Marco Bülow: "Profit-Lobbys und Kohlemafia haben sich in der SPD durchgesetzt"

Seite 3: Das Imperium hat bei der Energiewende zurückgeschlagen

Sie haben, seit Sie ihre politische Laufbahn begonnen haben, immer Klimaschutz, Umweltschutz ins Zentrum ihrer Tätigkeiten gestellt. Sie waren stellvertretender energiepolitischer und umweltpolitischer Sprecher der SPD. Wie sind Sie zur Umwelt- und Klimaschutzpolitik gekommen?

Marco Bülow:Das hat mich politisiert. Ich habe in der Schule Tschernobyl erlebt. Damals habe ich mich ein wenig in der Schülervertretung herum getrieben. Ich habe das schon in der fünften, sechsten Klasse gemacht. Nach Tschernobyl habe ich mich gefragt, wie so etwas Schreckliches passieren kann. Wie die Erwachsenen so dumm sein können, Technologien zu entwickeln, die derart gefährlich sind. Ich habe dann mitgekriegt, dass es noch viel schlimmer ist. Dazu lernte ich, dass es schon Alternativen gibt. So begann für mich, Umwelt- und Energiepolitik spannend zu werden. Ich habe immer mehr politische Sachen gemacht. Ich habe dabei versucht, die umweltpolitische Frage mit der sozialpolitischen zu verknüpfen.

Umwelt und Klima standen daher für mich immer im Mittelpunkt. Deswegen bin ich dann auch in den Bundestag gekommen. Ich wollte in den Umweltausschuss und hatte ein unglaubliches Privileg: Ich saß an einem Tisch mit Leuten wie Ernst Ulrich von Weizsäcker und Hermann Scheer. Deren Bücher habe ich als Jugendlicher gelesen. Auf einmal war ich mit denen zusammen und durfte mit ihnen gemeinsam Politik machen. Das war ein absolutes Hochgefühl.

Sie nennen Hermann Scheer, Klimapionier von der SPD, und auch Hans-Josef Fell von den Grünen, mit denen sie damals viel zusammengearbeitet haben. Die sagten schon in den 90er Jahren, dass wir schnell auf 100 Prozent Erneuerbare Energien umschalten können. Es wurde auch immer wieder eine Agrarwende, eine Verkehrswende gefordert. Das wurde aber entweder abgebremst oder komplett verhindert. Wer ist verantwortlich dafür?

Marco Bülow: Vor 15 Jahren war Einiges möglich, das Erneuerbaren Energien Gesetz, die Erneuerbaren an sich betreffend. Ich erinnere mich, bevor ich im Bundestag war, haben wir als Jusos in Dortmund auf einem Parteitag der SPD die kostendeckende Einspeisevergütung durchgesetzt. Die wurde später wie so oft im Parteibusiness wieder einkassiert. Aber wir hatten zumindest ein Bewusstsein geschaffen, dass so etwas möglich ist.

Ich kann mich daran erinnern, ich saß auf einem Podium mit jemand von RWE und der CDU bei einer lokalen Diskussion. Es ging es um eine Verdoppelung der Erneuerbaren Energien, die damals bei 3 Prozent lagen. Sie erklärten mir, dass ich von einem anderen Stern komme. Ich hätte keine Ahnung. Ich sei viel zu jung, das würde schon technisch nicht gehen.

Das muss man sich mal heute vorstellen: bei drei Prozent haben sie das behauptet. Heute sind wir bei 50 Prozent und keiner zweifelt daran, dass auch 100 Prozent gehen. Außer die beruflichen Zweifler, die dafür Geld kriegen. Da gab es eine Aufbruchsstimmung und Möglichkeiten: Al Gore mit seinem Film "Eine unbequemen Wahrheit". Im Klimabereich merkte man, dass etwas passiert und einiges möglich ist. Alles war ja schon bekannt. Es gab die Studien, und der Weltklimarat IPCC hatte Berechnungen vorliegen. Es gab einen Hype, auch in öffentlichen Diskussionen, in den Medien. Aber wie das so ist: Gerne schwenkt man dann wieder zum nächsten Thema.

Und dann hat die Profit-Lobby, das Imperium, zurückgeschlagen. Man hat alle Hebel in Bewegung gesetzt. Die Lobbys waren damals nicht vorbereitet. Sie sahen, dass es Erfolge gibt. Es ging mit Kohle, Gas und Atom bergab. Sie sahen also zu, wie sie ihre Pfründe retten konnten. Sie haben sehr viel Geld investiert, nicht nur in Deutschland, sondern gerade in den USA, um eine Gegenlobby zu schaffen, die die alte fossil-atomare Struktur aufrechterhalten kann.

