellen Stadt.
In den Worten Erich Hampes galt im Zuge dieser Entwicklung als "luftschutzgerecht":
Auflockerung im großen und im kleinen. Dabei kam dem Luftschutzgedanken entgegen, daß die sozialen und hygienischen Forderungen des neuzeitlichen Städtebaues in ihren Ergebnissen sich mit den luftschutztechnischen Forderungen deckten. Der Luftschutz sowohl wie der Städtebau verlangten eine planvolle Verteilung und Trennung der Wohn-, Wirtschafts-, Verkehrs- und Industriegebiete, die durch große zusammenhängende Grün- und Wasserflächen aufgeteilt und von breiten Straßen und Verkehrsbändern durchzogen sein sollten.
Wie Werner Durth und Niel Gutschow zeigen, ging die von den Nationalsozialisten aufgegriffene Auflockerung oder Entdichtung der Stadt auch einher mit Vorstellungen, wie dadurch die Gemeinschaft und die "Liebe zur Heimat" gefördert werden können.65 Eine "luftangriffssichere Gliederung" sei auch dezentralisiert und ermögliche eine "volksnahe Verwaltung" sowie ein gesundes Leben, was wiederum die Fortpflanzung vorantreibe.
1939 berichtete die Zeitschrift "Raumforschung und Raumordnung" im Kontext einer Tagung zu den urbanistischen Folgen der "neueren Kriegstechnik" über den Konsens, dass "im Gegensatz zu der formbildenden Kraft der älteren Befestigungsarten […] die moderne Kriegstechnik auflösend auf die bisherige städtebauliche Form" einwirke.
Vermieden werden sollten unter anderem "Industrieballungen", wichtig war auch eine funktionale Trennung: Unter dem Eindruck der Folgen des Luftkriegs planten die Nationalsozialisten den Wiederaufbau der zerstörten Städte in Deutschland sowie den Neubau von Städten in eroberten Gebieten in "aufgelockerter" Form nach dem Konzept der Trennung von Wohnort, Arbeitsplatz und Erholungsstätte mit Grünflächen und autogerechten Verkehrsachsen – "Stadt der Geschwindigkeit" in den Worten Le Corbusiers –, wie es etwa auch in der Charta von Athen anvisiert wurde, welche die Wohnung ins Zentrum des Stadtplaners stellte. Hampe fasst die urbanen Konzepte der Nazis so zusammen:
In den alten Städten sollten die vorhandenen schmalen licht- und sonnenlosen Gassen, die engen verbauten Innenhöfe, die ungesunden Hinterhäuser beseitigt und freigelegt werden. Das Ziel, vom Luftschutz erstrebt, war, eine Neubebauung zu schaffen, die jeder Wohnung Licht, Luft und Sonne schenkte, wobei eine Auflockerung zusätzlich durch Gärten, Freiplätze und breite Straßenzüge weitgehend erzielt werden sollte.
Diese Ideen von Auflockerung statt Verdichtung wurden auch in der Nachkriegszeit lange unter zivilen Aspekten weiter umgesetzt. Nicht zuletzt zeigt sich daran aber, dass Wohnen immer auch eine "Festung" oder "Befestigung" ist. Das nicht nur im wörtlichen Sinne, sondern auch durch eine paradoxe Anpassung des umbauten Raums an ein Schwarmverhalten, das den Angreifer durch räumliche Zerstreuung verwirren und somit Schäden minimieren soll.
Auf diese Weise können zwar einzelne Gebäude durch Bomben zerstört werden, aber die Verwüstung greift nicht direkt auf die Nachbargebäude über. Dieser Schutz kann mit dem umbauten Raum nicht in dauernder Bewegung wie im Schwarm realisiert werden, sondern nur durch Auflockerung, also räumlichen Abstand, was parallel dem vertikalen Wachstum der Wohnhäuser keinen Abbruch tut. Die Verdichtung verschob sich also in die Höhe und ließ Platz für Grünräume und großzügige Straßen, die neben Fahrbahnen und Parkraum für Fahrzeuge zugleich Brandschneisen sind.
Ein Nebeneffekt der Entdichtung, der funktionalen Trennung und der breiteren Straßen war die Umgestaltung der Stadt in einen automobilen Raum. In Folge erhöhte sich der motorisierte Individualverkehr und die Menge zur Verfügung stehender Parkplätze – das Auto eroberte den öffentlichen Raum. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel konnte mit der neuen, fahrzeuggerechten Stadt nicht mithalten, da die herrschende Ideologie in der Stadtplanung seit dem Zweiten Weltkrieg unangefochten weiterbestand.
Der soziale Wohnungsbau in den Nachkriegsjahren setzte die damit verbundenen Wohnvorstellungen noch unter dem Einfluss der Erinnerung an den Luftkrieg um, die aber trotz oder gerade wegen der Bedrohung durch das nukleare Wettrüsten schnell verlorenging. Vor der Zerstörung durch Atombomben schützt die aufgelockerte und funktional gegliederte Stadt nicht, selbst die zunächst angelegten Atomschutzbunker gab man schnell wieder auf.
Die Ausgaben für den Zivilschutz gingen mit wachsender zeitlicher Distanz zum Krieg Jahr für Jahr zurück. Das Schutzbauprogramm für Neubauten wurde 1967 eingestellt. Dennoch hieß es 1972 im "Bericht der Bundesregierung über das Konzept der zivilen Verteidigung und das Programm für die Zeit bis 1972":
Schutzbauten sollten für die gesamte Bevölkerung in Stadt und Land vorhanden und schnell erreichbar sein. Sie sollten in Wohnhäusern, Krankenhäusern, Schulen, Arbeitsstätten jeder Art, an Verkehrsballungspunkten und sonstigen Plätzen, an denen sich Menschen gewöhnlich aufhalten, zur Verfügung stehen.
BBK
Letztlich waren aber der Bundesregierung die Baukosten zu hoch, die Bevölkerung interessierte sich wenig dafür und der Erhalt der bestehenden Bauten schlief ein. 2016 erklärte das Bundesinnenministerium in der "Konzeption Zivile Verteidigung" zwar, dass Maßnahmen zur Härtung der Bausubstanz von Wohn- und Arbeitsgebäuden empfohlen, gefördert oder verpflichtend vorgegeben würden, aber letztlich hatte man den Schutz für die breite Bevölkerung in umbauten Räumen schon lange aufgegeben:
Die flächendeckende Bereitstellung öffentlicher Schutzräume ist hingegen nicht realisierbar und in Anbetracht von Ereignissen mit kurzer oder fehlender Vorwarnzeit nur sehr eingeschränkt geeignet, ausreichende Schutzwirkung zu entfalten.
Bundesinnenministerium, Konzept Zivile Verteidigung, 24.08.2016
Im Falle eines Krieges bleiben die Menschen also sich selbst überlassen; die modernen Häuser sind keine Schutzburgen mehr.