Manipulierte Wegweiser
Qualität und Nutzung von Suchmaschinen
Nicht gerade findig sind sie, die deutschen Suchmaschinen-Nutzer. Geben sich mit Zufallsfunden zufrieden, nutzen bei weitem nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel und haben zu allem Überfluss auch noch abenteuerliche Vorstellungen davon, wie Suchmaschinen funktionieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung.
Untersucht wurden 'Qualität und Nutzung von Suchmaschinen'. Um die Qualität von Suchmaschinen zu ermitteln, wurde eine Marktanalyse erstellt, Leistungsvergleiche zwischen den zehn laut Webhits.de meistgenutzten Suchdiensten durchgeführt, die Schwachstellen dieser zehn Suchmaschinen durchleuchtet und die Effektivität von Optimierungsverfahren getestet. Außerdem wurden die Anbieter von 146 Suchmaschinen befragt, von denen 65 - also 44,5 Prozent - Rede und Antwort standen. Daten zur Nutzung von Suchmaschinen lieferten neben diversen Gruppeninterviews insbesondere Telefon-Interviews mit 1000 Internet-Nutzern. Um herauszufinden, welche Suchstrategien die Probanden in konkreten Fällen anwenden, wurden zusätzlich mit insgesamt 140 Personen zwischen 10 und 70 Jahren Laborexperimente durchgeführt.
Die Vorlieben der Nutzer
Wenig überraschend sind die Vorlieben der Nutzer: Google ist die mit Abstand am häufigsten genutzte Suchmaschine (69%) gefolgt von Yahoo (10%) und Lycos (5%). 39 Prozent der User geben an, regelmäßig mehr als eine Suchmaschine zu benutzen; elf Prozent nutzen zwei Suchdienste; nur zwei Prozent der Befragten haben vier Suchmaschinen im Repertoire. Kein einziger der 1000 am Telefon Befragten nutzte mehr als vier Suchmaschinen. Dahinter steckt nicht zuletzt pure Gewohnheit. Wobei den wenigsten bewusst sein dürfte, wie eng die Beziehungen der einzelnen Suchdienste untereinander sind.
Betrachtet man das 'Beziehungsgeflecht der Suchdienste in Deutschland und international, Stand: 11. August 2003' von Stefan Karzauninkat wird klar: auch die Nutzung unterschiedlicher Suchmaschinen ist kein Garant für Vielfalt. Weil eine Suchmaschine die andere mit Material versorgt. Bestes Beispiel dafür ist Google, ein Suchdienst, der sich innerhalb der letzten Jahre zum Marktführer gemausert hat und inzwischen eine ganze Reihe von Suchmaschinen von aol.de über yahoo.de und netscape.de bis hin zu web.de mit primären Suchergebnissen beliefert. Vom Handel mit bezahlten Suchergebnissen und der heiß begehrten Google-Technologie ganz zu schweigen. Insofern spiegelt die Konzentration der User auf einige wenige Suchdienste mehr oder weniger ungewollt die realen Marktverhältnisse wider. Gäbe es auf dem Zeitschriften- oder Tageszeitungs-Markt ähnliche Monopolisierungs-Tendenzen (vgl. Krieg der Suchmaschinen?) wie aktuell auf dem Suchmaschinen-Markt, wäre das ein Fall fürs Kartellamt.
Suchmaschinen - allein der Begriff suggeriert Neutralität. Zu Unrecht, wie Marcel Machill, Leiter und Herausgeber der Studie meint. Schließlich sind Suchmaschinen nicht nur 'Wegweiser im Netz', sondern haben geradezu 'Gatekeeper-Funktion'. Ähnlich wie Torwächter früher darüber bestimmten, wer durchs Stadttor durfte und wer nicht, regulieren Suchmaschinen, welche Seiten in den Ergebnislisten auftauchen und damit Eingang finden ins öffentliche Bewusstsein. Suchmaschinen besetzen mithin eine Schlüsselposition, in der sie sowohl wirtschaftliche als auch politische und publizistische Macht ausüben. Aus diesem Grund tragen Suchmaschinen für Machill eine gesellschaftliche Verantwortung. Eine Verantwortung, der die Betreiber von Suchmaschinen eigentlich nur dann gerecht werden, wenn sie die Kriterien offen legen, nach denen die Trefferlisten zusammengestellt werden. Tun sie aber nicht. 'Betriebsgeheimnis' lautet die Standard-Antwort der Betreiber.
