Mariupol weitgehend in russischer Hand – und zerstört

Eine Straße in Mariupol während der Belagerung im März 2022. Bild: Mvs.gov.ua, CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

Russland meldet aus Mariupol die Kapitulation einer ukrainischen Brigade. Die vollständige Eroberung der Stadt scheint unmittelbar bevorzustehen.

Schon in den letzten Tagen stand fest, dass die endgültige Eroberung der weitgehend zerstörten Donbass-Großstadt Mariupol durch die russischen Truppen unmittelbar bevorsteht. Entgegen dem im Westen suggerierten Bild war die Stadt bereits in der letzten Woche nicht etwa von russischen Truppen umringt, sondern diese kontrollierten weite Teile des Stadtgebietes bereits so sicher, dass sogar die russische Regierungspartei "Einiges Russland" dort schon ein Büro eröffnete.

Auch aus ukrainischen Quellen ließ sich in den letzten Tagen schließen, dass die eingekesselten restlichen Truppen der Ukrainer nicht mehr lange durchhalten würden. Am 10. April verkündete der Kommandant des umstrittenen ukrainischen Neonazi-Bataillons Asow Swjatoslaw Palamar auf Twitter, man habe seit zwei Wochen den Kontakt nach Kiew verloren.

Einen Tag später beklagte die Facebookseite einer der Einheiten vor Ort einen eklatanten Munitionsmangel und fehlende Unterstützung der eigenen Behörden, ein Berater von Präsident Selenskyj namens Mychailo Podoljak sprach von knappen Nahrungsvorräten dieser ukrainischen Einheiten. Sie kontrollierten zu diesem Zeitpunkt nach eigener Darstellung noch einen großen Industriekomplex in der Stadt, auf den sie sich zuvor zurückgezogen hatten, anderweitig isolierte Truppen waren nach dort durchgebrochen.

So passt die offizielle russische Meldung vom 13. April, über 1.000 Soldaten der 36. ukrainischen Marinebrigade hätten die Waffen gestreckt, ins Bild. Wie schnell dem nun die übrigen Einheiten folgen, wird sich sehr schnell zeigen – gerade die Kämpfer von Asow werden jedoch in einer russischen Kriegsgefangenschaft mit massiven Repressalien rechnen müssen und deswegen erst so spät es irgendwie geht kapitulieren.

Über die Einheit sind in regierungsnahen russischen Medien allerlei Meldungen über Gräueltaten gegenüber der örtlichen Zivilbevölkerung im Umlauf, die sich vor Ort jedoch kaum unabhängig überprüfen lassen. Gleiches gilt für ukrainischen Vorwürfe gegenüber russischen Truppen, gegen die letzten Stellungen der Ukrainer in der Stadt Chemiewaffen eingesetzt zu haben.

Enorme Zahl ziviler Opfer

Sollten die Kämpfe in der Stadt demnächst zu Ende gehen, wird bei der noch verbliebenen Bevölkerung zunächst eine deutliche Erleichterung zu spüren sein. 22.000 Todesopfer sollen die intensiven Straßenkämpfe in der Stadt im Laufe der letzten Woche nach offiziellen Angaben gefordert haben, darunter rund 10.000 Zivilisten.

Die durch einen mutmaßlichen Bombenangriff auf eine Geburtsklinik international bekannt gewordene Marianna Wischemirskaja berichtet gegenüber der Münchner Abendzeitung, dass es praktisch in keinem Stadtbezirk noch unbeschädigte Häuser gebe. Nach der Zerstörung ihrer eigenen Wohnung ist auch sie mit Mann und dem kürzlich geborenen Baby weiter in den Donbass hinein geflohen.

Dass das Verhältnis zwischen der Zivilbevölkerung und den russischen Besatzungstruppen sich in der Region um die Stadt so radikal zuspitzt, mit entsprechenden weiteren Gräueltaten der Besatzer, wie das vermutlich in der Region nördlich von Kiew geschah, ist unwahrscheinlich. Die Stadt wird von der nicht anerkannten Donezker "Volksrepublik" beansprucht, die sie in ihrem "Staatsgebiet" eingliedern will.

Knapp 90 Prozent der Einwohner sind russische Muttersprachler, im Jahr 2014 war eine große Menge der örtlichen Bevölkerung gegen den Euromaidan auf der Straße. Der prorussische "Oppositionsblock" erhielt bei der Parlamentswahl 2014 in Mariupol knapp 40 Prozent der Stimmen, etwa 10 Prozent gingen an die ukrainischen Kommunisten, die ebenfalls die Ergebnisse des Euromaidan ablehnten.

Viele Unterstützer des Euromaidan dürften auch inzwischen in Richtung Westen geflohen sein. Deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass es größeren Widerstand gegen den Aufbau prorussischer Verwaltungsstrukturen geben wird – anders als in der ebenfalls besetzten Region Cherson, die stärker ukrainisch geprägt ist.

Einheimische skeptisch gegenüber der Art ihrer "Befreiung"

Dennoch heißt die örtliche Bevölkerung den Krieg und die damit einhergehende Zerstörung ihrer Heimatstadt nur in den seltensten Fällen gut, obwohl das von russische Staatsmedien anders dargestellt wird.

Die oppositionelle Onlinezeitung Meduza besuchte ein Flüchtlingszentrum im benachbarten Russland. Hier sprachen Flüchtlinge von der Unterdrückung ihrer russischen Muttersprache in der ukrainischen Zeit, machten jedoch auch sehr kritische Anmerkungen zum Krieg:

Von Mariupol sind nur Ruinen übriggeblieben, wir müssen ein völlig neues Leben beginnen (…) Viele sind von Russland beleidigt. Acht Jahre wurden wir unterdrückt, unsere Sprache. Aber wir lebten alle, wir hatten Häuser, Wohnungen, alles. Wir hatten ein Geschäft und eine Datscha am Meer.

Alina aus Mariupol gegenüber Meduza

Laut Alina wollte die Bevölkerung nicht, dass Russland "auf diese Weise" das Donbass erobere und aus ihrer Stadt ein Schlachtfeld mache. Diese Einstellung ist beim prorussisch gesinnten Bevölkerungsteil nachvollziehbar, nach vielen Toten in der eigenen Nachbarschaft, einem Leben in Kellern unter Granatfeuer. Die von russischen Offiziellen suggerierte "Befreiung" des Donbass wird selbst von den wohlgesonnenen "Befreiten" nicht als solche wahrgenommen.

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