Massenabmahner im Zwielicht
- Massenabmahner im Zwielicht
- Die peinliche Frage nach dem Betrug
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Filesharing-Abmahner klagen sich selbst an - ohne es zu merken
Derzeit haben mal wieder Massenabmahnungen wegen Filesharing Konjunktur. Sparfreudige Konsumenten von Software, Musik oder Filmen - auch die Freunde des fachmännisch ausgeleuchteten Naturfilms - wähnen sich beim Download urheberrechtlich geschützter Inhalte unbeobachtet. Der vermeintlich heimliche Download hinterlässt jedoch eine IP-Nummer des Zugangsproviders, der die Verbindung zu seinem Kunden zurückverfolgen kann und diesen auf gerichtliche Anordnung hin verpetzen muss, wie es die neue Fassung des § 101 Abs. 9, Abs. 2 UrhG nach umstrittener Auslegung der Kölner Gerichte nunmehr gebieten. Die Sparer gucken dann entsprechend sparsam, wenn plötzlich ein Brief einer freundlichen Anwaltskanzlei seinen Weg zum Sünder gefunden hat und um eine kleine Spende bittet - andernfalls man sich leider veranlasst sehe, mit der juristische Keule zu wüten, was dann noch teurer würde.
Grundsätzlich ist die Abmahnung - übrigens eine Spezialität des deutschen Rechtswesens - eine sinnvolle Sache. Denn durch die Obliegenheit, mit Sündern vor Inanspruchnahme der Gerichte Rechtsstreite erst einmal freundlich das Problemchen zu besprechen, werden nicht nur die Gerichte entlastet, auch der Abgemahnte spart entsprechende Gerichtsgebühren und -Termine. Verzichtet ein Kläger auf eine Abmahnung, so kann der Beklagte einen gerichtlich geltend gemachten Anspruch sofort anerkennen, was zur Folge hat, dass der Kläger dann auf seinen Kosten sitzen bleibt, denn dann war die Klage nach § 93 ZPO eben nicht erforderlich. In manchen wettbewerbsrechtlichen Angelegenheiten ist eine Abmahnung sogar gesetzlich vorgeschrieben, im Urheberrecht wurde diese Rechtspraxis inzwischen in § 97a Abs. 1 UrhG als Obliegenheit ausgestaltet.
Da jedoch im deutschen Recht das Verursacherprinzip gilt, muss der berechtigt Abgemahnte hierzulande die Kosten für diesen freundlichen Service des Abmahners tragen. Das setzt allerdings voraus, das solche Kosten - etwa für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts usw. - tatsächlich entstanden sind. Hieran bestehen häufig Zweifel, denn das Kosten/Nutzen-Verhältnis einer Abmahnung ist typischerweise sehr verlockend: Man lässt den Anwalt Papier mit Textbausteinen bedrucken und mit einer Briefmarke bekleben, der wiederum für diesen "Aufwand" beträchtliche Summen beim Sünder liquideren kann. Da lohnt es sich sogar, bei zweifelhaften Ansprüchen Abmahnungen etwa nach dem Schrotflinten-Prinzip massenhaft zu versenden.
Bei gewissen Rechtsanwälten etwa, die häufig in eigenen Sachen abmahnten, drängte sich in der Vergangenheit der Gedanke auf, dass hier weniger die Rechtspflege, als vielmehr das finanzielle Interesse an den selbst generierten Abmahnungshonoraren den Abmahnungen Vorschub leistete. Daher wird Anwälten beim Abmahnen in eigener Sache der Honoraranspruch regelmäßig versagt, denn die könnten das auch nach Dienstschluss bewältigen, ohne ernsthaft Kosten zu verursachen. Ebenso wenig schmeckte dem Gesetzgeber Marions trübe Suppe, deren Fotograf das Internet mit etlichen Lebensmittelfotos garnierte und bei "digitalem Mundraub" kostspielige Abmahnungen verschickte. Angesichts der "Gewinnspanne" bei Abmahnungen liegt der Verdacht nahe, dass sich der Anwalt für solch lukrative Aufträge bei seinem Mandanten in einer nicht vom Gesetzgeber gewünschten Weise erkenntlich zeigen wird, das Spiel also abgekartet ist. Mit anderen Worten: Man geht von einem wirtschaftlichen Eigeninteresse der Beteiligten aus, das nur schwer mit dem Ideal der veranlassten Rechtspflege in Einklang gebracht werden kann. Daher sind inzwischen bei simplen Evidenzfällen wie entsprechenden Brötchenfoto-Abmahnungen die Honoraransprüche durch Einführung des § 97a Abs. 2 UrhG auf 100,- € gedeckelt worden, was entsprechenden Abmahnern den Appetit verderben soll.
