Magische Schiffe
Chinas bemannte Raumfahrt macht mobil: Erster Taikonaut startet 2001 ins All
Chinas Raumfahrt ist nach wie vor ein Mysterium. Spekulationen und Gerüchte wechseln einander ab. Wann genau der erste Taikonaut ins All startet, bleibt offen. Doch im Oktober 2001 könnte es bereits soweit sein.
9.572.909 Quadratkilometer Landfläche, 1.220.800.000 Einwohner - das bevölkerungsreichste und flächenmäßig drittgrößte Land der Erde, mit einer Analphabetenquote von 17 Prozent von vielen noch als Entwicklungsland belächelt, hat in den letzten Jahren wie kaum ein anderes auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet aufgeholt - besonders in der Raumfahrt. Denn nach über 40-jähriger Anlaufphase - China startete seine erste Rakete bereits 1959 - wagt das "Reich der Mitte" nunmehr den Sprung in die bemannte Raumfahrt.
Einen großen Schritt nach vorne machte China am 20. November 1999, als es das unbemannte Raumschiff "Shenzhou" (Magisches Schiff) mit einer Trägerrakete vom Typ "Langer Marsch 2F" in den Orbit schickte. Die vorerst "menschenleere", äußerlich an eine Sojus erinnernde Kapsel landete nach vierzehn Erdumrundungen wieder sicher in der Mongolei. Viele Experten und Journalisten, die schon seit Jahrzehnten über den Status Quo der chinesischen bemannten Raumfahrt rätseln, werteten diese Aktion, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wurde, als Signal. Seitdem kocht die Gerüchteküche. Und es sieht danach aus, als wäre ihr Siedepunkt erreicht. Denn die Stimmen mehren sich, dass der erste Taikonaut wohl im Oktober 2001 in die Schwerelosigkeit entlassen wird.
Obgleich bis auf den heutigen Tag kein Raumfahrer aus dem Reich der Mitte jemals namentlich vorgestellt wurde, begann das chinesische Astronautenprogramm bereits 1968. Dagegen ist die Wortkreation "Taikonaut" (die Prefix ‘Taiko’ bedeutet so viel wie ‘Astro’ oder ‘Kosmo’) gerade mal zwei Jahre jung. Sie soll den eigenen Charakter der chinesischen Raumfahrt unterstreichen und verdeutlichen, dass sich neben den US-Astronauten und russischen Kosmonauten fortan eine neue Raumfahrernation ihren Weg ins All bahnt. Zwar hält sich die chinesische Regierung aus propagandistischen Gründen nach wie vor über den Zeitpunkt der ersten bemannten Mission bedeckt. Aber die Gerüchte werden gleich von verschiedenen Quellen bestätigt. So berichtet der China News Service, eine regierungsnahe Nachrichtenagentur, dass der zweite Testflug für eine bemannte Mission kurz vor oder nach Oktober dieses Jahres stattfinden werde. "Die Taikonauten sind startbereit und warten auf den Befehl, ins All zu fliegen", so der News Dienst. Und die Hong Konger Tageszeitung Mingpao weist nachdrücklich darauf hin, dass der neue Test noch stärker auf technische und Datensystemchecks abzielt. Noch vor dem 10. Oktober, dem chinesischem Nationalfeiertag, an dem China traditionell Militärparaden zelebriert und der Welt seine neuesten technischen Errungenschaften vorstellt, könnte die "Langer Marsch-Rakete" starten. Nach einem Report des US-Verteidigungsministeriums, aber vor allem nach Ansicht von Philip Chien, einem Kenner der chinesischem Raumfahrt, könnte dieser Test zugleich auch der letzte unbemannte Test gewesen sein. Einen Starttermin im Oktober 2001 mit Taikonauten an Bord halten westliche Experten für durchaus wahrscheinlich. Allerdings ist überschneller Optimismus deplatziert, so Chien:
"Ob 2001, 2002 oder vielleicht sogar später. Wem sie Glauben schenken, das hängt ganz allein von der Quelle des jeweiligen Gerüchts ab."
Das Gros der Experten traut China aufgrund seiner langjährigen Erfahrung mit Trägerrakekten und der Kooperation mit Rußland zu, Menschen in den Orbit zu befördern. Seinerzeit kaufte China sowjetische Technologie auf (darunter eine Sojus-Kapsel), weshalb Kritiker China vorhalten, den Großteil dieser Technik einfach nur kopiert zu haben. Andererseits verfügt China mit den Langer-Marsch-Raketen über ein zuverlässiges, erfolgreiches Trägersystem für Satelliten, das billiger operiert als die US-Systeme oder die europäische Ariane (über 70 Nutzlasten von westlichen Kunden beförderte es ins All). Darüber hinaus wurden sogar zwei Taikonauten im russischem Kosmonautenzentrum Star City ausgebildet. Diese absolvierten dasselbe Trainingsprogramm wie ihre ausländischen Kollegen, die für den MIR-Aufenthalt vorbereitet wurden. Hierzu zählte auch der U.S. Astronauten John Blaha: "Mehrfach hörte ich Gerüchte, dass chinesische Piloten in Star City seien. Aber zu keinem Zeitpunkt habe ich einen von ihnen gesehen".