Maidan: Der verklärte Aufstand
Seite 3: Rechtsradikale immer dabei
EU-Integration einerseits und Unterstützung dessen durch Ultranationalisten - das klingt paradox. Doch die Ablehnung des Assoziierungsabkommens setzten ukrainische Oppositionspolitiker immer wieder mit einem Ausverkauf an Russland gleich. Dies rief die russenfeindliche westukrainisch geprägte Nazi-Szene auf den Plan.
Angriffe auf Polizisten, linke Studenten und Gewerkschafter, dazu zahlreiche nationalistische Symbole, Fahnen und Parolen sowie versuchte und erfolgte Erstürmungen öffentlicher Gebäude: Die Anwesenheit rechtsradikaler Gewalttäter auf dem Euromaidan von den ersten Tagen an ist hinreichend nachgewiesen. Auch bei einem Angriff u.a. mit einem Bulldozer auf Truppen des Innenministeriums vor der Präsidialverwaltung am 1. Dezember wurden rechtsradikale Rädelsführer wie Dmitro Kortschinskij (Gruppe "Bruderschaft") oder Oleg Odnoroschenko (Gruppe "Patriot der Ukraine") identifiziert.
Rechtsradikale immer wichtiger
Versuche so mancher Kommentatoren, das Vorhandensein der Rechten abzustreiten, waren und sind nicht nur realitätsfremd, sondern einfach nur manipulativ. Ohne Zweifel bildeten Hooligans und National-Radikale in den ersten Wochen nur eine Minderheit auf dem Maidan. Doch ihr Einfluss und ihre Zahl wuchsen mit der Zeit. In der bereits erwähnten Umfrage vom 7./8. Dezember auf dem Maidan gaben beispielsweise schon 15 Prozent der Befragten an, sich an der Aufstellung bewaffneter Gruppen beteiligen zu wollen. Und beim Sturz der Lenin-Statue am selben Wochenende machten sie nicht den Eindruck einer unbedeutenden und randständigen Gruppe.27
Warnten zu Beginn des Euromaidan noch namhafte Akteure wie Petro Poroschenko oder Vitali Klitschko vor Gewalt und bezeichneten die Rechtsradikalen als "Provokateure", so war später von ihnen diesbezüglich nichts mehr zu hören. Im Gegenteil - sie riefen selbst zur Bildung von "Bürgerwehren" auf. Die Zusammenarbeit mit den Maidan-Kämpfern lief mit der Zeit immer reibungsloser. Auch "gemäßigte Oppositionelle" haben klaglos mit rechtsradikalen Politikern zusammengearbeitet.
Das Kiewer Zentrum für Gesellschaftsforschung hat in einer Gesamtauswertung aller Euromaidan-Protestveranstaltungen festgestellt, dass die rechtsradikale Swoboda dabei die aktivste aller Parteien war. Mindestens an jedem vierten Pro-Maidan-Protest hätten ukraineweit Swoboda-Leute oder Mitglieder anderer rechter Parteien teilgenommen.28 Dies sei laut der Wissenschaftler "ein erheblicher Teil des Maidan, der nicht außer Acht gelassen, verschwiegen oder heruntergestuft werden kann."
Grundsätzliche Gewaltbereitschaft
Andere Wissenschaftler verschweigen jedoch durchaus einige Aspekte. Der öffentlich-rechtliche Dokumentationskanal Phoenix präsentierte immer wieder den Slawisten und Historiker Gerhard Simon als Experten zum Ukraine-Konflikt. Dieser schrieb in dreister Form der Legendenbildung29:
Statt mit den Protestierenden auf dem Euromaidan zu verhandeln und Kompromisse zu suchen, griff die Regierung zu immer neuen Repressalien, zuletzt am 16. Januar mit der Verabschiedung von Gesetzen, die eine Diktatur im Lande ermöglicht hätten. In den nächsten Tagen starben mehrere Aktivisten des Maidan durch Polizeigewalt. Auf den Tod der Demonstranten antwortete der Euromaidan zum ersten Mal auch mit Gewalt.
Die tendenziöse Darstellung der Situation in den ersten zwei Sätzen durch diesen Experten sollte nicht mehr überraschen. Sie dienen dazu die Gewalt der Maidan-Kämpfer zu rechtfertigen. Der dritte Satz könnte jedoch nach den gewalttätigen Angriffen im November und Dezember falscher nicht sein - es sei denn Simon zählt die Rechtsradikalen gar nicht zum Euromaidan. Dies wäre zwar ebenfalls widersprüchlich, da auch die Gewalt ab Ende Januar zuallererst auf deren Konto ging. Doch fahren andere PR-Akteure taktisch ebenfalls die Linie, Nazis von restlichen Demonstranten analytisch zu trennen.30