Massenabmahner im Zwielicht

Seite 2: Die peinliche Frage nach dem Betrug

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Äußerungsrechtlich spannender dürfte die Frage sein, inwiefern denn das Geschäftsmodell von DigiPotect als "Betrug" bezeichnet werden darf, was sich die Anwälte K./S. ebenfalls verbitten. Auch stören sich die Frankfurter Anwälte an Stadlers Behauptung, man wüsste, dass man diese Kosten nicht verlangen dürfe. Ob man umgangssprachlich ein Verhalten öffentlich als "Betrug" oder "kriminell" bezeichnen darf, wird von der Rechtsprechung eher großzügig im Sinne der Meinungsfreiheit gehandhabt. Selbst die Pressekammer des insoweit nachhilfebedürftigen Landgerichts Hamburg entscheidet im konkreten Einzelfall unterschiedlich. Vorliegend kommt hinzu, dass sich nicht ein Rechtslaie geäußert hatte, sondern ein sachverständiger Rechtsanwalt, der seine Ausführung auch fachlich substantiiert hatte.

Die Frage, wann im strafrechtlichen Sinne ein "Betrug" vorliegt, kann aufgrund der komplizierten Rechtsdogmatik der §§ 263 ff. StGB nicht in ein paar Zeilen beantwortet werden. Hier wird es eine gerichtlich zu klärende Wertungsfrage sein, ob die geforderte Zahlung eine rechtswidrige ist - wofür so einiges spricht. Ferner ist es von Bedeutung, ob Rechtsanwalts Stadlers Betrugsvorwurf eher als eine Tatsachenbehauptung einzustufen ist, oder eher als eine wertende Schlussfolgerung. In letzterem Fall wäre sie vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt und müsste lediglich mit den (Unternehmens-)Persönlichkeitsrechten der Abmahner abgewogen werden. Angesichts des Interesses der Öffentlichkeit an dem offensichtlichen Missstand gewisser Teilnehmer des Abmahnunwesens wird diese Hürde mit Leichtigkeit zu nehmen sein.

Wenn aber "amtlich" herauskommen sollte, dass die Geschäfte des Dr. K. als "Betrug" bezeichnet werden dürfen, dann war auch in diesem Punkt die Abmahnung durch Anwalt S. ungerechtfertigt. Dies führt zu der pikanten Folgefrage, wie denn dann die üppige Honorarforderung des Anwalts S. für einen nicht bestehenden Unterlassungsanspruch rechtlich zu qualifizieren wäre ... Und was ist überhaupt von der Kostenforderung an Stadler zu halten, denn die Abmahnung hätte Massenabmahner Rechtsanwalt D. K. doch vermutlich noch selbst nach Dienstschluss stricken können, statt einen Anwalt zwischenzuschalten?!

Einen Anspruch auf Unterlassung der geschäftsschädigenden Äußerungen möchten S. und Dr. K. auch aus dem Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb herleiten. Dieses sei anwendbar, weil Stadler sich als Anwalt zu Kollege K. in einem Wettbewerbsverhältnis befände. Formal mag das ja zutreffen, aber die implizierte Unterstellung, Stadler konkurriere mit einem windigen Filesharing-Massenabmahner, könnte von Stadler als Beleidigung ausgelegt werden - und seinerseits zu einer Abmahnung führen - kostenpflichtig, versteht sich ...

Inzwischen hat Lars Sobiraj, Chefredakteur des Internetdienstes "Gulli", Strafanzeige gegen Rechtsanwalt Dr. K. & Co. wegen Verdachts auf Betrug gestellt.

Die peinlichen Abmahn-Szene

Das bei Wikileaks veröffentlichte Fax, welches so eindrucksvoll das Geschäftsmodell der Abmahn-Branche dokumentiert, liegt den Betroffenen offenbar schwer im Magen. Auch die Geschwätzigkeit der Autorin Eva Schweitzer, die eigentlich nur ihr legitimes Urheberrecht gewahrt sehen wollte, erwies sich für einschlägig operierende Täter nicht als hilfreiche Lobby-Arbeit.

Inzwischen wurde ein anderer Rechtsanwalt, Christian Solmecke, der sich ebenfalls kritisch über eine branchenbekannte Massenabmahnkanzlei geäußert hatte, mit einer einstweiligen Verfügung bedacht. Erlassen hatte diese das Landgericht Köln, bei dem es sich nach bisherigen Erkenntnissen um das favorisierte Gericht der Filesharing-Anwälte handelt.

Die unzensierte Fassung von Solmeckes Posting ist inzwischen bei Wikileaks zu finden. Sie ist inhaltlich unbedenklich. Die derzeit noch nicht bekannte Begründung für das Verbot kann nur in dem Umstand vermutet werden, dass Solmecke sich als Anwalt nur eingeschränkt negativ über seine Kollegen und Mitbewerber äußern darf. Aber selbst unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Kölner Entscheidung derzeit unverständlich.

Allein das, was Solmecke nicht verboten wurde, gibt Aufschluss über die Zustände des Abmahn-Business: So mahnen manche Anwälte ohne Wissen des Mandanten ab, andere Anwälte scheinen sich sogar Mandanten zu erfinden, und manche scheinbar anwaltlichen Abmahner sind in Wirklichkeit nicht einmal zugelassene Anwälte ...

Petition

Gegen die Abmahneritis regt sich Widerstand. Die Abgemahnten tauschen ihre Erfahrungen in Foren aus und organisieren Websites. Betroffenen wird empfohlen, einfach mal die Kanzleinamen der Abmahner zu googeln.

Inzwischen gibt es auch eine Online-Petition, die eine kostenlose Vorstufe für entsprechende Abmahnungen fordert https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=8308. Die formal leider sehr unfachmännische Petition ist allerdings wenig durchdacht, denn der Filesharer oder sonstige Sünder hat ja nun einmal erstens vorsätzlich etwas derzeit verbotenes getan und war zweitens ungeschickt genug, sich dabei erwischen zu lassen. Letzteres ist nur nach Einsatz erheblicher Nachforschungskosten möglich, auf denen ein redlicher Rechteinhaber, dessen geistiges Eigentum bestohlen wurde, sitzenbleiben würde. Andererseits ist es im Ausland durchaus normal, dass jeder seinen Anwalt selbst bezahlt. Die Lösung wäre am ehesten in einer Erweiterung des § 97a Abs. UrhG zu suchen, welche die Kostenforderungen solch industrieller Massenabmahner in ähnlicher Weise deckelt.

Außerdem könnten die Verbraucher Druck auf solche Künstler ausüben, die mit dieser windigen Form der Auswertung einverstanden sind. Nach vereinzelten Berechnungen sollen manche Künstler an der Abmahnerei sogar mehr verdienen als durch die konventionelle Auswertung. So kann man auf Wikileaks eine Präsentation der Darmstädter Digirights Solutions GmbH nachlesen, in der durch eine Abmahnung der 150-fache Ertrag eines normalen Verkaufs eines Lieds erwirtschaften lässt. Und jetzt mal ehrlich: Auf die meisten von den abgemahnten Titeln, die man in den entsprechenden Foren recherchieren kann, könnte doch wirklich ganz gut verzichten, oder?

Auch die Rechtsprechung steht den Auswüchsen des Abmahnunwesens zunehmend kritisch gegenüber. So urteilte dieses Jahr das Oberlandesgericht Hamm:

"Abmahnungen sind rechtsmissbräuchlich, wenn die Gebührenerzielung im Vordergrund steht und die Abmahntätigkeit in keinem Verhältnis zur Geschäftstätigkeit des Abmahnenden steht."

Dem wäre nichts hinzuzufügen.