Spamming-Methoden
Unvermindert problematisch ist die Manipulierbarkeit von Trefferlisten. Der Bertelsmann-Studie zufolge verzeichnen 83 Prozent der Betreiber eine Zunahme von Suchmaschinen-Spamming. Freilich gilt nicht jede Suchmaschinen-Optimierung als 'Spamming'. Um die Grenzen der Optimierung zu umreißen, veröffentlichen Firmen wie Lycos und Google inzwischen Richtlinien, die erläutern, was nach dem Dafürhalten der Betreiber als Spamming gilt. Zu den häufigsten Methoden gehören laut Lycos Keyword Stuffing (unverhältnismäßig lange bzw. unsichtbare Schlüsselbegriff-Listen), Doorway Page Stuffing (mehr als drei Brückenseiten oder 'Link-Farmen'), Domain oder URL Stuffing (diverse Domainnamen für ein und dieselbe Seite), irrelevanter Content (Schlüsselwörter und tatsächlicher Seiteninhalt stimmen nicht überein), Cloaking (Vorgaukeln korrekter Seiten zwecks besserer Position in Trefferlisten, während die User auf ganz andere Seiten gelotst werden) und Redirects (Weiterleitungen). Ebenfalls unerwünscht sind anstößige Inhalte, wobei es da keine klaren Grenzen gebe, vielmehr könne Lycos 'fallweise' bestimmen, was darunter zu verstehen ist.
Um herauszufinden, welche Spamming-Methoden am effektivsten sind, wurden fünf eigens geschaffene Test-Seiten mit 17 Verfahren 'optimiert' und bei den laut Webhits.de meistgenutzten Suchmaschinen angemeldet: AltaVista, AOL, Fireball, Google, Lycos, MSN, T-Online, Web.de und Yahoo. (MetaGer.de blieb verschont, weil Webcrawler nur indirekt manipulierbar sind.) Einmal die Woche wurden die Suchmaschinen im Hinblick auf die optimierten Seiten überprüft. Nach einer Laufzeit von 20 Wochen wurden die Ergebnisse ausgewertet. Immun gegen die Manipulationsversuche blieben lediglich Yahoo und AOL. Bei Yahoo vermuten die Forscher, dass die redaktionelle Prüfung eine Listung der Seiten verhindert hat. Bei AOL sind sie "überrascht", weil ein Leistungsvergleich ergeben hatte, dass die Trefferlisten von AOL "weitgehend mit jenen von Google übereinstimmen, Google aber zumindest zeitweise viele optimierte Seiten indizierte." Zur Ehrenrettung von Google und Web.de (das analog zu Google reagierte) sei gesagt: So schlagartig, wie die optimierten Seiten dort auftauchten, so schlagartig verschwanden sie später auch wieder - womöglich weil sie als gespamte Seiten entlarvt worden waren. Weil die Tests der Forscher Einblick geben in die geheim gehaltenen Verfahrensweisen von Suchmaschinen, wird die Versuchsreihe fortgesetzt.
Ein weiteres Problemfeld sind die so genannten Filter, die auch beim Marktführer Google zum Einsatz kommen (vgl. Google filtert). Diverse rechtsradikale Inhalte zum Beispiel bekommen deutsche und französische User gar nicht erst angezeigt; weil sie nach nationalem Recht schlichtweg verboten sind. In den Vereinigten Staaten dagegen genießen nicht nur die Betreiber rechtsradikaler Seiten das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch die User dürfen sich ein umfassendes Bild vom Meinungsspektrum machen. Dass nationale Gesetze nicht ohne weiteres aufs World Wide Web angewendet werden können, bereitet den entsprechenden Behörden einiges Kopfzerbrechen (vgl. Kontrolle des Internet). Was sie nicht davon abhält, hart durchzugreifen. Man denke nur an den französischen Yahoo-Chef Tim Koogle oder an den deutschen CompuServe-Chef Felix Somm, die beide ins Gefängnis sollten, weil sie ihren Usern grenzenlosen Zugang zu Informationen aller Art verschafft hatten - darunter auch zu Auktionen von Nazi-Devotionalien und pornografischen Bildern. Erst nach mehrjährigen Verfahren wurden Koogle (vgl. Letztes Kapitel im unendlichen Fall Yahoo) und Somm freigesprochen. Diese beiden Fälle dürften nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass diverse Suchdienste inzwischen vorauseilenden Gehorsam leisten und fleißig filtern.
