Luftkrieg: Terror und totale Zerstörung

Rakka, Syrien, August 2017. Bild: Mahmoud Bali (VOA)/gemeinfrei

Stadt im Krieg und Schutzmaßnahmen bis zur Doomsday-Bunkerindustrie – eine geschichtliche Betrachtung

Wir erleben gerade aus der Ferne, wie ein moderner Krieg, der noch auf der Schwelle des Zeitalters der autonomen Kampfroboter, der Künstlichen Intelligenz und des Cyberwar verharrt, geführt wird: mit schweren Waffensystemen am Boden, mit Panzer und Artillerie und den entsprechenden Abwehrwaffen, vor allem aber mit Präzisionsraketen, Kampfflugzeugen und Drohnen. Der Krieg in der Ukraine wird vorwiegend in und gegen Städte ausgetragen.

In Deutschland haben wir die Bedrohungen eines Luftkrieges schon weitgehend vergessen, Bunker und Luftschutzräume wurden mit dem wachsenden Abstand zum Krieg, in dem gezielt ganze Städte vernichtet wurden, geschlossen und nicht mehr gebaut.

In meinem Buch über "Sein und Wohnen" habe ich versucht zu zeigen, wie der mit dem Ersten Weltkrieg einsetzende Luftkrieg die Städte und die Architektur beeinflusst hat.

Der Terror Luftkrieg

Großflächiges und systematisches Entwohnen durch Vertreibung oder gar Ermordung der Bewohner ist in bewaffneten Konflikten gängige Praxis. Hier wird das Wohnen in einer einst etwa durch Stadtmauern und andere Wehranlagen geschützten Umgebung zu einer Gefahr für die Bevölkerung.

Historisch brannte man nach Eroberung einer Stadt oder einer Festung oft die Gebäude innerhalb der nahezu obligatorischen Schutzmauern nieder. Die Erfindung der Schusswaffen in der Neuzeit, in diesem Fall besonders der Artillerie, machte nicht nur die Festungsmauer obsolet, sondern ermöglichte auch die effektive Zerstörung der Gebäude hinter den Mauern aus einer gewissen, wenn auch zunächst relativ geringen Entfernung zur Stadt.

Moderne Artillerie kann beispielsweise mit Raketenwerfern Ziele auf Entfernungen von bis zu 500 Kilometern beschießen und zerstören. Schon in grauer Vorzeit waren die räumlich verdichteten Städte aufgrund ihrer brandbeschleunigenden Baumaterialien im Grunde Scheiterhaufen, was auch außerhalb von Kriegen immer wieder zu großen Bränden geführt hat, bis Feuerschutzmaßnahmen und Fortschritte in der Werkstoffkunde das Risiko eindämmen konnten.

Mit dem Luftkrieg war es dann möglich, ganze Städte in Schutt und Asche zu legen, und mit Atomwaffen, wie die Amerikaner in Hiroshima und Nagasaki zeigten, reicht dazu eine einzige Bombe. In Hiroshima wurden durch den Abwurf der Atombombe "Little Boy", die in 580 Metern Höhe über dem Zentrum der Stadt explodierte, 13 Quadratkilometer und mehr als 60 Prozent aller Häuser zerstört, 250 000 Menschen starben.

Der Luftkrieg war und ist ein tiefer Einschnitt in die Geschichte der Stadt und des Wohnens. "Bei der Vorbereitung und Durchführung von Siedlungsmaßnahmen im Sinne des Luftschutzes wurde sichtbar, daß die Städte in Zukunft ein anderes Bild zeigen mußten, als das vordem der Fall gewesen war", so Erich Hampe in seinem Werk "Der Zivile Luftschutz im Zweiten Weltkrieg". Er fährt fort:

Die Städte, meist aus Gründungen des Mittelalters entstanden, waren ehemals zu Festungen oder Verteidigungszwecken ausgebaut, die z. T. noch bis in die jüngere Zeit bei kriegerischen Verwicklungen die Aufgabe gehabt hatten, Angriffe in der Ebene abzuwehren und aufzuhalten. Die neuzeitliche Stadt mußte nunmehr so entwickelt werden, daß sie gegen Luftangriffe nicht leicht verletzbar war.

Ab dem Ersten Weltkrieg gehörten blutige Massenschlachten zur Essenz des totalen Krieges, aber damals fanden diese noch vorwiegend an der Front statt, wo gewaltige Heere, immer größere Geschütze, Panzer, Maschinengewehre, Chemiewaffen und unterirdische Anlagen zum Einsatz kamen. Vereinzelt gab es allerdings bereits erste Luftangriffe auf Städte, meist auf Industrieanlagen und Nachschubwege, aber auch auf Wohngebiete, mit Bombern und Zeppelinen.

