Luxus-Villa von Jens Spahn: Gutachten bestätigt Auskunftsrecht der Presse
Wissenschaftliche Dienste des Bundestags widersprechen Rechtsauffassung der Anwälte des Gesundheitsministers. Grundbuchamt hätte Namen von Journalisten nicht von sich aus offenlegen dürfen
Im Streit zwischen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und mehreren Medien um Auskünfte über dessen Immobiliengeschäfte in Berlin stärkt ein neues Gutachten den Pressevertretern nun den Rücken. Spahn wehrt sich seit Monaten vehement dagegen, dass Journalisten Informationen des Grundbuchamtes über den Kauf einer Millionenvilla im Berliner Nobelviertel Dahlem zur Verfügung gestellt bekommen.
Laut einer juristischen Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, die Telepolis exklusiv vorliegt, sind die Auskünfte jedoch zu Recht erteilt worden. Das Gutachten bestätigt zugleich die Haltung der Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk. Sie hatte das Amtsgericht Berlin-Schöneberg, dem das Grundbuchamt untersteht, wegen der Herausgabe der Namen involvierter Pressevertreter an Spahns Anwälte gerügt.
Der Streit zwischen Spahn und seinem Ehemann Daniel Funke einerseits sowie mehreren überregionalen Medien andererseits reicht bis in den Sommer vergangenen Jahres zurück. Journalisten des Onlineportals Business Insider der Axel-Springer-Verlagsgruppe hatten damals berichtet, Spahn und Funke hätten eine Villa in Berlin-Dahlem gekauft.
Das "traumhafte Baudenkmal in Bestlage", so die Maklerwerbung damals, bietet demnach 285 Quadratmeter Wohnfläche auf einem 1.317 Quadratmeter großen Grundstück. Nach juristischen Auseinandersetzungen musste Spahn schließlich akzeptieren, dass die Kaufsumme von 4,125 Millionen Euro genannt wird.
Lesen Sie hier das Gutachten: Die Grundbucheinsicht nach § 12 GBO durch Pressevertreter
Das Geschäft sorgte nicht nur für Aufsehen, weil es inmitten der Corona-Pandemie abgewickelt wurde, durch die große Teile der Bevölkerung in wirtschaftliche Probleme gekommen sind und in der die Leistungen des Ministers vielfach kritisiert wurden.
Fragen warf auch die Finanzierung des millionenschweren Immobiliendeals auf: Der Großteil der Kredite stammte offenbar von der Sparkasse Westmünsterland. Spahn, der in der Region seinen Wahlkreis hat, gehörte von 2009 bis 2015 dem Verwaltungsrat dieses Kreditinstituts an. Dies nährte Spekulationen über Netzwerke, die ihm bei der Kreditvergabe geholfen haben könnten.
Gutachten: Grundbücher müssen einsehbar bleiben
Dass sich der Bundesminister energisch gegen die Offenlegung von Informationen aus dem Grundbuch wehrte, war und ist nach Einschätzung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags – die auf den spezifischen Fall jedoch nicht eingehen – nicht rechtens. Grundbücher müssten "über den dinglichen Rechtszustand von Grundstücken Auskunft" geben und daher öffentlich zugänglich sein. Voraussetzung sei ein öffentliches und qualifiziertes Interesse.
Zwar genüge es nicht, wenn Medien die Informationen zur Befriedigung einer "in der Öffentlichkeit vorhandenen Neugierde oder Sensationslust" anforderten. Auch sei ein allgemein gehaltenes Rechercheinteresse nicht ausreichend.
Auskünfte müssten jedoch erteilt werden, "wenn es sich um eine Frage handelt, die die Öffentlichkeit wesentlich angeht (…) und wenn die Recherche der Aufbereitung einer ernsthaften und sachbezogenen Auseinandersetzung dient", schreiben die Bundestagsjuristen unter Verweis auf mehrere einschlägige Gerichtsentscheidungen. Dies gelte umso mehr, "wenn einer der betroffenen Eigentümer eine herausgehobene politische Stellung innehat".
