Machtkampf in Frankreich spitzt sich zu

Seite 2: "Wir müssen zuschlagen, wo es weh tut"

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Die Regierung griff deshalb schon auf ihre strategischen Notreserven zurück. Sie ließ zum Teil auch Blockaden gewaltsam räumen, um für etwas Entspannung zu sorgen. Zuvor hatte Premierminister Valls "der CGT eine extrem harte Antwort" angekündigt.

Doch beeindruckt zeigten sich weder die CGT noch andere Gewerkschaften, die alles daran setzen, um die Reform zu Fall zu bringen. Am Donnerstag haben sie auf das gewaltsame Vorgehen der Regierung reagiert und nun ihre Streiks auch auf die Atomkraftwerke ausgeweitet. 16 der 19 Atomkraftwerke mit ihren 58 Meilern werden nun bestreikt. Schon am ersten Streiktag ging die Leistung um etwa 5 Gigawatt zurück. "Wir müssen zuschlagen, wo es weh tut", sagte der CGT-Vertreter Gilles Guyomard. "Das ist dort, wo es die Geldbörsen der Bosse trifft", fügte er an. Der große Stromanbieter EDF, der überwiegend in staatlicher Hand ist, ist da ein besonders gutes Ziel. Mit seinen hohen Schulden und massiven Problemen ist er wegen seiner völlig fehlgeleiteten Energiepolitik ohnehin angeschlagen. ("Atomkraftwerke sind wirtschaftlich nicht tragbar")

Abschalten wollen die Gewerkschaften die Atomkraftwerke nicht. Allerdings soll die Leistung gesenkt und dafür gesorgt werden, dass Meiler, die gerade abgeschaltet sind, nicht wieder ans Netz gehen. Dass es zu einem Blackout kommt, wird allseits nicht erwartet. Doch kam es schon zu vereinzelten Stromausfällen in diversen Regionen und Städten, auch wenn die Regierung das Gegenteil behauptet. Betroffen war zum Beispiel der größte Supermarkt Europas im südfranzösischen Marseille, auch einige Stadtteile von Nantes waren zeitweise ohne Strom.

Die Lage wird zunehmend problematischer. So hat der Verband der kleinen und mittelständischen Unternehmen (CGPME) zahlreiche Betriebe befragt. Zu den Ergebnissen erklärte der Verbandspräsident Francois Asselin:

Wir haben gestern etwa 700 Betriebe befragt. 70 Prozent der Unternehmer gaben an, Ende nächste Woche ihre Firmen schließen zu müssen, wenn die Streiks und die Blockaden der Raffinerien bis dahin weitergehen.

Etwa ein Viertel der befragten Unternehmen habe erklärt, schon jetzt könnte die Mehrheit ihrer Mitarbeiter gar nicht mehr oder nur unregelmäßig zur Arbeit kommen, weil sie keinen Treibstoff für ihre Fahrzeuge bekommen. Das scheint etwas übertrieben, es könnte aber sein, dass einige Beschäftigte das Argument benutzen, um sich verdeckt den Protesten anzuschließen.

Die Zustimmung für die Aktionen der Gewerkschaften ist groß in der Bevölkerung. Die Germanistin und Medienwissenschaftlerin Valérie Robert erklärt, warum das der Fall ist. Und ihre Argumentation teilen viele Menschen im Land. "Wir haben eine Regierung, die von ihrem Programm völlig abgewichen ist." Eine angeblich sozialistische Regierung habe es geschafft, die gesamte Wählerschaft zu enttäuschen, "die aufgrund eines linken Programms gewählt worden ist". Auch sie ist gegen die Reform und für die Proteste, auch wenn das mit Unannehmlichkeiten verbunden ist. "Ein Streik, der niemand stört, hat wohl wenig Chancen auf Erfolg." Letztlich habe die Regierung die ganze Verantwortung für die Vorgänge.

