Maoisten wollen Kapitalismus einführen

In Nepal gehen die Uhren anders - auch nach den Wahlen

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Bis vor kurzem wurde der Himalayastaat zwischen China und Indien von einem König regiert - nun besiegelt ein Bündnis unter Führung einer maoistischen Partei das Ende der Monarchie.

Der Parteichef der maoistischen KPN(M), Pushpa Kamal Dahal, besser bekannt als "Prachanda" ("der Furchteinflößende"), führte zehn Jahre lang einen Guerillakrieg an, der 2006 zu einem Waffenstillstand und zum Anfang vom Ende der Feudalherrschaft führte. Nachdem die militärischen Erfolge der Maoisten und ein Generalstreik die Wiedereinsetzung des Parlaments erzwangen, bildete sich eine Sieben-Parteien-Regierung, die nach und nach die Vorrechte des Königs beseitigte und beschloss, dass mit der ersten Zusammenkunft einer Verfassungsgebenden Versammlung im Mai 2008 auch formell eine föderale Republik ausgerufen werden soll.

Bei den im April abgehaltenen Wahlen erreichten die Maoisten mit 217 von 601 Sitzen eine relative Mehrheit. Hinter ihr platzierte sich die von Premierminister Girija Prasad Koirala geführte Kongresspartei, welche mit 107 jedoch nicht einmal halb so viele Sitze hat. Die kommunistische Partei KPN(VML), von der sich die KPN(M) 1994 abgespalten hatte, wurde mit 102 Sitzen drittstärkste Kraft. Von den drei monarchistischen Parteien konnte keine ausreichend Stimmen für ein Mandat erringen. Dafür ist noch eine ganze Handvoll verschiedenster Parteien in der Verfassungsgebenden Versammlung vertreten, die sich selbst als kommunistisch bezeichnen – darunter ein Abgeordneter der Nepalesischen Arbeiter- und Bauernpartei, die in Nordkorea ihr Vorbild sieht.

Kongresspartei und Maoisten unterscheiden sich unter anderem dadurch, an welchen Nachbarn sie das Land enger anbinden wollen: Die Kongresspartei steht eher Indien nahe, die Maoisten China. Sprachlich und kulturell haben die meisten Nepalesen mehr mit Indien gemein als mit den Volksgruppen des nördlichen Nachbarn. Knapp die Hälfte der Einwohner spricht das indoiranische Nepali, von den im Land vertretenen tibetobirmanischen Mundarten kommt keine über zehn Prozent. Etwa 80 Prozent der Bevölkerung leben in der Tradition des Hinduismus. Auch nach seiner Abschaffung als Staatsreligion im Jahre 2006 spielen extrem komplexe Kastensysteme, die sich teilweise von Tal zu Tal unterscheiden, immer noch eine bedeutende Rolle, welche auch die wirtschaftliche Entwicklung bremst.

Der Hindu-König Gyanendra war eine ausgesprochen dubiose Figur - es gab Gerüchte, dass er der Drahtzieher des "Palastmassakers" von 2001 war, das ihn nach dem Tod mehrerer seiner Verwandten auf den Thron brachte. Die Hinterlassenschaft seiner Dynastie ist bemerkenswert: Trotz seines Potentials zur sauberen Energieerzeugung und zum Fremdenverkehr zählt Nepal heute zu den ärmsten Ländern der Welt. Die Analphabetenrate ist mit fast 55 Prozent ausgesprochen hoch. 85 Prozent der Nepalesen leben auf dem Land, viele davon sind Bauern.

Diese niedrige Verstädterungsrate nutzte wiederum Prachanda, der seinen Guerillakrieg auch als "großen Bauernaufstand" bezeichnete. Der Agrarwissenschaftler plant seinen eigenen Verlautbarungen zufolge aber keine Wiederholung des "großen Sprungs nach vorn" oder ähnlicher Experimente, sondern die Schaffung einer Präsidialdemokratie nach amerikanischem Vorbild und die Einführung des Kapitalismus in Nepal. Durch eine "ökonomische Revolution" und eine stärkere Anbindung des Landes an die Weltwirtschaft will der Maoist die Reste des Feudalsystems beseitigen und den Fortschritt entfesseln. Dafür sollen dem Economist zufolge unter anderem ausländische Investoren für die Errichtung von Wasserkraftwerken gewonnen werden.

Allerdings nahmen die Regeln der Weltwirtschaft mittlerweile deutlich feudalistische Züge an – vor allem durch den erheblichen Ausbau so genannte "geistiger Eigentumsrechte". Vor genau zehn Jahren zeigten die Rechtswissenschaftler Michael Heller und Rebecca Sue Eisenberg in einem Science-Artikel wie solche "geistigen Eigentumsrechte" sowohl Innovation als auch Produktion immer stärker bremsen, weil immer mehr Bürokratie und immer höhere Transaktionskosten für die Einholung und Verhandlung von Rechten entstehen.1