Mädchen können besser lesen und vor allem besser schreiben
Nach einer Studie hat sich hier in den letzten 30 Jahren nichts verbessert, der Geschlechterunterschied tritt spätestens ab der 4. Klasse auf und verstärkt sich dann
Irgendwie stimmt etwas nicht mit dem Patriarchalismus, der noch immer in den Köpfen vieler Männer - und auch mancher Frauen - aus rechten, muslimischen oder anderweitig religiös oder ideologisch belasteten Kreisen herrscht. Männer sollen führen, in den Hierarchien oben stehen, sind nicht nur stärker und dominierender, sondern auch klüger. Damit das so bleibt, hat man lange Türen zugehalten. Jetzt aber sollen schon Frauen in Saudi-Arabien ein Auto fahren dürfen, dort studieren auch bereits mehr Frauen als Männer, auch bei den Hochschulabschlüssen sind die Frauen zahlenmäßig überlegen. In den STEM-Fächern stellen die saudischen Frauen in Biologie, Mathematik, Physik und IT eine Mehrheit von über 60 Prozent, nur die Ingenieurswissenschaften und die Architektur sind noch eine Männerdomäne.
Schon lange ist bekannt, dass Mädchen bessere Schulleistungen erzielen als Jungen, in vielen Universitätsfächern stellen sie die Mehrheit, auch bei den Abschlüssen. Und weil Frauen damit Männer übertrumpfen und ebenfalls auf finanzielle Unabhängigkeit und Karriere setzen, jammern manche Männer schon vom Niedergang ihres Geschlechts, was von manchen Männern mitunter der feminisierten Ausbildung in Horten, Kindergärten und Schulen zugeschrieben wird.
Eine im American Psychologist erschienene Studie von australischen Wissenschaftlern der Griffith University macht nun erneut deutlich, dass Mädchen beim Lesen und Schreiben schon bald die Jungen abhängen. Spätestens ab dem 4. Schuljahr sind die Mädchen besser und der Abstand zu den Jungen vergrößert sich mit wachsendem Alter. Zudem ist der Anteil der "schlechten" Leser und Schreiber bei den Jungen höher als bei den Mädchen, bei denen mehr zu den "guten" gehören.
Die Wissenschaftler analysierten Daten des National Assessment of Educational Progress. Hier wurden die standardisierten Testergebnisse aus der 4., 8. und 12. Klasse von mehr als 3,9 Millionen Schülern über 27 Jahre in den USA gesammelt. Die Auswahl der Schüler ist repräsentativ. Danach können nach den Testkriterien Mädchen ab der vierten Klasse signifikant besser lesen und schreiben als Jungen, auch wenn der Unterschied noch relativ klein ist.
In späteren Jahren wird der Abstand vor allem im Schreiben ausgeprägter. Ob die Unterschiede schon beim Lernen von Lesen und Schreiben bestehen, konnte mit den Daten nicht erfasst werden, man könnte aber vermuten, dass Mädchen bereits beim Schuleintritt besser sind. Dass die Unterschiede beim Schreiben größer sind als beim Lesen, führen die Autoren darauf zurück, dass Schreiben komplexer ist, was den Geschlechtsunterschied verstärke.
David Reilly, einer der Wissenschaftler, geht davon aus, dass der Geschlechterunterschied bei Schreibleistungen bislang stark unterschätzt wurde. Auch neue Unterrichtsmethoden hätten im Laufe der 27 Jahre daran nichts geändert. In der Forschung habe man sich mehr mit der Lesekompetenz beschäftigt.
Bremst das männliche Rollenmodell die Lese- und Schreibkompetenz der Jungen?
Die Wissenschaftler spielen einige Möglichkeiten durch, welche Gründe es für das schlechtere Abschneiden der Jungen geben könne. So haben Jungen statistisch mehr Lernbehinderungen. Es könnte aber auch sein, dass das Rollenmodell Jungen hindert, Lesen und Schreiben wichtig zu nehmen und sie sich auch untereinander unter Druck stellen, eher in männlichen Normen zu brillieren, was in einer Wissensgesellschaft aber nicht mehr vom Erfolg gekrönt wird.
Lesen, Schreiben und Sprechen werden nach Untersuchungen eher als weibliche Stereotypen betrachtet. Und sich flüssig ausdrücken zu können, ist eine Voraussetzung für das Schreiben. Hinderlich für die Jungen können Verhaltensprobleme wie körperliche Aggression sein, Widerstand gegen die Lehrer oder eben auch die Aufmerksamkeitsstörung, die eher bei Jungen diagnostiziert wird als bei Mädchen.
Die Wissenschaftler scheinen eher dazu zu neigen, dass der Geschlechtsunterschied etwas mit neurobiologischen Prozessen zu tun haben könnte. So sollen Mädchen, wenn sie Lese- und Schreibaufgaben bewältigen, eher beide Gehirnhälften benutzen, während bei Jungen oft nur eine aktiv ist: "Bilaterale Sprachfunktionen bringt wahrscheinlich einige Vorteile mit sich", meint Reilly. "Das könnte den beobachteten weiblichen Vorteil bei solchen Aufgaben erklären."
Mit der Highschool und vor allem beim Studium werden selbständige Lese- und Schreibkompetenzen immer wichtiger. Auffällig sei, dass mehr Frauen ein Hochschulstudium aufnehmen und auch mehr Frauen einen Hochschulabschluss machen. Eine Folge der Studie müsste sein, die Lese- und vor allem Schreibkompetenz der Jungen anders zu fördern. Die Autoren raten aber davon ab, Jungen und Mädchen wieder zu trennen. Das würde die Geschlechterstereotypen nur verstärken, was sich negativ für Jungen beim Lesen und Schreiben und bei Mädchen für Mathematik und Wissenschaft auswirken würde.