Männer am Rande des Nervenzusammenbruchs

Seite 2: Autofahrt mit nackter Frau

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Jetzt das Positive: Die Warner Bros. bringen Metropolis bundesweit ins Kino. Da gehört er hin, und deshalb gibt es daran, als isoliertes Ereignis betrachtet, auch nichts zu meckern (eine erkennbare Gesamtstrategie der Murnau-Stiftung zur Verbreitung deutscher Filmkultur wäre trotzdem wünschenswert). Schon ist wieder zu lesen, dass Metropolis in das Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen wurde, zusammen mit Beethovens Neunter und der Gutenbergbibel. Davon sollte man sich nicht erschrecken lassen. Friedrich Wilhelm Murnau, dem unsere Stiftung ihren Namen verdankt, hat Faust wie einen Comic verfilmt (erhältlich bei MoC in England), und Fritz Lang hat das Nibelungenlied, das Nationalepos der Deutschen, als Gangsterfilm mit psychisch gestörten Bandenchefs auf die Leinwand gebracht. Wir sollten es Lang und Murnau gleich tun und uns auch den deutschen Filmklassikern, zumal den stummen, auf diese Weise nähern: respektlos, nicht demütig und auf Knien.

Metropolis

Irgendetwas aus Metropolis, wenigstens den Roboter, kennt heute jeder. Der Film, oder zumindest Teile davon, hatten maßgeblichen Einfluss auf die Science Fiction (Ridley Scotts Blade Runner ist ohne Lang schwer vorstellbar). Trotzdem soll hier kurz die Handlung skizziert werden, für alle Fälle:

Joh Fredersen ist der Herr über die titelgebende Metropolis. Seine Stadt wird von der Vertikalen dominiert, architektonisch wie gesellschaftlich. In den zum Himmel aufschießenden Wolkenkratzern führen die Kapitalisten ein sorgloses Leben. Tief unter der Erde haben die Arbeiter ihre Wohnquartiere; sie halten die Maschinen am Laufen, ohne die Fredersens Stadt der Zukunft nicht existieren könnte. Noch weiter unten gibt es uralte, in frühchristliche Zeit zurückreichende Katakomben. Dort versammelt die jungfräuliche Maria die Arbeiter um sich, predigt von Ausgleich und gegenseitigem Verständnis. Freder, Johs Sohn, liebt Maria, die vom Erfinder Rotwang entführt wird. Rotwang hat einen Roboter gebaut, dem er Marias Aussehen gibt. Die falsche Maria, zugleich Femme fatale und Agitatorin, verdreht den Söhnen der Kapitalisten den Kopf und ruft die Arbeiter zum Sturm auf die Maschinen auf …

Sehr charakteristisch ist eine der nun wieder eingefügten (und leider noch immer unvollständigen) Szenen. Georgy, Arbeiter Nr. 11811, fährt in Freders Auto durch die Metropolis. In seiner Tasche findet er Geld. Unterwegs hält sein Wagen neben dem einer Prostituierten. Georgy kann kaum glauben, was er da sieht (oder zu sehen glaubt). Drehbuch: "Frau lächelt, Mantel fällt. […] Nackte Frau: Die Frau im Wagen nebenan. Ihre Hände streichen über Schultern und Brüste, im Streichen der Hände verschwindet das Kleid." Durch das Fenster flattern Flugblätter herein, auf denen für das Vergnügungszentrum Yoshiwara geworben wird (benannt nach dem Rotlichtviertel im japanischen Edo, dem heutigen Tokio). Das alles löst bei Georgy Phantasien von käuflicher Liebe, Glücksspiel, Gesang und Tanz aus.

