MH17-Prozess: Keine belastbaren Satelliten- und Radardaten
USA, China und Russland liefern keine Satellitenbilder, die niederländische Staatsanwaltschaft hat wenig belastbare Beweise für die Behauptung, dass ein russisches Buk-System das Flugzeug abgeschossen hat
Am 8., 9. Und 10. Juni fand erneut Verhandlungen im Rahmen des Anfang März begonnenen MH-17-Prozesses im Justizkomplex am Schiphol-Flughafen mit dem Vortrag der Anklage der Staatsanwaltschaft statt. Der erst sechs Jahre nach dem Abschuss der malaysischen Passagiermaschine mit einer bislang dürftigen Beweislage gestartete Prozess wurde durch die Coronavirus-Pandemie ins mediale Abseits gestellt.
Auch jetzt war die Öffentlichkeit ausgeschlossen, nur zwei Verteidiger von Oleg Pulatow - der einzige der vier Angeklagten, der sich vor Gericht vertreten lässt -, zwei Anwälte der Opferangehörigen und einige Journalisten wurden eingelassen. Das Pressezentrum war geschlossen, die Sitzung wurde wie immer mit einem Live Stream übertragen, der aber nicht archiviert wird. Ausgerechnet Ruptly stellt das archivierte Video zur Verfügung. Das Interesse kann vielleicht auch daran abgelesen werden, dass zur abschließenden Pressekonferenz kaum jemand erschienen ist und nur zwei Fragen schriftlich gestellt wurden. Danach wird das Girkin-Interview von der Staatsanwaltschaft mit als Beweismittel verwendet und wuchs die Akte weiter von 36.000 auf 40.000 Seiten. Die Frage kam deswegen auf, weil zur Akte weitere Fotos, Berichte und andere Dokumente hinzugefügt und an die Richter und Verteidiger verteilt worden waren.
Überaschenderweise hatte der Vorsitzende Richter Hendrik Steenhuis am 23. März die Staatsanwaltschaft aufgefordert, die angeblich vorhandenen amerikanischen Satellitenbilder dem Gericht vorzulegen. Der damalige US-Außenminister John Kerry hatte kurz nach dem Abschuss behauptet, die US-Regierung sei im Besitz von Radarbildern, die beweisen würden, dass MH17 vom Separatistengebiet abgeschossen wurde. Er bezog sich darauf, dass der niederländische Geheimdienst Einblick in die Dokumente genommen hatte ( Richter verlangt Vorlage von US-Satellitenbildern).
An dieser Stelle sei verwiesen auf John Helmers Blog, auf dem er minutiös und kritisch den Prozess begleitet und die wichtigsten Punkte wiedergibt - wie hier für den 8. Juni über die amerikanischen Satellitenbilder. Begleitend dazu gibt es die Sitzungstage via-Ruptly-Videos und die Zusammenfassungen des Gerichts (hier für den 8. Juni).
Geheimnisvolles Memorandum
Am 8. Juni sagte Steenhuis nach Auskunft der Staatsanwaltschaft, es sei 2014 eine Anfrage wegen der Satellitenbilder an die US-Regierung gegangen, worauf ein "Memorandum" geschickt wurde. Einem auf Terrorbekämpfung spezialisierten Staatsanwalt sei es ermöglicht worden, das Memorandum anhand der ihm vorgelegten Geheiminformationen, die er vertraulich behandeln musste, zu überprüfen. Offenbar beurteilte er es auch durch Beratung mit anderen ungenannten Quellen als korrekt. Dazu hieß es in dem Memorandum, dass von seiten der USA keine "zusätzlichen Angaben über den Abschuss der Rakete" gemacht werden können. "Das war die Antwort der Staatsanwaltschaft auf die Frage des Gerichts", so Steenhuis abschließend. "Das Gericht versteht dies, dass als Ergebnis keine weiteren Informationen der Akte hinzugefügt werden."
Das heißt, das nichtssagende Memorandum wird der Akte hinzugefügt, es bleibt offen, ob es diese Satellitenbilder gibt und was auf ihnen zu sehen ist. Zwar gibt das Pentagon grundsätzlich keine Satellitenbilder von militärischen Satelliten heraus, aber man kann sich natürlich fragen, warum hier nicht eine Ausnahme gemacht wird, nachdem sich die damalige US-Regierung so weit aus dem Fenster gelehnt hat, und wenn die Bilder tatsächlich beweisen sollten, dass die Rakete vom Gebiet der Separatisten abgeschossen wurde. Das erinnert ein wenig an die angeblichen irakischen Massenvernichtungswaffen (Rumsfeld und der Gottesbeweis).
