Marco Bülow: "Profit-Lobbys und Kohlemafia haben sich in der SPD durchgesetzt"
Seite 2: Krise der Repräsentation: Nur die Hälfte der Bevölkerung noch im Parlament vertreten
- Marco Bülow: "Profit-Lobbys und Kohlemafia haben sich in der SPD durchgesetzt"
- Krise der Repräsentation: Nur die Hälfte der Bevölkerung noch im Parlament vertreten
- Das Imperium hat bei der Energiewende zurückgeschlagen
- Auf einer Seite lesen
Sie stellen fest, dass es einen schleichenden, immer tiefer gehenden Erosionsprozess gibt, was das Vertrauen in Politik und zentrale demokratische Institutionen angeht. Wenn man sich Studien anschaut, Sie zitieren sie in ihrem Buch "Lobbyland", dann belegen sie, dass große Teile der Bevölkerung faktisch keinen Einfluss auf die Gesetzgebung haben. In den USA ist das sehr gut untersucht worden. Aber auch für Deutschland. Aus Frust gehen viele Bürger:innen daher nicht mehr zu Wahl. Die Wahlbeteiligung hat nachgelassen. Wir sehen, dass Menschen politisch passiv werden oder aber zu rechten Parteien abwandern. Wie beurteilen sie die Entfremdung der Menschen von Politik und Staat und wo sehen sie Gefahren?
Marco Bülow: Ich habe das sehr persönlich erlebt. Ich komme aus Dortmund, wo nicht alle Leute auf Rosen gebettet sind. Die Partei SPD war lange ein Auffangbecken für diese Menschen. Man wollte gerade für die was tun, die keine starke Lobby haben. Die merken aber, dass das nicht funktioniert. Im Endeffekt ist es fast egal, wen sie wählen, weil die Wirkung nicht sichtbar ist, die sie sich wünschen.
Lange habe ich gedacht, ja, das stimmt vielleicht in Ansätzen, aber grundsätzlich nicht. Wenn Leute zu meinem Stand kamen und sagten, dass es doch egal sei, wen man wähle, am Ende seien sie die Dummen. Ich habe immer widersprochen, gesagt, dass es nicht so ist. Aber meine Erfahrung sprach irgendwann dagegen.
Dann habe ich Studien gelesen, die deutlich machen, dass es völlig egal ist, im sozialen Bereich zumindest, wen man wählt, weil eigentlich nur die Interessen von denen berücksichtigt werden, die vermögend oder gut ausgestattet sind und die die, die keine starke Lobby haben, vernachlässigen. Das bedingt sich und führt dazu, dass der Frust größer wird.
Die Vernachlässigten kennen die Studien nicht, aber sie können das aus dem Bauchgefühl festmachen. Es gibt welche, die weiter wählen, weil sie das kleinere Übel wählen. Andere driften ab und wählen Rechts. Aber die meisten wählen gar nicht mehr. Die verliert eine Demokratie. Ich finde es schlimm, dass wir, wenn wir eine repräsentative Demokratie haben wollen, die Repräsentation fast keine Rolle mehr spielt oder immer weniger eine Rolle spielt.
Bei Bundestagswahlen wählt ein Viertel nicht mehr, bei bestimmten Bevölkerungsgruppen geht nur die Hälfte zur Wahl, bei Kommunalwahlen findet man 50 Prozent Wahlbeteiligung schon toll, und auch bei Landtagswahlen sind es nur 60 bis 65 Prozent, die wählen gehen. Dazu kommt, dass wir ja sowieso schon einen Teil ausschließen, der gar nicht wahlberechtigt ist.
Ich habe das mal ausgerechnet: Für die Bundestagswahl bedeutet das, dass von 83 Millionen nur 60 Millionen wählen dürfen. Wenn dann 15 Millionen nicht wählen, dann landen wir schon bei 45 Millionen. Dann wählen noch fünf Millionen für Parteien, die nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen. Am Ende wird nur die Hälfte der Menschen, die in Deutschland leben, im Bundestag noch repräsentiert.
Eine Partei, die dann regiert, hat vielleicht nur zehn Millionen Stimmen bekommen. Jeder achte hat die nur noch gewählt. Da kann man nicht mehr von Repräsentation sprechen. Wir müssen uns viel mehr darauf konzentrieren, was mit den Menschen ist, die nicht mehr wählen gehen. Und mit denen beschäftigen, die sagen, ich will nur noch das kleinere Übel. Das tun wir aber nicht. Damit gibt sich eine Demokratie ein bisschen auf, wenn wir uns nur auf Wahlen konzentrieren. Aus den Wahlen wird dann ein Showkampf, es werden Sachen versprochen, die nicht eingehalten werden. Und man schließt am Ende Koalitionen, die man nicht haben will und die die Menschen immer frustrierter machen.