Metropolis

Lang spricht in dieser kurzen Szene auf sehr ökonomische Weise einige der Themen an, die Metropolis heute so modern erscheinen lassen: Doppelgängertum und wechselnde Identitäten (Georgy hat seine dunkelblaue Arbeiterkluft mit Freders weißen Seidenkleidern vertauscht, an denen die Söhne aus der Oberschicht zu erkennen sind); die Schaulust als konstituierendes Element der Kinematographie und deren kritische Hinterfragung; die Verwischung der Grenze zwischen subjektiver und objektiver Einstellung, zwischen Imagination und Wirklichkeit; und damit verbunden die Frage nach der Zuverlässigkeit der Bilder, die wir auf der Leinwand zu sehen bekommen.

Symptomatisch ist der Werbezettel für das Yoshiwara, der aus Zitaten (von Oscar Wilde und Omar Khayyam) zusammengesetzt ist wie große Teile des Films auch. Das Kreativpaar Lang und Harbou hatte keine Angst vor Eklektizismus. Das dürfte einer der Gründe sein, dass Metropolis im Zeitalter der das Zitat als Stilmittel verarbeitenden Postmoderne wiederentdeckt wurde und sich seither einer steigenden Beliebtheit erfreut. H.G. Wells’ The Time Machine (die Morlocks und die Eloi) stand genauso Pate wie Yakov Protazanovs Film Aelita (1924), wo sich die Kostüm- und Bühnenbildner austoben durften, damit die in unterirdischen Verliesen gehaltenen Arbeiter in einem von Art Deco und Konstruktivismus inspirierten Ambiente das Schloss der Unterdrücker stürmen können, wenn auf dem Mars die Revolution ausbricht.

Aelita

Die Menschheit bedrohende Androiden wie die falsche Maria gab es zuvor schon in Karel Čapeks Stück R.U.R. (die Abkürzung für Rossums Universal-Roboter, 1921), und Rotwang würde auch in Die künftige Eva (1886) eine gute Figur machen, einem symbolistischen Roman von Villiers de L’Isle-Adam, in dem Thomas Alva Edison eine Roboterfrau erschafft. Jules Vernes Das Karpathenschloss (1892) kannten Lang und Harbou sicher auch; da konserviert Baron von Gortz die verstorbene Geliebte mit Hilfe eines projizierten Bildes, als habe er ein paar Jahre vor den Lumières das Kino erfunden.

Mittler zwischen Hirn und Händen, mit Mondrakete

Diese und andere Einflüsse sind bisher kaum diskutiert worden, obwohl es für ein Verständnis des Films sehr förderlich wäre. Ich erkläre mir das mit zwei für die Metropolis-Rezeption ungünstigen Umständen: 1. Der Fragmentcharakter hat dazu geführt, dass man sich für die fehlenden Teile fast mehr interessierte als für das, was in den verschiedenen Stadien der Rekonstruktion vorhanden war. Als der Ullstein-Verlag Harbous Roman 1984 neu auflegte (wohl animiert durch den Kinostart der Moroder-Version), steuerte Herbert W. Franke ein Nachwort bei, in dem wieder einmal davon berichtet wird, dass Fritz Lang die Ufa ruinierte und dem Nazifreund Alfred Hugenberg in die Arme trieb. Außerdem erfährt man, dass der Film ursprünglich über sieben Stunden lang gewesen und in zwei Teilen gezeigt worden sei. Das ist nicht nur miserabel recherchiert, es zeugt auch von der Überbetonung der fehlenden Stücke (sowie davon, dass viel Unsinn über Metropolis im Umlauf ist).

Und 2.: Alle (oder doch alle, die ich kenne) hassen den Schluss und fühlen sich deshalb dazu aufgerufen, über dieses Ende mehr oder weniger ausführlich zu sinnieren, weshalb für anderes kein Platz mehr bleibt. Sollte jemand das Happy Ending vergessen oder verdrängt haben: Nach der Revolte treffen sich Grot (Heinrich George), Werkmeister der Herzmaschine und jetzt Repräsentant der Arbeiter und Joh Fredersen (Alfred Abel) vor der Kathedrale. Unter Anleitung der engelsgleichen Maria, und mit Freder als Vermittler, reichen die beiden sich die Hände, auf dass in Zukunft alles besser werde. Thea von Harbou ließ sich dazu einen berüchtigten Sinnspruch einfallen: "Mittler zwischen Hirn und Händen muss das Herz sein."

