Lukaschenko ohrfeigt den Westen
Die Opposition wurde bei den Wahlen drangsaliert. Das neu gewählte Parlament ist ein Querschnitt der aktuellen weißrussischen Elite: Fabrikdirektoren, Schulrektoren, Beamte und hohe Milizionäre
Es war ein Wochenende der Wahlen in Europa, die enorme Auswirkungen auf die jeweiligen innenpolitischen Verhältnisse haben dürften. In Bayern wurde die CSU von den Wählern abgestraft (siehe 50 minus 7), in Österreich haben die rechten Parteien FPÖ und BZÖ enormen Zugewinn gehabt und bei den Kommunalwahlen in Brandenburg musste die CDU Stimmenverluste hinnehmen. Von Bedeutung waren aber auch die Parlamentswahlen in Weißrussland. Von deren Verlauf und Ergebnis hängt nämlich das zukünftige Verhältnis zwischen dem Westen und der ehemaligen Sowjetrepublik ab.
Es war eine Wahl, die zumindest im Westen mit einigen Hoffnungen verbunden war. Auch deshalb, weil in den letzten Wochen einige Signale des guten Willens aus Minsk an den Westen gesendet wurden. So wurden vor über einem Monat mit Sergej Parsjukowitsch, Andrej Kim und Alexander Kosulin die letzten politischen Häftlinge entlassen (siehe Weißrusslands langsame Emanzipation), was die EU und die USA seit langem forderten. Und auch noch vergangene Woche versprach der seit 1994 regierende „letzte Diktator Europas“, Alexander Lukaschenko, transparente und demokratische Wahlen, mit einem für das Land wichtigen Ziel:
Ich mache keinen Hehl daraus: Wir sind daran interessiert, dass unser Parlament international anerkannt wird.
Der Westen zeigte sich, trotz aller Skepsis, zufrieden und honorierte die Entwicklung in Weißrussland. Am 15. September erklärten sich die EU-Außenminister sogar bereit, einige Boykottmaßnahmen gegenüber Weißrussland zu überdenken. Endgültige Entscheidungen sollten aber erst nach den Parlamentswahlen und dem Abschlussbericht der OSZE getroffen werden.
Was jedoch nicht bedeutet, dass zwischen Brüssel und Minsk in den Tagen vor der Wahl Funkstille herrschte. Wie die russische Nachrichtenagentur RIA Novosti noch letzten Freitag erfahren haben will, soll die EU der weißrussischen Führung die Milderung einiger Sanktionen angeboten haben, wenn im Gegenzug mindestens 20 Oppositionspolitiker ins Parlament gewählt werden würden.
Kein einziger Oppositionspolitiker konnte sich bei der Direktwahl durchsetzen
Doch so wie es aussieht, waren die Angebote der Europäischen Union nicht ausreichend genug, um Lukaschenko und sein Regime zum Umdenken zu bewegen. Denn am Sonntag, „der Weißrussland hätte verändern können“, wie die Internetzeitung Belorusskije Novosti noch am Wahltag hoffnungsvoll titelte, demonstrierte das Lukaschenko-Regime seine Auffassung von Demokratie.
Wie die Zentrale Wahlkommission am späten Sonntagabend bekannt gab, konnte sich kein einziger Oppositionspolitiker bei der Direktwahl durchsetzen.
Vielmehr ist das neu gewählte Parlament ein Querschnitt der aktuellen weißrussischen Elite. Von den 110 Parlamentsabgeordneten sind die meisten Fabrikdirektoren, Schulrektoren, Beamte und hohe Milizionäre, also alles vom Regime abhängige Personen. Dabei hätten die Chancen reell sein können, dass diesmal auch Oppositionelle ins Parlament gelangen. Von den insgesamt 270 Kandidaten gehörten 70 der Oppositionsbewegung an.
Doch an einen tatsächlichen Einzug der Opposition schienen selber viele Oppositionspolitiker nicht geglaubt zu haben. So traten aus Protest fünf Kandidaten der Vereinigten Bürgerfront erst gar nicht zur Wahl an. Und die Geschehnisse der letzten Woche geben ihnen Recht.
Während Alexander Lukaschenko dem Westen transparente Wahlen versprach, wurde sowohl der junge Oppositionelle Andrej Tenjuta verhaftet, als auch eine Wahlkampfveranstaltung des oppositionellen Parlamentskandidaten Jurij Gubarewitsch von der Miliz gestört.