Zweifel lösten von Bonanza Media veröffentlichte Dokumente aus, nach denen der niederländische Militärgeheimdienst 2016 mit Verwies auf befreundete Dienste festgestellt hatte, dass keine der russischen oder ukrainischen Buk-Systeme um den Abschussort so lokalisiert waren, dass sie hätten MH17 abschießen können. Die in bevölkerten Gebieten stationierten russischen Buk-Systeme seien auch nach Beobachtung der Partner nicht benutzt worden. Man muss annehmen, dass die westlichen Geheimdienste hätten wissen müssen, wenn ein Buk-System aus Russland über die Grenze in die "Volksrepublik Donezk" gebracht worden wäre. Ausdrücklich schrieb der MIVD-Generalmajor Onno Eichelsheim, dass es unwahrscheinlich sei, dass ein Buk-System der ukrainischen Armee so schnell in Reichweite von MH17 hätte gebracht werden können. Auf der Seite der Separatisten habe es nur ein funktionsunfähiges Buk-System gegeben (Geleakte Dokumente).
Es gibt kein Satellitenbild von dem Buk-System, das MH17 abgeschossen haben soll
Am Dienstag verlas die Staatsanwaltschaft ihre Anklage (Video, zum Nachlesen sei wieder auf den Bericht von John Helmer verwiesen). Dabei ging es neben Radardaten auch wieder um Satellitenbilder. Der Staatsanwalt Thijs Berger sagte, dass Satellitenbilder nicht nur von den USA, sondern auch von China und Russland verlangt worden seien. Er gab immerhin den Namen des Staatsanwalts weiter, dem es erlaubt worden sei, die Satellitenbilder oder vielleicht auch nur "Informationen" einzusehen: Simon Mink.
Die USA wollen die Satellitenbilder nicht herausrücken (oder haben keine), sie hätten nur andere Informationen weitergeleitet, sagte der Staatsanwalt. Russland habe erklärt, man habe die Bilder nicht gespeichert, China räumte ein, dass es einen Satelliten über der Ostukraine zur Zeit des Abschusses gab, aber dass er nicht einsatzfähig gewesen sei.
Die von der Ukraine gelieferten Radardaten seien unvollständig, überhaupt wird wieder bestätigt, dass angeblich die ukrainischen zivilen und militärischen Radarstationen just an diesem Tag abgeschaltet waren. So soll auch die Radarstation des Flughafens Dniepropetrovsk außerhalb der Reichweite von MH17 beim Absturz gewesen sein. Die Aufzeichnung eines Telefongesprächs zwischen einem Fluglotsen in Dniepropetrovsk mit einem russischen Fluglotsen in Rostow würde aber belegen, dass das Radar durchaus in Reichweite war. Die Radardaten der Nato-AWACS-Flugzeuge seien auch nicht relevant.
Die Russen hätten schließlich primäre und sekundäre Radardaten weiter gegeben. Aber auch die könnten nicht beweisen, dass keine russische Buk-Rakete abgefeuert worden sei, die anderen Radardaten hingegen könnten nicht zweifelsfrei beweisen, dass es eine russische Rakete gab, woran die Staatsanwaltschaft aber festhält. Das führt zu seltsamen Konstruktionen. Obgleich auf den russischen Radardaten keine Rakete zu sehen sei, schließe dies nicht aus, dass doch eine MH17 abgeschossen habe. Man könne auch keine Hinweise auf ein anderes Flugzeug in der Nähe von MH17 finden. Während die Staatsanwaltschaft ausschließt, dass ukrainische Kampfflugzeuge zur Zeit in der Nähe waren, was von einigen Zeugen behauptet wird, schließt man nur aus, dass es keinen Beweis für die Abwesenheit einer Rakete gebe. Auf weitere Radardaten brauche man aber nicht zu hoffen.
Auch angefragte kommerzielle Satellitenbetreiber wie Google Earth oder Geoserve hätten keine "Bilder der relevanten Orte" bieten können. Auf jeden Fall gibt es kein Satellitenbild von dem angeblichen Buk-System, das MH17 abgeschossen haben soll. Die US-Geheimdienste legten nur kommerzielle Satellitenbilder vor, die aber nichts beweisen (Auch die US-Geheimdienste präsentieren Vermutungen).
Was bleibt von der Behauptung, dass ein russisches Buk-System aus Russland in die Ostukraine gebracht und nach dem Abschuss wieder nach Russland gebracht worden sein soll: Analysen von Bildern und Informationen aus dem Netz, besorgt von Bellingcat, und vom ukrainischen Geheimdienst SBU abgehörte Gespräche, die bearbeitet sein und aus dem Kontext herausgerissen sein könnten. Dazu Zeugen, die nicht im Gericht befragt werden können, weil sie um ihre Sicherheit fürchten.
Die nächste Sitzung findet am 22. Juni statt. Die Staatsanwaltschaft verlangt, dass die Verteidigung schon zuvor ihre Einwände mitteilt. Die Verteidiger bitten um Geduld und erklären, dass sie bis dahin nicht alle Einwände vorlegen können. Man sei durch die Coronavirus-Pandemie auch behindert gewesen, zum Verdächtigen nach Russland zu reisen.
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