Metropolis

Auf diesen Schluss wird unermüdlich eingedroschen, weil man einen Klassenkonflikt wie den zuvor gezeigten nicht mit den Mitteln der Schmonzette auflösen könne und so weiter und so fort. Lang wurde später mehrfach gedrängt, dazu Stellung zu nehmen, und er übernahm dann immer sehr galant die Hälfte der Verantwortung, statt seiner Ex-Frau die alleinige Schuld zuzuschieben. Als er Metropolis drehte, erzählte er Peter Bogdanovich (Fritz Lang in America, 1967), sei er noch ohne ein politisches Bewusstsein gewesen, und nur deshalb habe er Herz, Hirn und Hand so akzeptiert. Die Debatte, die regelmäßig mit dem Urteil endet, dass der Schluss ganz indiskutabel sei, feuerte er damit nur weiter an, obwohl das bestimmt nicht seine Absicht war.

Ich würde dafür plädieren, den Film für sich selber sprechen zu lassen (in der jetzt weitgehend wiederhergestellten Fassung kann er das so gut wie seit 1927 nicht mehr) und die Möglichkeit zu bedenken, dass das Ende ironisch gemeint sein könnte, auch wenn man das der zu Schwulst, Kitsch und Pathos neigenden Thea von Harbou, der Parteigängerin des humorlosen Adolf Hitler, nicht zutrauen möchte. Vielleicht hat Lang ihr etwas untergejubelt, oder die "Nazi-Thea" war doch vielschichtiger, als man gemeinhin denkt. Denn was ist von einer Autorin zu halten, die ein Heldenepos mit lauter üblen Typen schreibt, die sich aus niedrigen Beweggründen gegenseitig umbringen, um das Werk sodann "dem deutschen Volke" zuzueignen? Die Rede ist von den Nibelungen, die im Pressetext als "ein Haufen falschherziger Mörder" angekündigt wurden, was schon vor der Premiere für wütende Proteste deutscher Patrioten sorgte?

Die Nibelungen - das war doch das Ritterepos, das Goebbels so begeisternd fand, dass er dem Regisseur 1933 "die Führerschaft des deutschen Films" antrug? Oder liebte Goebbels Metropolis? Die Begegnung Langs mit dem Propagandaminister ist inzwischen so oft nachgebetet worden, mal mit Metropolis und mal mit den Nibelungen, dass man leicht den Überblick verlieren kann. Die Details sind auch egal, weil Lang die Geschichte sowieso erfunden hat, die sofortige Flucht aus Nazi-Deutschland inklusive, was ich ihm nicht vorwerfen würde. Solche Anekdoten geben eine innere Wahrheit wieder, die allemal wichtiger ist als die äußere. Das, was Lang zu seinen Filmen gesagt hat, ist genauso interpretationsbedürftig wie die Geschichten, die er auf der Leinwand erzählt hat.

Lotte Eisner erfuhr von ihm, welchen Schluss er wirklich für Metropolis geplant hatte, nahm es für bare Münze und schrieb es brav in ihr Lang-Buch, das demnächst auch auf Deutsch veröffentlicht wird: Freder und Maria sollten in eine Rakete steigen und auf einen anderen Planeten fliegen (dies in einer Welt, in der man noch im Doppeldecker unterwegs ist). War das sein Ernst? Ich glaube nicht. Für mich ist das von allen Lang-Aussagen zum Ende von Metropolis die wichtigste, weil sie einen Hinweis darauf gibt, wie der Schluss zu verstehen ist: ironisch. Wahrscheinlich hätte er sich köstlich amüsiert, wenn er noch erfahren hätte, wer alles die Rakete aus Eisners Buch übernehmen würde (die englische Ausgabe erschien 1977, ein Jahr nach seinem Tod). Zuletzt ist das Raumschiff im Audiokommentar zur MoC-DVD wieder aufgetaucht.