Die Politik hat sich im Endeffekt einkaufen lassen. Leute, die vorher in der Vorhand waren, Sachen durchzusetzen, konnten das nicht mehr. Es kamen zudem Neuere, Jüngere hinzu, die nicht mehr auf diesem Trip waren: Wir müssen fortschrittlich sein und neue Technologien einsetzen. Sondern die wollten das Gegenteil. Das Thema ist in der SPD komplett verloren gegangen.

Es gab mal einen guten Block in der SPD für diese Themen. Es war zwar immer heterogen, es gab Streit. Aber heute gibt es das nicht mehr, weil die Kohle-Mafia, um es böse auszudrücken, sich klar durchgesetzt hat mit den Profit-Lobbyisten.

Heute hat sich die Situation ein wenig verbessert. Nach den Klimaprotesten der letzten Jahre ist das Thema stärker in die politische Öffentlichkeit gekommen und die Parteien sind zum ersten Mal gezwungen worden, bei der Klimapolitik nachzulegen. Sie versprechen zumindest, mehr zu tun. Wie beurteilen sie die Angebote der Parteien zum Klimaschutz und auch zu den diversen Umweltkrisen?

Marco Bülow: Es ist natürlich hochgradig peinlich, dass Kinder und Jugendliche ein Thema zurückholen mussten, das die Politik bewusst aus dem Blickfeld verloren hat. Sie haben es zurückgeholt in die Öffentlichkeit, in die Medien, aber auch in die Politik, weil die sich jetzt damit auseinandersetzen muss.

Ich find es peinlich, weil im Endeffekt eine ganze Generation in der Politik versagt hat. Wir haben ganz viele wertvolle Jahre verloren. Wenn wir vor 15 Jahren das gemacht hätten, was Leute wie Hans-Josef Fell, wie Scheer, wie Weizsäcker und so weiter wollten, dann wären wir heute viel weiter und müssten über bestimmte Dinge gar nicht mehr diskutieren.

Die Proteste haben zumindest dazu geführt, dass die Politik wieder Stellung beziehen muss. Aber es sind viel heiße Luft und viele Phrasen dabei. Das zeigt sich allein daran, dass selbst das Verfassungsgericht eine Bundesregierung zwingen musste, das Gesetz noch mal nach zu schärfen, also das Klimapaket, was diesen Namen nicht verdient hat.

Man hat eigentlich das Gegenteil gemacht. Viele Maßnahmen wie Abstandsregelung bei Windkraft oder der Solardeckel sind erfunden worden, um die Erneuerbaren kaputt zu machen und zu deckeln bzw. zumindest nicht schnell nach vorne kommen zu lassen, wie sie eigentlich auf dem Vormarsch waren. Das hat viele Arbeitsplätze zerstört und auch die Technologie gebremst. Das kommt erst jetzt wieder an die Oberfläche durch diese Diskussionen, durch die Klimaproteste. Aber es ist, wie gesagt, viel heiße Luft.

Es macht mich wütend, wenn ich auf den Wahlplakaten wie im letzten Wahlkampf zum Beispiel Olaf Scholz (SPD) sah, der eigentlich alles blockiert hat im Klimaschutz, und dann mit Klimaschutz warb.

Die Frage ist, wie groß wir die Klimakrise werden lassen. Das ist das einzige, was wir noch entscheiden können. Deswegen macht es mich wütend, wie viele Jahre wir verloren haben und Klimaschutz weiter nur Phrase ist.

Klar sind die Grünen etwas glaubwürdiger, aber auch die haben das Thema lange Zeit nicht mehr stark besetzt, bis dann die Klimaproteste kamen. Ich glaube, auch die Grünen brauchen klaren Druck von neuen Parteien, von der Zivilgesellschaft, weil sie zu zaghaft sind und nicht alles durchsetzen können.

Eigentlich muss man viel eher aussteigen aus der Kohle, früher, als die Grünen wollen. Wir brauchen auch andere Maßnahmen, aber es traut sich keiner im politischen Business zu sagen, dass wir sowohl Ordnungsrecht als auch Anreize brauchen. Dazu benötigen internationale Vereinbarungen. Aber dahinter dürfen wir uns nicht verstecken. Wir brauchen heute eigentlich alles zusammen, um diese Wende zu schaffen.

Marco Bülow war lange Bundestagsabgeordneter. 26 Jahre arbeitete er als SPD-Mitglied und agierte in der Bundestagsfraktion als umwelt- und stellvertretender energiepolitischer Sprecher. 2018 trat er aus der SPD aus, weil er die Politik nicht mehr mittragen wollte. Im letzten Jahr schied er aus dem Bundestag aus und wechselte zu Die Partei.