Macron will Frankreichs Sonntagsruhe beenden
Frankreich: Die sozialdemokratische Regierung will mit einer Vielzahl von Einzelreformen Bewegung ins Land bringen und französische Krankheiten überwinden
Die Brüsseler Macht, die durch den Pariser Dieselsmog in den Elysée dringt, muss ungeheuerlich sein: "Von morgens bis abends sind Präsident Hollande und Wirtschaftsminister Macron damit beschäftigt, Brüssel zu beruhigen", informiert ein Staatssekretär. Frankreich ist immerhin die zweitgrößte Volkswirtschaft der EU, eine tragende Säule. Sollte die Mehrheitsstimmung zuungunsten der EU kippen, würde es düster für die Gemeinschaft. Wäre da nicht mehr Souveränität angebracht?
In Paris regiert Aktivismus. Wie bekannt, überschreitet Frankreich das erlaubte Staatsdefizit auch beim Budget für 2015; die Regierung setzt darauf, dass die Brüsseler Vorgaben bald erreicht werden - wenn die Konjunktur endlich anzieht. Paris baut auf eine wiederbelebte Wirtschaftskraft, aber die Zahlen zeigen das noch nicht, die Aussichten für eine konjunkturelle Belebung sind weiter schlecht, hieß es auch letzte Woche. Junker verstärkte den Druck aus Brüssel, der Hitze dafür kommt mit größter Wahrscheinlichkeit aus Berlin. Sicher ist: Das Sprachrohr der deutschen Regierung in Brüssel, Kommissar Oettinger, macht gehörig Dampf: Frankreich muss Sparwillen dokumentieren (Frankreich: Druck auf Löhne und Kündigungsschutz).
Gestern hat nun der neue Wirtschaftsminister Macron dem Ministerrat ein neues Wirtschaftsaktivitätsprogramm vorgelegt, das angenommen wurde. Le Monde bezeichnet das "Loi Macron", das "Attraktivität für den Wirtschaftsstandort Frankreich schaffen und entwickeln" will, als Reisetasche oder Rumpelkammer, als "fourre-tout", in das man alles Mögliche hineinsteckt. Tatsächlich wird das Reformprogramm in eine Hülle aus großen Worten verpackt, die ein griffiges Design vorgeben, und verblüfft, wenn man sich den Inhalt besieht, mit einer verwirrenden Vielfalt an losen Einzelposten.
"Die drei Krankheiten Frankreichs"
Drei Krankheiten macht Macron für die französische Wirtschaftsmalaise verantwortlich: Misstrauen, Komplexität und Standesdenken, d.h. "corporatisme" - im gegenwärtigen Deutsch auch mit "Gruppenegoismus" übersetzt wird. Daraus resultiere ein Stillstand, den Macron nun mit einer Reihe unterschiedlichster Gesetzesänderungen beleben will.
Zuerst ist zu bemerken, dass von den ganz großen, umstrittenen Reformthemen, die zuletzt in die Debatte kamen, die von Arbeitgebern, aber auch von Premierminister Valls in die Debatte gebracht wurden, von der Reform der 35-Stunden-Woche, den Lockerungen bei den Arbeitsverträgen und beim Kündigungsschutz und der Absenkung des Mindestlohns nichts in den neuen Reformgesetzen steht, die dem Parlament im neuen Jahr vorgelegt werden. An diesen Tabus wollen die Sozialdemokraten noch nicht rühren. Man verfolgt eine Politik aus vielen kleineren Schritten.
Sonntags arbeiten - "in welcher Gesellschaft wollen wir leben?"
Dazu gehört das Sonntagsarbeitstabu. Machron will, dass die Geschäfte ohne eigens ausgestellte Erlaubnis künftig an fünf Sonntagen öffnen können und mit einer Erlaubnis des zuständigen Rathauses auch zwölf. In Touristenzentren, zum Beispiel in Paris, sollen die erlaubten Öffnungszeiten bis Mitternacht reichen. Umstritten ist, mit welchen Lohnkompensationen dies entgolten wird und wer darüber verhandeln darf. Doch zeigt etwa die empörte Reaktion der früheren PS-Vorsitzenden Aubry, dass hier an Grundlegendem gerührt wird.
Es gehe bei dieser Frage letztendlich darum, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ob "wir aus dem Konsum Alpha und Omega unserer Gesellschaft machen wollen", schreibt sie und betont die Wichtigkeit der sonntäglichen Pause. Politisch relevant ist, dass Aubry einen nicht unbedeutenden Flügel des PS vertritt, der mit den Aufbruchsideen von Ministerpräsident Valls und Wirtschaftsminister Macron über Kreuz steht.
Öffnung für Fernbuslinien und Juristen
Die anderen Reformen aus der Macronschen "Reisetasche" haben weniger symbolischen Widerstand, als konkreten Widerspruch verursacht. Am besten kommt bislang noch die Liberalisierung des Busverkehrs an. Macron hebt das Verbot von Fernbuslinien auf und will generell Regelungen in diesem Bereich so vereinfachen und lockern, dass Busse eine echte Alternative zu Zügen werden, billiger und mit einem guten Netz. Dies komme vor allem Personen entgegen, für die Bahnkarten zu teuer sind, so der Wirtschaftsminister.
Dazu kommen Gesetze, welche die Regeln für bestimmte Berufe, etwa Notare, Rechtsanwälte und Gerichtsvollzieher, lockern, so dass die Eröffnung von Kanzleien erleichtert wird. Dazu sollen Gebühren gesenkt werden. Widerstand kommt hier von den Etablierten, die von dem bisherigen, weniger durchlässigen Berufsregelwerk profitierten. Die Regierung folgt hier dem Grundsatz, dass mehr Konkurrenz das Geschäft belebt. Umstritten ist auch, dass hier Apotheken, eine Art "Ständebastion" Privilegierter, von solcher Liberalisierung ausgeschlossen sind.
Bemerkenswert unter den Vorschlägen aus dem Katalog der 106 Artikel ist darüberhinaus, dass Makron den Verkauf von staatlichen Unternehmensbeteiligungen plant. Damit sollen in den nächsten anderthalb Jahren zwischen fünf und zehn Milliarden Euro eingespart werden, die teilweise für den Abbau des Defizits verwendet werden sollen. Welche Beteiligungen aufgegeben werden, ist noch ungewiss. Wie auch die Gesamtwirkung dieses Mosaiks an Einzelreformen.