Vermutlich spielte hier Deutschland eine Vorreiterrolle, da schon 1914 ein deutscher Zeppelin Bomben auf Lüttich abwarf. Später setzten alle Kontrahenten Flugzeuge und Bomber ein. Der Schaden für die Zivilbevölkerung hielt sich in Grenzen, doch die Angst vor der neuen Bedrohung war groß. Die Erweiterung der Stadt nach unten wurde wichtiger. Noch baute man in der Regel Keller, aber es dauerte nicht lange, bis militärische Bunker oder entsprechend ausgerüstete unterirdische Räume in das zivile Alltagsleben einzogen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Strategie konsequent, aber in deutlich größerem Maßstab fortgesetzt, auch Städte hinter der Front, die nicht direkt umkämpft waren, zu bombardieren, um durch die Zerstörung von kriegsrelevanten Industrien und Infrastruktur oder die Massentötung von Zivilisten den Widerstand des gegnerischen Landes zu brechen. Zumindest symbolisch begonnen hatte diese Praxis im Jahre 1937, als die deutsche Luftwaffe zur Unterstützung der Franco-Faschisten Angriffe gegen die Städte Durango und Guernica flog. Letztere wurde fast völlig zerstört.

Gleich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs bombardierte die deutsche Luftwaffe zunächst das polnische Städtchen Wieluń, um dann Ende September 1939 erstmals mit Warschau eine Großstadt zu attackieren. 1940 folgten dann Rotterdam, London und weitere britische Städte.

Ab dem Jahre 1941 schlugen die Briten mit dem Bombardement deutscher Städte zurück: Unter Luftmarschall Arthur Harris, genannt "Bomber-Harris", zielte man bewusst und systematisch auf weitläufige Wohngebiete, später verstärkt durch amerikanische Bomber nach dem Kriegseintritt der USA.

Allein die Briten warfen während des Kriegs fast eine Million Tonnen Bomben ab. Schnell entdeckte man, dass eine Kombination von Spreng- und Brandbomben das höchste Zerstörungspotential gegen Städte aufweist: Erstere reißen Löcher in die Gebäude und öffnen sie damit für zweitere, die den Rest in Flammen aufgehen lassen. Die vielen brennenden Gebäude bilden einen Flächenbrand, der gewaltige Feuerstürme in den Straßenschluchten auslöst, die sich verbreiten und auf ihrem Weg alles, die fliehende Zivilbevölkerung eingeschlossen, in sich hineinziehen und verbrennen.

Esrte Luftschutzmaßnahmen

In den 1920er Jahren waren nach den Erfahrungen des Luftkriegs im Ersten Weltkrieg die Forderungen nach einem systematischen Luftschutz aufgekommen. Das Reichswehrministerium der Weimarer Republik veröffentlichte 1925 Richtlinien zum Reichsluftschutz, 1930 war der Reichsluftschutzbund gegründet worden.

Mit dem Beginn der Naziherrschaft und der darauffolgenden gesamtgesellschaftlichen Kriegsvorbereitung legte man zusätzlich großes Augenmerk auf organisatorische und bauliche Aspekte. Man sah die Wohnungen und Häuser als "luftempfindlich" an – das Wohnen in vier Wänden war plötzlich von oben gefährdet.

1937 erließ man im Vorlauf zum Krieg entsprechende Durchführungsverordnungen: In städtischen Neubauten mussten "gas-, trümmer- und splittersichere Luftschutzräume in endgültiger Bauweise" eingebaut und in Altbauten zumindest "in behelfsmäßiger Ausführung" geschaffen werden. Um Brandbomben weniger brennbares Material zu bieten, sollte man Dachstühle und Höfe entrümpeln und später im Krieg Vorhänge und Teppiche zugunsten von Sand- und Wasservorräten entfernen.

Im Luftkrieg bot die Wohnung als umbauter Raum, also als kleine Festung, keine Sicherheit mehr und musste in den Untergrund erweitert werden, während man an der Küste Frankreichs den "Atlantikwall" mit meterdicken Stahlbetonwänden errichtete.

Vor und während des Zweiten Weltkriegs baute man in Deutschland um die 3000 unterschiedlich große Luftschutzbunker mit bombensicheren Decken- und Außenwänden von mindestens zwei Metern Dicke, um den Menschen aus der Umgebung, die keinen Zugriff auf private Schutzräume hatten, als Zuflucht zu dienen. Sie sollten nicht nur gleichmäßig in den einzelnen Vierteln verteilt sein, sondern sich auch ins Stadtbild fügen.

Da Kriege seitdem nur noch asymmetrisch und bei nahezu vollständiger Lufthoheit des Westens oder Russlands geführt wurden, scheint der Umfang dieser Maßnahmen in Europa wieder in Vergessenheit zu geraten, weshalb der Blick in die Vergangenheit des bedrohten Wohnens in Städten äußerst wichtig ist.

Aufnahmen aus Kriegsgebieten oder Straßensperrungen zur Entfernung nicht explodierter Bomben aus dem Krieg erinnern zwar an frühere Gefahren, beunruhigen die meisten Menschen aber kaum noch – daran ändern auch Berichte über die systematische Zerstörung von Städten wie Grosny, Falludscha, Mosul, Raqqa und Baghouz oder über die komplexen Tunnelsysteme, derer sich der "Islamische Staat" zu Luftschutzzwecken bedient, nichts.