Mäuse mit menschlichen Gehirnzellen
Die EU hat ein großes Forschungsprojekt über die Aussichten und Probleme bei der Herstellung von Mensch-Tier-Chimären gestartet, US-Wissenschaftler demonstrierten, dass menschliche Stammzellen sich in die Gehirne von Mäusen integrieren
Gen- und Biotechnologie schaffen neue Organismen. Je nachdem, wie viele Gene von einem Organismus in einen anderen übertragen werden, kann von transgenen Organismen bis hin zu Chimären alles Mögliche erzeugt werden – zumindest experimentell. Man kann die Klaviatur durchspielen und die in Organismen vorhandenen Gene in einem Organismus als Träger nach Belieben kombinieren und einfach mal schauen, was dabei herauskommt. Und es stellt sich die Frage, ab wann man nicht nur einen Organismus mit neuen Eigenschaften, sondern durch Kombination eine neue Art, eine Chimäre, schafft.
Chimären haben die Menschen schon lange fasziniert. Allerdings haben frühere Generationen vor der Gentechnologie Körperteile verschiedener Lebewesen miteinander kombiniert. Aber natürlich wurde auch schon der Mensch wie im Fall der Sphinx, der Meerjungfrauen, des Kentauren oder der Harpyien in das Cut & Paste-Spiel zur Schaffung neuer Lebewesen miteinbezogen. Im Zuge der Gentechnik ist nun interessant geworden, Mensch-Tier-Cimären zu erzeugen. So rücken Tiere, denen menschliche Zellen oder Gene eingefügt wurden, in die Aufmerksamkeit, um Krankheiten besser untersuchen, Therapiemöglichkeiten erforschen oder auch Organe zum Verpflanzen gewinnen zu können.
Gestern hat beispielsweise das Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB) einen Forschungsauftrag von der EU erhalten, um mit Wissenschaftlern, Medizinern, Juristen und Ethikern aus europäischen, aber auch aus außereuropäischen Ländern die mit der Erzeugung und Verwendung von Chimären entstehenden Fragen und Probleme zu klären. Chimbrids (Chimeras and Hybrids in Comparative European and International Research: Scientific, ethical, philosophical and legal aspects) soll sich vor allem mit Versuchen beschäftigen, transgene Mensch-Tier-Chimären zur medizinischen Forschung oder zur Gewinnung von Xenotransplantaten herzustellen. Ziel des Projekts ist es, Empfehlungen für Wissenschaft und Politik zu entwickeln.
Interessant sind dabei sicherlich Fragen, ab welcher Anzahl von Genen ein Lebewesen noch ein transgenes Tier ist oder zu einem Mensch wird. Das hat natürlich ganz erhebliche Folgen. Sollten für die Herstellung von Mensch-Tier-Chimären und für den Umgang mit ihnen andere Prinzipien als für Tiere und für Menschen gelten? Und ab wann wird ein Tier "humanisiert", auch wenn es körperlich und/oder kognitiv dem Menschen nicht ähnelt? Science Fiction-Fragen drängen sich natürlich auch auf: Was ist mit Chimären, die zwar einen Tierkörper besitzen, aber auch ein menschliches Gehirn? Oder Chimären könnten den Körper von Menschen haben, aber nur ein tierisches Gehirn oder nur ein Gehirn, das gerade ausreicht, um das Wachstum und die Lebensfunktionen aufrechthält. Hätten diese dann Anspruch von humanen Umgang? Dürften mit ihnen experimentiert, dürften sie beliebig getötet und ausgeschlachtet werden, um Organe zu gewinnen?
Mit der Schaffung von Chimären entstehen also neue Möglichkeiten und ethische Probleme, für die es noch keine Prinzipien gibt. Aber so weit sind wir noch nicht, auch wenn natürlich schon Chimären erzeugt werden. So berichten Wissenschaftler unter der Leitung von Fred Gage vom Salk Institute in San Diego und vom Nara Institute of Science and Technology (Kansai Science City, Japan) in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (Development of functional human embryonic stem cell-derived neurons in mouse brain), dass sie Mäuse erzeugt haben, in deren Gehirne kleine Verbände menschlicher Zellen wachsen. Sinn der Forschung ist, damit realistischere Tiermodelle für neurologische Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu schaffen.