Metropolis

Die ironische Absicht, meine ich, ist im ganzen letzten Akt des Films erkennbar, einer furiosen Parforcejagd mit ein paar atemberaubenden Stilbrüchen, in deren Verlauf alle Handlungsstränge so rasch wie möglich zum Abschluss gebracht werden, damit man sich dann die Hände reichen kann. Die Kinder aus der Unterstadt, mit denen Metropolis beginnt, werden im letzten Moment vor dem Ertrinken gerettet. Die falsche Maria wird als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Fredersen, aus Sorge um seinen Sohn ganz weiß geworden, bereut, was er getan hat. Die revoltierenden Arbeiter bereuen auch.

Metropolis

Der Film, der sich zwei Stunden lang als monumentales Zukunfts- und Untergangsspektakel gibt, endet mit wilden Verfolgungsjagden und somit wie eines jener Serials von Louis Feuillade aus den 1910er Jahren, die Lang so liebte (Fantômas, Les Vampires). Rotwang, der verrückte Erfinder, greift sich die Jungfrau Maria und schleppt sie auf das Dach der Kathedrale, als sei er ein Verwandter des Glöckners von Notre-Dame. Freder, bis dahin eher täppisch und von Ohnmachtsanfällen heimgesucht, klettert hinterher und zeigt auf diese Weise, dass er doch noch zum Mann gereift ist. Beim Kampf auf Leben und Tod stürzt Rotwang in die Tiefe wie nach ihm manch ein Hitchcock-Bösewicht. Hitch, der eventuell einen Teil der Dreharbeiten miterlebte (gesichert ist nur ein Besuch von Eisenstein), hat viel von Lang gelernt. Das Ende der ersten Fassung von The Man Who Knew Too Much (1934) ist seine ironische Verbeugung vor Metropolis: die Heldin hat sich bereits als Kunstschützin bewährt und schießt den Bösen kurzerhand vom Dach.

Held auf der Kippe

Brigitte Helm als die zwei Marias muss Jungfrau und Mutter, Heilige und Hure, Roboter und zartes Mädchen sein. Sie löste die Aufgabe mit Bravour und legte eines der bemerkenswertesten Leinwanddebüts der Filmgeschichte hin. Gustav Fröhlich dagegen, als jugendlicher Held ihr Partner, ist mit Abstand der schlechteste Schauspieler in der Metropolis (es gibt sehr wohl einen Unterschied zwischen grimassierendem Herumgefuchtel und dem exaltierten Spiel, das im Stummfilm oft verlangt wird). Lang kann das nicht entgangen sein. Trotzdem ließ er Fröhlich gewähren, statt ihn auszutauschen. Ich erkläre mir das so, dass Lang trotz seiner Defizite mit ihm zufrieden war, weil das etwas hilflose Überagieren gut zur Rolle passt.

Freder ist ein Mann am Rande des Nervenzusammenbruchs, hat Visionen und kann nicht immer zwischen Phantasie und Wirklichkeit unterscheiden. Bei seiner Herkunft ist das auch kein Wunder, denn er ist in einer Umgebung aufgewachsen, in der sich kein Sinn für die gesellschaftlichen Realitäten entwickeln kann. Die Kapitalistenkaste der Metropolis hat ihrem männlichen Nachwuchs einen Luxustempel namens "Klub der Söhne" geschenkt, in dem für alle leiblichen Bedürfnisse der jungen Herren gesorgt wird, von der sportlichen Betätigung bis zum Sex. Die Ewigen Gärten, die Maria den Kindern aus der Unterstadt am Anfang zeigt, sind nichts anderes als ein Bordell. Jeweils eine der jungen Damen "darf" den Tag mit dem Sohn des Herrschers verbringen, gute Laune ist obligatorisch, Tränen sind nicht erlaubt.