Stärkere Selbstregulierung
Trotzdem fordern insbesondere deutsche Jugendschützer - unterstützt von der Bertelsmann Stiftung - eine stärkere 'Selbstregulierung' (vgl. Filterinitiative ICRA: Wir sind die Guten) seitens der Betreiber. Schützenhilfe erwarten sie nicht zuletzt von den Jugendschutzbeauftragten: Seit dem 1. April 2003 sind Suchmaschinen-Betreiber - ebenso wie alle anderen Online-Dienstleister - per Gesetz verpflichtet, einen Beauftragten für den Jugendschutz zu benennen. Tatsächlich getan hatten dies bis Januar 2003 (Ende der Befragung der Suchmaschinen-Betreiber) 25 Prozent der Befragten, weitere fünf Prozent planten die Ernennung für die nächsten zwölf Monate - fehlen 70 Prozent, die von der gesetzlichen Neuregelung bis dahin scheinbar noch nichts gehört hatten. Freilich kann auch ein Jugendschutzbeauftragter nicht verhindern, dass schusselige User auf Seiten landen, die sie gar nicht gesucht hatten. Tippfehler und falsch zugeordnete Eingabefenster machen's möglich, wie diverse Laborversuche zeigten. Wobei ausgerechnet erfahrene User sich häufiger vertippten - weil sie schneller schreiben.
Geradezu abenteuerlich sind die Theorien der User, wenn es um die Finanzierung von Suchmaschinen geht. Beispielsweise glaubt die Mehrzahl der am Telefon Befragten fälschlicherweise, dass sich Suchmaschinen in erster Linie durch den Verkauf von Nutzerdaten (55%) und kostenpflichtige Premium-Dienste (53%) finanzieren. Zur Auswahl standen insgesamt sieben Finanzierungsmodelle, wobei die Befragten einschätzen sollten, welche Finanzierungsformen wichtig und welche unwichtig sind. Auf Platz drei bis fünf landeten diese Modelle: die Betreiber von Webseiten bezahlen dafür, dass sie in der Trefferliste besonders auffällig angezeigt werden (41%) beziehungsweise überhaupt angezeigt werden (39%) beziehungsweise weiter oben aufgelistet werden (36%). Platz sechs belegte die Variante 'Internet-Provider finanzieren Suchmaschinen als zusätzlichen Service für ihre Kunden' (25%); den letzten Platz nahm mit neun Prozent die Finanzierung durch Werbeeinblendungen und Sponsoren ein.
Bannerwerbung und Sponsoring
Tatsächlich verhält es sich genau umgekehrt: die wichtigste Einnahmequelle sind nach wie vor Bannerwerbung und Sponsoring; auch die Hervorhebung einzelner Links oder eine bessere Listenplatzierung sind gegen Geld zu haben; dass ein Anbieter für die Aufnahme seiner Seite in den Index einer Suchmaschine bezahlen muss, ist jedoch die Ausnahme; dass Einnahmen aus anderen Online-Diensten in die Finanzierung von Suchmaschinen fließen, kommt durchaus vor - etwa bei T-Online, web.de oder AOL -, spielt insgesamt jedoch eine untergeordnete Rolle. In den Telefoninterviews nicht abgefragt aber durchaus lukrativ sind Gebühren für eine beschleunigte Bearbeitung angemeldeter Seiten, Erlöse aus eCommerce sowie der Verkauf der Suchmaschinen-Technik. Unüblich nach Auskunft der Betreiber ist der Verkauf von Nutzerdaten - zumal dies nur mit Einwilligung des Users gestattet ist. Dass diese Einnahmequelle für die Mehrzahl der am Telefon Befragten auf dem ersten Platz rangierte liegt den Forschern zufolge daran, dass die Nutzer die Möglichkeiten von Zugriffsprotokollen überschätzen. Man kann nur hoffen, dass die Betreiber von Suchmaschinen durch diese Ergebnisse nicht auf dumme Gedanken kommen.
Marcel Machill, Carsten Welp (Hrsg.): Wegweiser im Netz. Qualität und Nutzung von Suchmaschinen, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2003, 543 Seiten