Machtwechsel in Mazedonien

Seite 2: "Die internationale Gemeinschaft hat den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben"

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Mit Zoran Zaevs Wahl zum Regierungschef fand ein wochenlanger Grabenkrieg sein zumindest vorläufiges Ende. Seit Anfang März 2017 hatte sich der Gruevski nahestehende Staatspräsident Gjorge Ivanov geweigert, Zoran Zaev das Mandat zur Regierungsbildung zu erteilen, obwohl dieser mit den Albanerparteien eine parlamentarische Mehrheit vorweisen konnte (Eskalation in Mazedonien). Am 27. April 2017 eskalierte der Stellungskrieg mit einem Parlamentssturm von rund einhundert nationalistischen Demonstranten. Sie drangen in das Gebäude der mazedonischen Volksversammlung ein, schlugen SDSM-Führer Zaev den Kopf blutig und verletzten dutzende Menschen.

Die Umsetzung der von den Albanern mit den Sozialdemokraten getroffenen Vereinbarungen für das Regierungsbündnis gefährdeten die Einheit Mazedoniens und seine Souveränität, begründete Präsident Ivanov seine verfassungsrechtlich umstrittene Mandatsverweigerung. Die Forderungen der Albaner streben die Erhebung des Albanischen zur zweiten offiziellen Landessprache an und sahen Veränderungen der Staatssymbole Flagge, Wappen und Hymne vor, um die rund ein Viertel der zwei Millionen Bürger ausmachenden Albanern stärker in ihnen zu repräsentieren.

Es bedurfte einer regen Reisediplomatie der "Westmächte" Europäische Union und USA sowie Zaevs schriftlicher Garantie, nichts zu unternehmen, das die verfassungsmäßige Ordnung des Landes verletze, um Präsident Ivanov Mitte Mai 2017 schließlich dazu zu bewegen, seine Blockadehaltung aufzugeben und Zaev den Regierungsauftrag zu erteilen.

Nikola Gruevski bestreitet, dass Zoran Zaevs Regierung dem Volkswillen entspricht. Seiner Ansicht nach ist die sozialdemokratisch-albanische Koalitionsregierung auf Druck der EU und der USA zustande gekommen. "Wir sind in den vergangenen Jahren zum Operationsobjekt ausländischer Zentren geworden mit dem Ziel des Machtwechsels", behauptet er und wirft insbesondere den von George Soros finanzierten Bürgerrechtsorganisationen und Medien vor, den Umsturz betrieben zu haben. Russland stellte sich als einzige internationale Großmacht auf die Seite von Präsident Ivanov und VMRO-DPMNE-Chef Gruevski und warnte vor der Gefahr der Entstehung eines Großalbaniens.

"Ich werde ein Regierungschef aller Mazedonier sein", hat Zoran Zaev versprochen und sich damit konträr zur in den vergangenen Wochen oft gehörten Losung "Mazedonien den Mazedoniern" gestellt. Der neue Regierungschef muss mit seiner selbsterklärten "Reformregierung" den politischen Spagat schaffen und gleichermaßen die slawischen Mazedonier wie die Albaner zufriedenstellen. Gelingt ihm dies nicht, könnte seine SDSM die für den Herbst bevorstehenden Kommunalwahlen verlieren, dann wäre es mit der gerade gewonnenen politischen Stabilität vermutlich wieder vorbei.

Bei seiner Regierungserklärung im Parlament nannte Zaev die Dynamisierung der Wirtschaftsentwicklung, professionell und gerecht arbeitende Institutionen und schnellstmögliche Integration des Landes in NATO und EU als Prioritäten seiner Regierungspolitik. Insbesondere die Beitritte zu EU und NATO haben während der zehnjährigen Amtszeit von Nikola Gruevski keine Fortschritte gemacht, wurden von Griechenland wegen des Streits um den Namen Mazedonien blockiert.

Albanerviertel in Skopje. Bild: F. Stier

Zoran Zaev verspricht eine Reihe sozialer Vergünstigungen; er will den Mindestlohn von 230 € auf 260 € anheben, die Rundfunkgebühr abschaffen und begünstigte Stromtarife einführen. "Nicht einmal der Weihnachtsmann würde so etwas tun", kommentierte dies sein Amtsvorgänger Gruevski abfällig.

Um seine Sozialpolitik finanzieren zu können, kalkuliert Zaev mit einem durchschnittlichen Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 5% während seiner vierjährigen Amtszeit. Doch selbst wenn es ihm gelingen sollte, verlorengegangenes Investorenvertrauen zurückzugewinnen, dürfte dies schwierig zu erreichen sein. Die jahrelange politische Krise hat sich spürbar negativ auf die Wirtschaft ausgewirkt, so hat die EU ihre Wachstumsprognose für das laufende Jahr bereits von 3% auf 2,4% herunter korrigiert. Dies scheint aber zu wenig, um die mit über dreiundzwanzig Prozent hohe Arbeitslosigkeit spürbar zu senken.

Es werde unter seiner Regierung "Null Toleranz für Korruption" geben, so Zoran Zaev. Genau darin sehen seine Kritiker aber seine Schwachstelle. Ihnen zufolge hat die "internationale Gemeinschaft den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben", existiert doch auch von Zoran Zaev ein verdeckt aufgenommenes Video, das ihn als Bürgermeister von Strumica im Gespräch über Schmiergeldzahlungen für ein Bauprojekt zu zeigen scheint. Zudem sitzen in seiner Regierung Minister der albanischen DUI, gegen die die Sonderstaatsanwaltschaft wegen ihrer vorigen Amtstätigkeit in der Gruevski-Regierung ermittelt. Einer von ihnen, der frühere Gesundheitsminister Bujar Osmani, soll als EU-Integrationsministerium den EU-Beitritt des Landes vorantreiben.

"Nikola Gruevski hat viel für Mazedonien getan und kann dem Land auch in Zukunft noch viel helfen", sagt Timcu Mucunski. Im November 2015 wurde er im Alter von nur sechsundzwanzig Jahren stellvertretender Minister für die Informationsgesellschaft und Verwaltung im Kabinett Nikola Gruevski. Jetzt will der Jurist zurück in seine akademische Laufbahn an die Universität. Mucunski erwartet keine dauerhaft stabile Existenz der Regierung Zaev. "Ob sich das zerrüttete Verhältnis der Parteiführer der beiden verfeindeten politischen Lager normalisieren kann, wird davon abhängen, ob Zaev eine revanchistische Linie verfolgt", sagt er.

In der Wirtschaftspolitik sieht Mucunski den grundlegenden Unterschied zwischen der VMRO-DPMNE-Regierung und dem SDSM-Kabinett. Habe Gruevski eine Politik der investorenfreundlichen Steuererleichterung betrieben, so sei von Zaev eine steuerfinanzierte Ausgabenpolitik zu erwarten, die das Land für Investoren riskant erscheinen lasse. Dass Gruevski in den vergangenen Jahren die meisten Medien für Propagandazwecke missbraucht und in die Hoheit der Justiz eingegriffen habe, bestreitet Timco Mucunski und hält den Politiker Nikola Gruevski längst noch nicht für abgeschrieben. "Bei den Kommunalwahlen im Herbst werden die Karten neu gemischt", sagt er zuversichtlich.