Metropolis

Der Zuschauer wird durch diesen Anfang auf eine erste Probe gestellt. Auf dem Dach des Hochhauses geht es genauso um die Ausbeutung (in diesem Fall: die sexuelle) einer Klasse durch eine andere wie in den unterirdischen Maschinenhallen. Erkennt man das, oder lässt man sich blenden? Den Betrachter, der im Kino vor den von ihm geschaffenen Bildern sitzt, denkt Lang immer mit. Die Kostüme der Liebesdamen sind übrigens den extravaganten Entwürfen damaliger Stardesigner nachempfunden, die man in den Lifestyle-Magazinen der Zeit finden konnte. Metropolis ist ein allegorischer Film über das Jahr 1926 (u. a. das Jahr, in dem die Hitlerjugend gegründet wurde, in dem Mussolini, jetzt als "Duce del Fascismo" tituliert, Italien zum Einparteienstaat machte und in dem sich der Völkerbund auf ein Abkommen über die Abschaffung der Sklaverei einigte). Es ist keine Spekulation darüber, wie die Welt im nächsten Jahrtausend aussehen wird. Vorwürfe, dass der Film keine von den zu erwartenden technischen Entwicklungen ausgehende und daher glaubhaft wirkende Vorstellung von der Zukunft biete (besonders vehement von H. G. Wells erhoben), beruhen auf einem Missverständnis.

Man kann sich daran stören, dass die Weiblichkeit in Metropolis auf traditionelle Rollenzuschreibungen reduziert wird (Jungfrau, Mutter, Hure) und in der falschen Maria eine Desavouierung der modernen, emanzipierten Frau sehen, sollte dann aber auch feststellen, dass der Held als Hysteriker durch die Handlung rennt, was durchaus etwas Subversives hat; die Hysterie (der Begriff wurde vom griechischen Wort für die Gebärmutter abgeleitet) ist ebenfalls eine traditionell "weibliche" Eigenschaft. Und die Jungfrau Maria gebiert nicht etwa den Gottessohn wie in der Bibel, sondern übernimmt die Rolle von Johannes dem Täufer, der das Kommen des Messias ankündigte wie sie den Mittler zwischen Hirn und Hand. Der Film arbeitet mit Tricks und mehreren doppelten Böden, unterläuft die bekannten Geschlechterzuschreibungen, und ein bisschen blasphemisch ist er auch.

Gleich bei seinem ersten Abstieg in die Unterwelt hat Freder eine Vision. Eine der Maschinen wird zum Moloch. Freder sieht Männer, die wie Schlachtvieh in das Maul der Gottheit getrieben werden, der man in der Antike Menschenopfer darbrachte, und daraus werden die Arbeiter, die in Reih und Glied in das Maul der Maschine marschieren, die sie fressen wird. Wer glaubt, dass Lang mit seinem Heer von Statisten (die Zahlen wurden von der Werbeabteilung der Ufa stark übertrieben) der Vorläufer der Nazis war (Stichwort: "Ornament der Masse"), sehe sich die Treppe vor dem Moloch noch einmal genau an. Mit den euphorisierten Marschierern, die uns NS-Propagandafilme wie Leni Riefenstahls Triumph des Willens schmackhaft machen wollen, haben die gebückten Männer, die wie erstorben und in geometrischer Formation in den Schlund des Monsters gehen, nichts zu tun. Lang hatte ein tiefes Misstrauen gegenüber Menschenmengen, die er als Opfer zeigte oder als Lynchmob, in seinen deutschen Filmen (das Verbrennen der falschen Maria) genauso wie in den amerikanischen (Fury).

Metropolis

Für die Moloch-Szene konsultierten Lang und Harbou die Bibel, und einiges übernahmen sie aus Gustave Flauberts Roman Salambo (1862) - entweder direkt oder über den italienischen Monumentalfilm Cabiria. Ich bin mir auch ganz sicher, dass zumindest Fritz Lang ein genauer Kenner von Sigmund Freuds Traumdeutung war. Seine Filme haben oft mehr mit der von Freud analysierten Struktur der Träume zu tun als mit den von Hollywood geforderten Erzählmustern. Langs Schnittfassung ist nicht unlogisch, wie vom Paramount-Vollstrecker Channing Pollock bemängelt; sie folgt nur einer anderen Logik als der von den Amerikanern erwarteten. In der Edition mit dem eingefügten Material aus Buenos Aires kann man das besser erkennen als in den früheren Versionen.

