Mali: Wie bei einem "Routineeinsatz" Soldaten "verunglücken"

Seite 2: Zusammenstöße unter den Parteien des Friedensabkommens

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Auch über die konkreten Entwicklungen in Mali, mit denen der Einsatz und auch der Absturz durchaus in Verbindung stehen könnten, finden sich bislang keine Hinweise in der deutschen Presse. Wie gesagt beschränken sich die Angaben zum Auftrag meist auf die Umsetzung eines Friedensabkommens.

Dieses wurde 2015 zwischen der Regierung und mehreren Koalitionen bewaffneter Gruppen geschlossen, darunter die sog. Plattform und die "Coordination des Mouvements de l’Azawad", CMA. Zur Plattform gehört u.a. die Gatia-Miliz, die als regierungstreu gilt, zur CMA die MNLA, die 2012 mit der Unabhängigkeit des Nordens den Konflikt ausgelöst hatte, mittlerweile militärisch jedoch eng mit Frankreich kooperiert. Zwischen diesen Gruppen und verschiedenen Stellvertretern kam es auch nach dem Friedensabkommen immer wieder zu Gefechten, die jedoch in den Wochen vor dem Hubschrauberabsturz deutlich an Schärfe zugenommen hatten.

Bereits am 6. Juli sprach der Sprecher des UN-Generalsekretärs "Bewegungen bewaffneter Konvois, Provokationen und sogar Gefechte" unter den Parteien des Abkommens in Kidal an. Der Leiter der UN-Mission drohte, dass weitere Verletzungen des Abkommens die Glaubwürdigkeit der Partner" in Mali unterminieren würden.

Dessen ungeachtet kam es daraufhin u.a. zu tagelangen Auseinandersetzungen um die kleine Ortschaft Anefif an der Grenze zwischen den Regionen Gao und Kidal. Am 13. Juli bestätigte ein Sprecher der Gatia laut Reuters, dass die Stadt nun von der CMA kontrolliert werde, die Plattform jedoch ihre Rückeroberung vorbereite. Die CMA wiederum erklärte, mit der Einnahme von Anefif nun die gesamte Region Kidal zu kontrollieren. Soweit nachvollziehbar fanden danach in verschiedenen Kommunen der Region Kidal Gefechte statt.

Auf den 26. Juli, dem Tag, an dem die beiden deutschen Soldaten starben, ist eine Erklärung der Plattform zu erklären, die sich an den Leiter der MINUSMA, die malische Regierung wie die internationale Gemeinschaft richtete und von einem koordinierten Angriff der CMA auf mehrere Gemeinden in der Region Kidal am Morgen desselben Tages sprach. Er rief dazu auf, "die Feinde des Friedens zu verurteilen und sich denen entgegenzustellen, die Chaos in der Region sähen wollen".

In der Erklärung wird außerdem vermutet, dass die Eskalation vonseiten der CMA das Ziel verfolge, die Einsetzung des Gouverneurs und die Rückkehr staatlicher Institutionen in Kidal zu verhindern. Tatsächlich war diese zwar lange vereinbart, jedoch erst seit dem 23. Juni 2017 konkretisiert worden. In der Stadt Kidal hatte es wohl auch "zivilgesellschaftlichen" Protest gegen die Einführung des Gouverneurs gegeben, wie CMA-nahe Quellen u.a. auf Twitter berichten.

Wenn auch die Erklärung der Plattform die Realität durchaus verzerrt wiedergeben dürfte, so finden sich doch insgesamt zahlreiche Hinweise auf eine Eskalation der Lage nördlich von Gao in den letzten Wochen und am Tag des Absturzes selbst. Im Zuge der verschärften Auseinandersetzung um die konkret bevorstehende Rückkehr einer gesamtstaatlichen Verwaltung kam es vermehrt zu Zusammenstößen und es wird zumindest der Eindruck vermittelt, dass die tendenziell sezessionistische CMA auch militärisch die Oberhand in Kidal gewinnen werde.

UN und MINUSMA kamen sichtlich unter Druck, ihr Verhältnis zu verschiedenen bewaffneten Akteuren neu zu definieren. Wenn in diesem Kontext der Einsatz mindestens zweier Kampfhubschrauber der Bundeswehr zwischen Gao und Kidal Routine ist, dann heißt dies letztlich schlicht: Die Routine ist Krieg und Mali ist ein Kampfgebiet. Und die Diskussion sollte sich dann nicht auf technische Defekte und vermeintlich Ausrüstungsmängel konzentrieren, sondern auf Lage, Sinn und Zweck des Einsatzes.