Martin Lemke: Ficken und foltern im syrischen Dschihad
Seite 2: Dienst beim IS
Martin Lemke wohnte mit seiner Großfamilie von November 2014 bis Herbst 2017 in Raqqa. Damals "verdiente" er beim "Islamischen Staat" 50 Dollar pro Person und erhielt noch für jedes Kind 35 Dollar extra. Danach musste die Familie angesichts der militärischen Niederlagen mehrfach flüchten.
Beim "IS" diente er zunächst bei der Religionspolizei Rijaal al-hisbah (Kurzname: Hisbah), später beim Sicherheitsdienst Amniyat in Raqqa mit engen Kontakten zu Abu Muhammad al-Adnani. Der Amniyat ist neben dem Diwan al-Amn und der Shurta Askeriya einer der drei Sicherheitsdienste des "IS". Nach Angaben von Leonora Lemke kümmerte sich ihr Ehemann um das IT-System des IS: "Es gibt keinen Beweis, dass ich irgendjemanden getötet habe, ich habe niemanden bekämpft. (…) Meine Abteilung war das Technische Büro, nichts anderes", behauptet er heute.
Der Journalist Björn Stritzel fasste die "Karriere" des Martin Lemke in der Bild-Zeitung so zusammen:
In Syrien war Lemke dank der Fürsprache seines Mentors Abu Walaa (steht derzeit in Celle vor Gericht) im internen Sicherheitsapparat der Terrorgruppe rasch aufgestiegen: Kontrollierte er anfangs noch als Religionspolizist die Einhaltung der ISIS-Gesetzgebung, gelangte er bald in den ISIS-Geheimdienst. Hier arbeitete er nach BILD-Informationen zunächst als Übersetzer und kontrollierte andere deutsche Dschihadisten. (…) Nach BILD-Informationen soll Lemke aber an Hinrichtungen beteiligt gewesen sein.
Björn Stritzel
Der Stern-Journalist Steffen Gassel berichtete nach einem Gespräch mit Marin Lemke am 28. Februar 2019 über dessen Terroraktivitäten:
Als Mitglied des Geheimdienstes "Amnijat", einer Art IS-Stasi für Spionageabwehr, soll es seine Aufgabe gewesen sein, Abweichler und Verräter im IS aufzuspüren, zu foltern und zu töten. Zeugen haben ausgesagt, er habe Verhöre inhaftierter Deutscher geleitet. Im zum IS-Gefängnis umfunktionierten Stadion der IS-Hauptstadt Raqqa, wo Lemke mit seiner Familie jahrelang lebte, soll er Häftlinge bis zum Tod gefoltert haben. (…)
"Ich habe niemals einem Menschen den Kopf abgeschlagen. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich das gepostet habe. Er wurden Menschen die Köpfe abgeschlagen, aber nicht ich." Kurz darauf fällt ein bemerkenswerter Satz: "Es wird viel geredet, aber niemand weiß die Wahrheit." (…)
Ja, er sei ab Mitte 2015 eineinhalb Jahre lang Amnijat-Mitglied gewesen. Und zwar als einziger Deutscher im "Wilyat ar-Raqqa", dem Verwaltungsbezirk Raqqa des Kalifats. Dort aber habe er nur in einem "technischen Büro" gearbeitet. "Ich habe Laptops formatiert, Handys formatiert, Reparaturen gemacht. Ich habe Verschlüsselungen gemacht für Festplatten, USB-Sticks. Solche Sachen.
Steffen Gassel
Im IS-Gefängnis von Raqqa verhörte er u. a. Anil O., der verdächtigt wurde, ein Deserteur zu sein. Dazu berichtete die Wochenzeitung Die Zeit:
O. zufolge brüstete sich Lemke damit, zum Geheimdienst des IS zu gehören und für die Deutschen zuständig zu sein. Normalerweise, so Lemke, stehe auf Fluchtversuche die Hinrichtung. Aber wenn O. über seinen Fluchtplan und Kontakte zu Schleusern auspacke, werde er versuchen, die Todesstrafe abzuwenden. Lemke sagte O. zufolge auch, dass der Hildesheimer Prediger Abu Walaa ihn zum IS gebracht habe. Am Ende ist es diese Verbindung, die O. das Leben rettet: Auch O. war von Abu Walaa geschickt worden; Lemke befürchtete offenbar schlechte Publicity für den Scheich von Hildesheim, wenn einer seiner Schützlinge als Verräter hingerichtet würde.