Oppositionskandidaten und ihren Familienangehörigen wurde angeblich mit Verlust des Arbeitsplatzes gedroht
Es sind Repressionsmethoden, die das Regime schon seit Jahren gegen die Opposition anwendet, und die auch im diesjährigen Wahlkampf, trotz aller Beteuerungen aus Minsk, an der Tagesordnung waren. Allein der Menschenrechtsbericht des Belarussischen Helsinki Komitees, der sich mit der Situation zwischen den Kommunalwahlen 2007 und der diesjährigen Parlamentswahl befasst, beschreibt unzählige Beispiele und Methoden der alltäglichen Drangsalierung.
In dem Report, der Telepolis vorliegt, kann man nachlesen, wie Oppositionskandidaten und ihren Familienangehörigen mit Verlust des Arbeitsplatzes gedroht wurde, wenn es zu einer politischen Tätigkeit kommen sollte, wie der Opposition der Zugang zu den Medien verweigert wurde oder wie Oppositionspolitiker wegen angeblich ungehörigen Verhaltens in der Öffentlichkeit für einige Tage in Haft kamen.
Das Lukaschenko-Regime sichert aber nicht nur mit solchen Repressionen seine Macht. Auch Wahlmanipulationen gehören zum Machtinstrument Lukaschenkos. Und Wahlfälschung wirft die Opposition Lukaschenko auch bei dem diesjährigen Urnengang vor. Schon mit dem vorzeitigen Beginn der Wahlen am 23. September, warf die Opposition dem Regime Manipulationsversuche vor. Ein Vorwurf, den die Opposition am Sonntag während einer Demonstration in Minsk bekräftigte.
OSZE: „Die Parlamentswahl ist nicht demokratisch verlaufen“
Zu keinem anderen Ergebnis kommen auch die 450 OSZE-Beobachter. „Die Parlamentswahl ist nicht demokratisch verlaufen“, ließ die OSZE am gestrigen Montag in Minsk verlauten. Man habe zwar Verbesserungen registriert, doch trotz allem sei die Wahl „nicht transparent“ gewesen, teilte die leitende Wahlbeobachterin Anne-Marie Lizin mit, die vor allem über enorme Manipulationen bei der Auszählung der Stimmen klagte.
Wahlbeobachter der GUS-Staaten sind anderer Meinung
Ganz anderer Meinung als die OSZE-Beobachter sind dagegen die Wahlbeobachter der GUS-Staaten. „Die Parlamentswahlen in Weißrussland sind entsprechend den Gesetzen des Landes abgelaufen. Für alle Kandidaten wurden gleiche Bedingungen gesichert“, sagte der Leiter der 400-köpfigen GUS-Wahlbeobachtermission, Sergej Lebedew
Es ist ein Lob, das nicht besonders verwunderlich ist. Denn mit dem Ergebnis der jetzigen Parlamentswahlen zeigt Alexander Lukaschenko, dass zumindest vorerst sein Flirt mit dem Westen beendet sein dürfte.
„Wenn die EU uns nicht entgegenkommt, werden wir uns neue Verbündete suchen. Und diese werden Venezuela und Iran sein“, sagte der weißrussische Präsident vergangene Woche in einem Interview für die britische Financial Times und die Frankfurter Allgemeine Zeitung.
Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Minsk
Noch intensiver dürften aber die schon traditionell guten Beziehungen Weißrusslands zu seinem großen Nachbar Russland werden. Und ein erster Beweis dieser enger werdenden Freundschaft dürfte die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Minsk werden, über die nach Lukaschenkos Willen das neue Parlament entscheiden soll. Die russische Führung honoriert jedenfalls schon jetzt die neuen Freundschaftsbande zwischen Minsk und Moskau. Am Montag kündigte sich Wladimir Putin für den 6. Oktober in Minsk an, um an einem Arbeitstreffen der Unionsminister teilzunehmen.
Mit Spannung darf die Reaktion des Westens erwartet werden. So machte die Europäische Union ihre zukünftigen Beziehungen zu Weißrussland von dem Verlauf der Parlamentswahlen und dem Bericht der OSZE abhängig. Nach der Kritik der OSZE an dem Verlauf der Wahlen dürfte der EU aber nichts anderes übrig bleiben, als die bisherigen Boykottmaßnahmen gegenüber Minsk aufrechtzuerhalten.
Doch vor diesem Schritt warnt selbst die weißrussische Opposition. In einem am Montag erschienen Interview für die polnische Gazeta Wyborcza appelliert Alexander Milinkewitsch, der im Präsidentschaftswahlkampf 2006 gegen Alexander Lukaschenko antrat, für eine Fortsetzung der vorsichtigen Annäherung der EU an Weißrussland.
Man sollte nicht den Dialog abbrechen. Dies würde Weißrussland nämlich endgültig von Russland abhängig machen.