Kein solch einfacher Fall liegt jedoch etwa bei Filesharing-Prozessen vor, denn hier muss der Verletzte einen gewissen Aufwand betreiben, um die Verletzung nachzuweisen und den Verletzer aufzuspüren. Auch die Rechtslage ist nicht ganz so eindeutig, wie man es uns denn erzählen will. Oft steht gar nicht fest, wer welchen Rechner tatsächlich bedient hatte. Manchmal sind die heruntergeladenen Programme auch gar nicht lauffähig, so dass der Verdacht nahe liegt, es handele sich um ausgelegte Köder, bei denen sich der Agent Provocateur selbst nicht strafbar machen wollte.
Doch wie man die Sache dreht und wendet, so kann nur der Verletzte Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen - nicht aber seine Dienstleister wie etwa der Anwalt oder auf Datenjagd spezialisierte Unternehmen. Der Anwalt agiert nur als Vertreter des Abmahners, der in dessen Namen beim Verletzer Forderungen auf Ausgleich der eigenen Honorarforderung an seinen Mandanten stellt. Die vom Anwalt beigetriebenen Zahlungen kompensieren Kosten des Verletzten - wenn es denn welche gibt.
Das peinliche Fax des Rechtsanwalts Dr. K.
In den letzten Wochen wurde es für einige Abmahnspezialisten in mehrfacher Hinsicht peinlich. Denn der naheliegende Verdacht, dass Massenabmahner in Wirklichkeit aus eigenem wirtschaftlichen Interesse ihrem Geschäft nachgehen, wurde nun zur Gewissheit:
Das Enthüllungsportal Wikileaks veröffentlichte ein brisantes Fax der für Massenabmahnungen einschlägig bekannten Frankfurter Rechtsanwälte K., in dem Dr. K. im März 2008 einem gewissen "Brian" ein Geschäftsmodell erläutert und wörtlich schreibt:
The whole project is a "no cost"-project for the original right holders.
An den Vorschlägen, wie man bei dem No-Cost-Projekt die Beute des Joint Ventures aufteilen könne, scheinen einige "Brians" Gefallen gefunden zu haben, denn die in Frankfurt installierte und von K. vertretene Firma "DigiProtect" ist nunmehr jedem Anwalt, der mit Internetrecht zu tun hat, ein fester Begriff.1
Wenn denn aber dem Rechteinhaber kein Schaden ("no cost") entstanden ist, dann hat er auch keinen Anspruch auf Schadensersatz. Auch unter dem Gesichtspunkt des in engen Grenzen zulässigen Erfolgshonorars vermag das Geschäftsmodell des Rechtsanwalts K. nicht zu überzeugen, was kürzlich der IT-Rechtsspezialist Rechtsanwalt Thomas Stadler in seinem Blog kommentierte. Auch andere Kollegen weisen darauf hin, dass es bei Massenabmahnungen am für ein Erfolgshonorar erforderlichen "Einzelfall" fehlen wird.
Doch Anwalt Stadler ging darüber hinaus und qualifizierte die Kostenforderungen, welche die Kanzlei K. an die ertappten Urheberrechtsverletzer stellt, als Betrug. Dieses schon deshalb, weil dem eigentlichen Rechtsinhaber keine Kosten entstanden und folglich auch keine zu ersetzen seien. Stadler kritisierte insbesondere, dass in den Abmahnungen "Anwaltskosten nach dem RVG geltend" gemacht würden. Ansprüche aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) setzen eine wirkliche anwaltliche Tätigkeit für einen Mandanten voraus, woran es vorliegend wohl tatsächlich fehlen dürfte, da man ein Mandatsverhältnis allenfalls formal konstruieren könnte.