Das Verhör, sein Detailwissen und die Behauptung, er rede regelmäßig mit dem IS-Vize Al-Adnani, lassen den Schluss zu, dass Lemke zu diesem Zeitpunkt tatsächlich beim IS-Geheimdienst angekommen war. Unter den deutschen Kämpfern in Rakka kursierte O. zufolge die Geschichte, dass Lemke vor seiner Beförderung einen Spionagering habe hochgehen lassen. Das habe seinen Aufstieg bewirkt. Ein europäischer Ex-Geheimdienstler, der viele Akten von foreign fighters kennt, hält das für plausibel: Dies sei ein klassischer Einstieg in die Amnijat. (…)
Anil O. kommt glimpflich davon, denn Abu Walaa setzt sich offenbar aus der Ferne für ihn ein. Andere haben weniger Glück: Europäischen Sicherheitsbehörden liegen Aussagen vor, denen zufolge Lemke ein Folterer und Mörder ist. Im Stadion von Rakka, das zum Sicherheitskomplex des IS gehörte, soll er mehrere Personen zu Tode gequält haben, mutmaßlich des Verrats verdächtige IS-Kämpfer. Und Lemke selbst schickte einem Bekannten Facebook-Nachrichten, die die ZEIT einsehen konnte. Darin heißt es: "Ich habe Menschen die Köpfe abgeschlagen.
Die Zeit
Das passt zu dem, was ein junger Mann aus dem Nordirak im August 2015 der Polizei in Naumburg erzählte: Es existiere ein Video, gab er zu Protokoll, auf dem zu sehen sei, wie Lemke eine Enthauptung vornehme und anschließend mehrere Menschen nacheinander erschieße. Er habe Lemke, den er aus Zeitz vom Sehen kenne, darauf wiedererkannt. Das Video liegt den Behörden allerdings nicht vor.
Wie andere zum V-Mann mutierte Ex-Terroristen wird Anil O. in verschiedenen Strafverfahren als Kronzeuge instrumentalisiert. Dabei zeigte sich, dass seine Ausführungen nicht immer glaubwürdig sind, so im Prozess gegen Sven Lau, wo er nach einer zähen Befragung einräumen musste, mögliche Beweise gegen Lau nur vom Hörensagen zu kennen. Martin Lemke kündigte an, er werde juristisch gegen die Darstellung von Anil O. vorgehen.
Ein namentlich nicht genannter Zeuge sagte aus, Martin Lemke habe seinen Bruder geköpft. Auch der "Mitteldeutsche Rundfunk" in Leipzig berichtete Anfang März 2019: "Es soll sogar Zeugen geben, die ihn bei Folterungen und Hinrichtungen gesehen haben wollen."
In mehreren Interviews nach seiner Gefangennahme bestritt Martin Lemke, an der Ermordung von Gegnern beteiligt gewesen zu sein. Gegenüber dem "MDR" erklärt er: "Ich war nie an Hinrichtungen beteiligt, noch war ich dort. Ich war in einem technischen Büro, habe Laptops, Handys und Festplatten formatiert - ganz normale Arbeit." Zur Frage, ob er andere gefoltert hat, äußerte er sich explizit nicht. In klassischer deutscher Manier erklärte Lemke, er habe von all den Gräueltaten nichts gewusst: "Ich bin von meinem Arbeitsplatz nach Hause, von zu Hause zu meinem Arbeitsplatz. Ich habe weder was gehört, noch was gesehen. Keine Nachrichten, kein Fernsehen, nichts."