Massaker, völkischer Nationalismus und Wahn

Seite 3: Völkischer und republikanischer Staatsbürgerbegriff: Gemeinsamkeiten und Unterschiede

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Zwischen völkischem und republikanischem Staatsbürgerbegriff finden sich Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Rechtspopulisten bemühen sich nach Kräften, den Insassen ihrer jeweiligen Staatsanstalten einzureden, alles würde besser, wenn das gute eingeborene Volk nur unter sich bleiben könnte und die unselige Verquickung mit anonymen ausländischen Institutionen und Personen nicht seinen Wohlstand hintertreiben würde.

Wahr ist daran nichts, wie z.B. das politisch-ökonomische Tohuwabohu um den "Brexit" exemplarisch zu zeigen vermag. Das gesamte Wachstum der kapitalistischen Welt fußt längst auf einem komplexen globalen Abhängigkeitsgefüge, aus dem man sich nicht einfach zurückziehen kann, ohne den Bruch mit dieser Art des Wirtschaftens zu riskieren oder zu bezwecken: Den Kapitalismus national abzuriegeln und sich dabei des Reichtums der ganzen Welt zu bedienen, schließt sich einfach aus - außer man hat, wie beim fundamentalistischen Nationalismus in all seinen Varianten gang und gäbe, nicht gleich eine andere Art der globalen Abhängigkeit im Auge, in der man sich als überlegenes politisches Zentrum einer quasi-kolonialen, zumindest erfolgreich unterworfenen Welt sieht, die einem zuzuarbeiten hat, ohne dass daraus eigene Verpflichtungen oder Gegenleistungen erwachsen.

Die trostlose Kosten-Nutzen-Rechnung der Kolonialzeit strafte diese Milchmädchenrechnung schon damals Lügen; ein effektiveres System der globalen Ausbeutung als der moderne, marktvermittelte Imperialismus ist nirgendwo im Angebot. Dass es dabei Gewinner und Verlierer gibt, liegt in der Logik und den Mitteln dieser Konkurrenz, der Waffe einer überlegenen Produktivität als Mittel der Profitsteigerung - überlegene Kapitalgröße bewirkt über das darin steckende Expansions- und Investitionspotential die Verstärkung der ökonomischen Überlegenheit, die die globalen IT-Monopole, Energie-Konzerne und Industriekapitale in politische Macht umzumünzen wissen, da ohne die vorrangige Bedienung ihrer Interessen "marktkonforme" Demokratien das "Wachstum" nicht zuwege bringen, auf das alle scharf sind.

Die rechtspopulistischen Vertreter eines völkischen "Nationalkapitalismus" versuchen hingegen, die globale Marktkonkurrenz entlang rassistischer Kriterien zu differenzieren, indem sie die Konkurrenten auf den ausländischen Waren- und den inländischen Arbeitsmärkten als "Fremde" definieren, denen Diskriminierungen zuteilwerden müssen, um die bevorrechtigten einheimischen Firmen und Arbeitskräfte bevorzugen zu können. Derartige Betrachtungsweisen verfangen typischerweise in ökonomischen Krisenzeiten, in denen der gewohnte Konkurrenzerfolg sich im Rahmen des bisher so profitabel angewandten internationalen Regelwerks nicht mehr einstellen mag.

Nun erscheint manchen der politische Versuch, sich auf Kosten aller anderen schadlos zu halten, als zwar potenziell ziemlich gewaltträchtige, aber unumgängliche Alternative, die ihre ideologische Begründung mit der Vorstellung unterfüttert, die Konkurrenten hätten dies qua Fremdartigkeit, wenn nicht Minderwertigkeit gar nicht anders verdient - schließlich hintertreiben sie den qua eigener Vortrefflichkeit berechtigten Erfolg der eigenen Nation innen wie außen.

Damit kommt diese Krisenvariante bürgerlicher Herrschaft der autoritären Vorstellung national gesinnter Bürger vom Staat als oberstem Paternalisten, der sie in ihrem Beitrag zum völkischen Leben zu unterstützen habe, entgegen. Dass auch das viel beschworene "Kernvolk" sich nach wie vor in gesellschaftliche Klassen scheidet, es schlecht verdienende Arbeiter neben steinreichen Industriellen gibt, widerspricht dem Programm der Rechten insofern nicht; schließlich bringt die Natur Herren und Knechte, Krieger, Herrscher und allerlei Dienstvolk hervor, so dass seit jeher mit "Suum Cuique! - Jedem das Seine!" das Programm einer völkisch-nationalen, autoritär durchstrukturierten und dennoch beinhart kapitalistischen Klassengesellschaft umschrieben ist.