Die Wissenschaftler hatten zwei Wochen alten Mäuseembryos, die sich noch in der Gebärmutter befanden, in ihre Gehirne jeweils um die 100.000 undifferenzierte menschliche Stammzellen injiziert. Es überlebte nur ein kleiner Teil, so dass die Mäuse bei Geburt einen Anteil von 0,1 Prozent an menschlichen Zellen in ihren Gehirnen hatten. Um die Zellen im Gehirn identifizieren zu können, wurden die Stammzellen mit einem Marker-Gen ausgestattet. Aus den Stammzellen entwickelten sich die unterschiedlichen Neuronen-Zellarten und Glia-Zellen, die dieselbe Größe und Form wie die tierischen Zellen hatten und sich in verschiedenen Arealen ansiedelten, ohne vom Immunsystem abgestoßen zu werden oder Tumore zu verursachen. Die Neuronen waren aktiv und verbanden sich über Synapsen mit den Neuronen der Mäuse. Das demonstriert, dass sich menschliche Stammzellen die Gehirne von Mäusen integrieren können und offenbar auch bei erwachsenen Mäusen noch funktionsfähig bleiben. Das belegt auch, dass Säugetiere auf sehr ähnliche Weise funktionieren.
Mit einer solchen geringen Menge an menschlichen Zellen im Gehirn der Ratten dürften noch keine ethischen Probleme provoziert werden. Zumindest wurde hier auch das Gehirn der Maus nicht verändert, sondern haben sich menschlichen Zellen diesem angepasst, betont Gage. Allerdings wird auch dieser Versuch erneut die Frage forcieren, bis zu welchem Grad Chimären, zumal im Gehirn, "vermenschlicht" werden dürfen. Will man aber Therapien oder Medikamente einigermaßen realistisch in lebendigen Hirnen von Chimären testen, so müsste das Gewebe sehr nahe an das von Menschen herankommen. Das aber könnte dann wieder die Frage entstehen lassen, welche Eigenschaften ein weitgehend menschliches Gehirn in einem Tier entwickeln würde, wenn die menschlichen Zellen sozusagen die tierischen übernehmen. Einen Homunculus in einem Mäuse- oder Rattenhirn wird es wohl nicht geben, aber Mäuse oder auch Affen könnten natürlich neue kognitive Fähigkeiten entwickeln.
Auch in Deutschland wird etwa am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie mit der Injektion von menschlichen Stammzellen in Tiergehirne geforscht. So wurden im Rahmen der Forschung nach Therapien mit Zellersatz für die Parkinson-Krankheit allerdings keine embryonalen, sondern differenzierte humane Stammzellen in die Gehirne von zwei Weißbüschelaffen transplantiert. Auch Oliver Brüstle experimentiert mit der Verpflanzung menschlicher Nervenzellen, die aus Stammzellen gewonnen wurden, in die Gehirne von Ratten.
Mit einer geschickten Strategie hatten Jeremy Rifkin, Leiter der Foundation for Economic Trends, und dem Biologen Stuart A. Newman vom New York Medical College in Valhalla und Mitglied des Council for Responsible Genetics ein Patent für die Herstellungsmethode von Mensch-Tier-Chimären und die daraus entstehenden Lebewesen beim amerikanischen Patentamt beantragt (Patentierung von Mensch-Tier-Chimären). Die Absicht war, die Herstellung von Chimären zu verhindern, wenn ihnen das Patent gewährt wird, oder durch die Provokation einer Ablehnung, andere Patentierungen zumindest zu erschweren. 2004 wies das Patentamt tatsächlich den Antrag zurück, weil die Chimären zu menschenähnlich seien. Daraus leiteten Rifkin und Newman erst einmal ihren Sieg ab. Jeder Patentantrag auf Mensch-Tier-Chimären, so hoffen sie, müsste nun während einer Zeitspanne von 20 Jahren in den USA zurückgewiesen werden, was die Forschung behindern, aber freilich nicht verhindern würde.