Die Bezugnahme auf das RVG suggeriert jedoch quasi sogar einen gesetzlichen Anspruch, wobei der eigentlich erbetene Zahlungsanspruch sich nicht (immer) unmittelbar auf das RVG bezieht: Man droht mit der Peitsche einer gerichtlichen Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs und rechnet für diesen Fall die Kosten vor, bietet jedoch gleichzeitig Zuckerbrot in Form einer etwas geringen Geldforderung, und die Sache wäre bei fristgemäßer Zahlung vom Tisch. Psychologisch ist diese Zuckerbrot-Geldforderung als das kleine Übel nicht ungeschickt.
Die peinliche Abmahnung des Rechtsanwalts S.
Als Anwalt Dr. K. die Schelte seines Kollegen las, muss ihm die Robe geplatzt sein. Der massenabmahnende Advokat bekam es allerdings nicht auf die Reihe, Rechtsanwalt Stadler selbst abzumahnen, sondern beauftragte hiermit einen Kollegen S. Der forderte nicht nur Unterlassung, sondern auch einen Widerruf Stadlers auf dessen Website. Und wie es sich für einen zünftigen Abmahner gehört, sollte den Abgemahnten der Spaß auch etwas kosten: Als Streitwert setzte S. stolze 250.000,- Euro an, aus denen sich sein Honorar errechnen lasse, das Stadler ihm freundlicherweise anerkennen solle.
Die Leistung, mit welcher S. dem Anliegen seines Mandanten schadete, dürfte einen neuen Rekord in Sachen Streisand-Effekt markieren. Binnen weniger Stunden solidarisierten sich etliche von DigiProtect geschundene Anwaltskollegen mit dem bloggenden Anwalt Stadler und bombardierten ihn förmlich mit weiterem belastbarem Material.
Schon formal spottete etwa Law-Blogger Udo Vetter, dem Stadler das Abmahnschreiben vorlegte, über den provinziell inflationären Gebrauch von Ausrufezeichen, mit denen der forsche Anwalt S. seinem Anliegen eigentlich Autorität hatte verleihen wollen. Sogar das Wort "Einschreiben" war mit 2 (in Worten: "zwei") Ausrufezeichen versehen, von denen sich Anwalt S. optimistisch eine Einschüchterung des gestandenen Anwalts Stadler versprach. Auch der vehementen Beteuerung, Stadler verbreite die Unwahrheit, wollte S. mit einem Doppel-Ausrufezeichen Gewicht verleihen. Vom Einsatz von Großbuchstaben, farbiger Schrift und graphischer Illustrierung des Fegefeuers hatte S. gerade noch absehen können.
Doch auch die furchteinflößenden Ausrufezeichen vermochten Stadlers Vorwürfe nicht zu entkräften. Konkret störte sich S. an Stadlers Vorwurf, Stadler liege ein Schreiben vor, in dem DigiProtect Anwaltskosten nach dem RVG geltend mache. Genau betrachtet forderte DigiProtect lediglich eine Zuckerbrot-Zahlung, wobei jedoch für den Fall einer bei Ausbleiben erforderlichen gerichtlichen Geltendmachung die dann zu erwartenden Peitschen-Kosten nach RVG vorgerechnet wurden. Da es für die Zuckerbrot-Forderung allenfalls nach RVG eine indirekte Rechtsgrundlage geben könnte und diese im Zusammenhang mit der Drohung einer Peitschen-Forderung nach RVG gestellt wurde, dürfte Stadlers Formulierung allenfalls ungenau sein, aber schwerlich einen Unterlassungsanspruch rechtfertigen. Dessen ungeachtet liegt Stadler jedoch auch eine Abmahnung älteren Datums von K. vor, in welcher im entsprechenden Textbaustein sogar ausdrücklich bei der Zuckerbrot-Forderung auf das RVG Bezug genommen worden war. Insoweit dürfte Stadler einen ruhigen Schlaf haben, denn DigiProtect wird für den reklamierten Unterlassungsanspruch schwerlich ein Rechtsschutzinteresse begründen können.