Der Fall hatte sich im Februar dieses Jahres noch einmal zugespitzt, als bekannt wurde, dass Spahns Anwälte offenbar Journalisten mehrerer großer Redaktionen über deren Recherchen zu den Immobiliengeschäften ausforschten. Der davon auch betroffenen Berliner Tagesspiegel zitierte damals aus einem Schreiben der Anwälte an das Amtsgericht Berlin-Schöneberg vom Dezember 2020. Darin forderten die Juristen im Auftrag des CDU-Ministers den gesamten Schriftverkehr in der Sache zwischen dem Amt und Journalisten an.
Nach Tagesspiegel-Informationen verteidigte Spahns Anwalt Christian-Oliver Moser das Vorgehen mit dem Auskunftsrecht seines Mandanten. Zugleich sah Moser in der Herausgabe von Informationen an Journalisten "erhebliche Rechtsverstöße" des Grundbuchamtes.
Eigentümer darf nicht auf proaktive Auskunft über Presseanfragen rechnen
Beide Rechtsauffassungen weisen die Experten des Deutschen Bundestags in ihrer grundsätzlichen Einschätzung zur Grundbucheinsicht nach § 12 GBO durch Pressevertreter nun deutlich zurück:
Der Antrag auf Grundbucheinsicht ist seitens des Grundbuchamts ohne Beteiligung des betroffenen Eigentümers zu bescheiden. Eine vom Grundbuchamt im Nachgang zur Einsichtnahme proaktiv veranlasste Benachrichtigung des Eigentümers über die Einsichtnahme durch einen Pressevertreter würde der Rechtsprechung zufolge in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage für eine solche Benachrichtigung das von Artikel 5 GG gewährleistete Recht des Pressevertreters auf Informationsbeschaffung einschränken, sodass eine solche Benachrichtigung grundsätzlich zu unterbleiben hat.
Aus dem Sachstand der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags
Das Gutachten stützt damit nicht nur die Haltung der Berliner Datenschutzbeauftragten Smoltczyk. Es stimmt auch mit jüngsten Urteilen zu dem Themenkomplex überein.
"Es ist schon mal gut, dass Journalistinnen und Journalisten grundsätzlich ein Auskunftsrecht gegenüber dem Grundbuchamt haben und ihnen in den meisten Fällen Einsicht in die Akten gewährt werden muss", sagte gegenüber Telepolis die medienpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Doris Achelwilm.
Die Abgeordnete, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, plädierte zugleich für eine Verbesserung entsprechender Regelungen. Dies habe sich gerade angesichts der Kontroverse um den Immobilienkauf von Jens Spahn gezeigt. "Die Hürden zur Erlangung von Information sind für Auskunftsersuchende mit berechtigten Interessen nach wie vor relativ hoch", so Achelwilm, die hinzufügte:
Es ist nicht ausgeschlossen, dass Immobilieneigentümer oder ihre Anwälte ohne weitere Begründung die Protokolle der Einsichtnahme bekommen - und damit die Namen der hier tätigen Journalist*innen. Das ist im Ergebnis ein Mechanismus, der Recherchen erschwert und zweifelhafte Immobilienverstrickungen gesetzlich vor Transparenz und öffentlicher Debatte abschirmt. Diese antiquierte Regelung in der Grundbuchordnung muss zugunsten eines echten Transparenzregisters verändert werden, wie es auch Transparency International und sogar die EU-Kommission seit langem fordern.
Doris Achelwilm
Gut steht der Minister nach knapp einem Jahr Rechtsstreit also nicht da. Unlängst hatte das Oberlandesgerichts Hamburg im Rechtsstreit zwischen dem CDU-Politiker und dem Tagesspiegel entschieden (Az.: 7 U 16/21), dass die Berichterstattung über den Villenkauf von Anfang an rechtmäßig war und nicht hätte verboten werden dürfen.