Hate, Murder, Revenge

Den ganzen Subplot mit Hel, Freders toter Mutter, schnitt Pollock angeblich heraus, weil der Name ein amerikanisches Publikum an die Hölle (hell) erinnert hätte. Damit beschädigte er die Dramaturgie und die Psychodynamik des Films. Aus Rotwang wurde ein Verrückter, der verrückt ist, weil Mad Scientists das nun mal sind. In der Rekonstruktion von Enno Patalas erhielt er in den 1980ern seine Motivation zurück, und jetzt ist auch die Hel-Statue im Haus von Rotwang wieder da. Damit wird die religiöse Ikonographie ergänzt und eine wichtige Verbindungslinie zwischen Metropolis und den Nibelungen wiederhergestellt, die für Lang zwei komplementäre Filme waren. Man sieht das schon an den sehr bewusst eingesetzten Zitaten.

Die Nibelungen

Die Grottenarchitektur, vor der sich Freder und Maria das erste Mal begegnen, ist das Gegenstück zur Höhle, in der Siegfried den Nibelungenhort entdeckt. In den Nibelungen stehen im Vordergrund schemenhafte Ritter Spalier, wenn im helleren Hintergrund König Gunther und sein Anhang an der Kamera vorbeischreiten. In Metropolis wird das aufgenommen und variiert: Nach der Explosion der Moloch-Maschine steht Freder im helleren Hintergrund an der Wand, während im Vordergrund die schemenhaften Gestalten der Verletzten an ihm vorbeitransportiert werden. Und Hel stammt aus der Welt von Brunhild. In der nordischen Mythologie ist sie die Göttin der Unterwelt, halb tot und halb lebendig. Pollock fand das entweder zu schwierig für seine Landsleute (die Bevormundung des Publikums ist im Kino weit verbreitet), oder er hatte keine Ahnung. Und was man nicht versteht, wirkt beunruhigend. Deshalb lässt man es gerne weg.

Was die amerikanischen Zuschauer nicht erfuhren (und die deutschen auch nicht mehr, nachdem die Ufa Pollocks Kürzungen übernommen hatte): Rotwang und Joh Fredersen waren Rivalen um die Gunst derselben Frau. Hel entschied sich für Joh und starb bei der Geburt ihres Sohnes. Darüber ist Rotwang nie hinweggekommen. Als Ersatz für die tote Geliebte baut er einen Roboter, und weil Metropolis auch ein Film über Eros und Thanatos ist (nur ein Buchstabe und ein paar Gesteinsschichten trennen Fredersens Reich von der Totenstadt/Nekropolis, über der die Stadt der Zukunft errichtet ist), spielt der Erfinder ein doppelt falsches Spiel (alles in Metropolis ist mindestens einmal gespiegelt). Fredersen beauftragt ihn, die Maschinenfrau zur Doppelgängerin Marias zu machen, um diese bei den Arbeitern zu diskreditieren. Insgeheim jedoch soll sie den Untergang von Fredersens Welt herbeiführen.

Metropolis

Über der Erde treibt die falsche Maria, als Femme fatale, die ihr verfallenen Söhne der Kapitalisten in den Selbstmord; unter der Erde wiegelt sie die Arbeiter auf. Wer Rotwangs Motivation entfernt wie Pollock, amputiert eines der zentralen Elemente im Werk von Fritz Lang. Der Held, den die Rache für den Tod einer geliebten Frau antreibt, was zu noch mehr Tod und Zerstörung führt, war eine der Lieblingsfiguren des Regisseurs. Im Krimi (The Big Heat) tritt der Rächer genauso auf wie im Western (Rancho Notorious) oder im Antinazifilm (Man Hunt). Am faszinierendsten wird das Thema in Der Tiger von Eschnapur und Das indische Grabmal behandelt.

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