Dabei wurde der rein biologistische Rassismus der Nazis immer mehr durch ethnopluralistische Konzepte abgelöst, die die jeweils "fremden Kulturen" als regionale "Eigenart" definieren, die dem dortigen Staatsvolk genauso unverbrüchlich eigen sein soll wie früher seine genetische Bestimmung. Auch diese kulturalistische Variante des Rassismus setzt sich darüber hinweg, dass sämtliche menschlichen Denk-, Wert- und Glaubenssysteme Konstruktionen sind, die sich zumeist als Mischung geplanter und zufälliger Momente der Auseinandersetzung einer Menschengruppe mit den Bedingungen ihres sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zusammenlebens ergeben, als solche natürlich wandelbar sind, wenn der einzelne Mensch seine kulturelle Umgebung wechselt: Ob, wie und in welchem Maße dies geschieht, hängt auch davon ab, mit welchem Maß an "Identitätsfixierung" die jeweiligen Migranten/innen dort ankommen und welche Erfahrungen sie im neuen Kulturkreis machen.

Die moderne Rechte will demgemäß die ökonomischen Prinzipien und politischen Maßnahmen (wie z.B. die Agenda 2010), denen sich die soziale Ungleichheit, die wirtschaftlichen Lebensrisiken und die Gefährdungen des erreichten Lebensstandards verdanken, nicht entlang ihres sachlichen Gehalts, sondern wegen ihrer mangelnden Differenzierung nach "Bevorrechtigten", zu denen das treue "Stammvolk" gehören soll, und "Fremden", die als nicht "Volksdeutsche" hier sowieso eigentlich nichts verloren haben, modifizieren. Die Verschärfung der Ungleichheit, die die Krisenbewältigungspolitik der EU überall in Europa begleitet, auch beim obersten Konkurrenzsieger Deutschland, führt nicht zur Kritik dieser Wirtschafts- und Sozialpolitik, sondern zur Forderung nach ergänzenden nationalpolitischen, genuin völkischen Verteilungskriterien.

Dabei werden Identität und Differenz zu den faschistischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts sichtbar: Gemeinsam ist beiden der Rückgriff auf das Völkische, das gegen die Auslesemechanismen der freien Konkurrenz als Maßstab der politischen Privilegierung des behaupteten "Stammvolks" gefordert wird; im Unterschied zu damals ist dies aber bei den modernen Rechtspopulisten nicht in ein Programm der "nationalen Revolution" eingebunden, das das liberalkapitalistische politische System als solches beseitigen will - im Gegenteil: Die AfD unterstellt die moderne radikalliberale Programmatik und forciert sie in ihren Aussagen z.B. zur Unfallversicherung, die den Arbeitgeber eigentlich nichts anginge, sogar noch.

Dass der moderne Globalkapitalismus sich als weltumspannendes System konkurrierender kapitalistischer Staaten unter der "Leadership" der USA etabliert hat, deren Konkurrenz ihre wechselseitige Abhängigkeiten ebenso zugrunde legt wie hervorbringt, aber auch bisweilen in Gegnerschaft umschlagen lässt, so dass die internationale Praxis zwischen Kooperation, Konkurrenz und zumeist diplomatischem, bisweilen aber auch militärischem Konflikt oszilliert, wird von der Rechten systematisch ignoriert. Sie pfeifen auf die "regelbasierte Wettbewerbsordnung" und streben die unverblümte Vorherrschaft, den direkten Vorteil der eigenen Nation ohne Umwege an, was im Falle der Führungsnation USA, die unter Donald Trump diesen Neuordnungsprozess international erst so richtig losgetreten hat, zur Wiederbelebung des Faustrechts als Mittel der internationalen Politik führte.

Die radikale Rechte ist insofern bestrebt, die nationale Politik und deren Erfolg von der ausschließlichen Gültigkeit der Kriterien "der Märkte" in Richtung einer völkischen Hierarchisierung freizumachen: Mit einer vom Staat entlang rassistischer Unterscheidungen organisierten, völkisch gefilterten Klassengesellschaft soll die differenzierende Macht der kapitalistischen Konkurrenz ökonomisch Ungleicher entlang der Potenzen von Eigentum und Marktmacht durch die diskriminierende Gewalt der keinen Widerspruch duldenden Sortierungsprozesse der völkischen Staatsmacht ersetzt werden.

Verlierer gibt es in beiden Systemvarianten, so oder so. Und die Vorstellung von der Menschennatur leistet beiden ebenso gute Dienste: Die Konkurrenzvariante ist sich sicher, dass das System die "Intelligenten=Leistungsfähigen" voranbringt, wenn man es nur ordentlich funktionieren lässt; das völkische Ordnungsschema hingegen weiß genau, dass sein "Kernvolk" das überlegene ist - mal qua "Kultur", mal qua "Rasse", wobei beide für fest verwachsene, quasi natürliche, zumeist nur eingebildete "Eigenschaften" stehen.

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