Auch die Regierung weiß, wie isoliert sie ist. Deshalb verschärft der Premier einerseits seine Drohungen, stellt aber andererseits auch "Verbesserungen und Veränderungen" an der Reform in Aussicht. Einige Beobachter glauben deshalb schon, dass die Regierung "kurz vor dem Einknicken" sei. Das kann aus den Worten von Valls bisher aber noch nicht abgeleitet werden. Er will bestenfalls zu Kosmetik greifen und sich nicht als dialogfeindlicher Hardliner zeigen, aber auch nichts an der Zielrichtung des Textes ändern. Damit richtet er sich auch gegen den Vorschlag seines Finanzministers Michel Sapin und anderer Sozialisten, die angeregt hatten, den Artikel 2 des Gesetzes neu zu verhandeln.

Das ist der zentrale Streitpunkt, an dem sich die Gewerkschaften besonders stoßen. Denn sie sollen als Nebeneffekt darüber entmachtet werden. Dieser Artikel erlaubt es den leichter erpressbaren Belegschaften in Betrieben, sich über Betriebsvereinbarungen über allgemeine Manteltarifverträge und die gesetzliche 35-Stunden-Woche hinwegzusetzen.

Valls kündigte seinerseits an, dass die Regierung fortfahren werde, Blockaden zu räumen. Er begründet das damit, dass diese "Situation unserer Wirtschaft schaden kann". Eine Änderung des Artikels 2 kommt für ihn nicht in Frage. "Es ist nicht die CGT, die die Gesetze im Land macht." Um die Drohungen zu bekräftigen, zogen an den blockierten Raffinerien starke Sondereinsatzkräfte der Polizei auf. Würden die Blockaden geräumt, wäre kaum etwas gewonnen, denn die Mehrzahl der Beschäftigten streikt.

Es droht auch die Blockade der Europameisterschaft

Nachdem sich Präsident François Hollande bisher stark zurückgehalten hat, unterstützt er nun die Haltung seines Premiers. Beim G7-Gipfel in Japan erklärte er, es handele sich "um eine gute Reform", die er "zu Ende bringen will". Er bekräftigte, dass ihrer Zielrichtung nicht geändert werde. Er kopiert fast vollständig die Wortwahl von Valls und meint, es sei nicht die CGT, die die Gesetze im Land mache. Er kündigte zudem an, es sei die "höchste Pflicht" der Regierung, die Bewegungsfreiheit der Menschen und das normale Funktionieren der Wirtschaft zu sichern.

Somit ist klar, dass nun mit einer weiteren Zuspitzung zu rechnen ist, da die Regierung an einem Vorhaben festhält, für das sie weder eine Mehrheit im Parlament noch in der Bevölkerung hat. Die Gewerkschaften und die Protestbewegung nuit debout sehen dagegen eine klare Mehrheit hinter sich. Und da sie nicht aufgeben wollen, ist nun auch klar, dass die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich nicht unbeeinträchtigt bleiben wird, sollte die Regierung ihr Projekt nicht zurückziehen oder verhandeln. Ganz einig sind sich die Gewerkschaften in ihren Positionen nicht. Die große CGT fordert klar die Rücknahme, der Chef der drittstärksten Force Ouvrière nur neue Verhandlungen.

Der CGT-Chef Philippe Martínez hat derweil erklärt, noch habe die Regierung die Chance zum Einlenken. Er droht mit einer "Generalisierung der Streiks". Sollte die Regierung die Reform nicht zurückziehen, droht auch die Blockade der Europameisterschaft. Aufgerufen wurde am Freitag insgesamt zu einer weiteren Ausweitung der Aktionen, nachdem am Donnerstag bis zu 300.000 Menschen in verschiedenen Städten demonstriert haben. "Jeder Tag muss ein neuer Schwung in der Mobilisierung sein", forderten sieben Gewerkschaften gemeinsam. Sie wollen nun bis zum 14. Juni eine Volksabstimmung über das Gesetz in den "Unternehmen, den Verwaltung en und den Bildungseinrichtung" durchführen. Zum Abschluss wird es an diesem Tag eine große nationale Demonstration in der Hauptstadt Paris geben, während die Europameisterschaft schon läuft. Schon für den Tag des Eröffnungsspiels am 10. Juni wurden neue Streiks angekündigt, zum Beispiel in der Pariser Metro.