Massentierhaltung: Ist ein Ende der Qualen absehbar?

Schweine auf Gut Kerschlach. Foto: Redaktion

Unsere Fleischproduktion ist zu einem großen Teil für den weltweiten Verlust an Biodiversität verantwortlich; ein tiefgreifender Wandel in der Agrarwirtschaft ist nötiger denn je

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Essen gilt als wichtiger Bestandteil der sozialen und kulturellen Identität. Das ergab eine Befragung im Rahmen des Ernährungsreportes 2018, der zu Beginn des Jahres vom Agrarministerium - zum dritten Mal in Folge - vorgestellt wurde.

Befragt wurden 1.000 Deutsche ab 14 Jahren. Mehr als 90 Prozent von ihnen achten auf gesunde Ernährung. 43 Prozent kochen so gut wie täglich, 38 Prozent zwei- bis dreimal wöchentlich. Knapp drei Viertel der Befragten verzehren täglich Obst und Gemüse. Zwei Drittel konsumieren täglich Milchprodukte wie Käse, Joghurt, Quark. 40 Prozent trinken täglich frische Milch, Buttermilch oder Molke.

Bei jedem Dritten gibt es regelmäßig Fleisch und Wurst. Bei zwei von fünf der Befragten haben höhere Standards bei der Tierhaltung Priorität. 90 Prozent würden für mehr Tierwohl mehr Geld hinlegen, jeder zweite würde sogar für ein Kilo Fleisch mit einem Grundpreis von zehn Euro bis zu fünf Euro mehr zahlen. Etwa zwei Drittel erwarten, dass Tiere artgerecht gehalten werden.

62 Prozent sind die Qualität der Produkte sehr wichtig und 59 Prozent, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fair bezahlt werden. Jeder Zweite legt Wert auf umweltschonende Produktionsmethoden. Drei Viertel halten die Pflege ländlicher Räume und mehr als ein Drittel die Transparenz eines Betriebes für sehr wichtig.

Die Verbraucher wollen also, dass ihr Fleisch möglichst im Einklang mit Tierwohl und Umwelt hergestellt wird. Trotzdem greifen im Supermarkt viele wieder zum billigen Fleisch aus der Massentierhaltung. Währenddessen kostet es die Tierhaltungsindustrie immer größere Mühe, die erbärmlichen Zustände in den industriellen Tiermastanlagen zu kaschieren.

Immer mehr Tiere auf engstem Raum

Knapp 60 Millionen Schweine werden in Deutschland jährlich geschlachtet. Zehn Millionen Schweine sterben in einem der fünf Schlachthöfe im Landkreis Cloppenburg, berichtet die Neue Osnabrücker Zeitung. Neben Schweinen werden Rinder und hunderttausende Hähnchen und Puten jede Woche für Rothkötter, Wiesenhof und Heidemark getötet.

Mittlerweile kommt die Region nicht nur wegen der Massentierhaltung in Verruf, sondern auch wegen der billigen Arbeitskräfte aus Osteuropa, die unter menschenunwürdigen Bedingungen hier hausen und arbeiten.

2015 gab es in Niedersachsen rund 8,8 Millionen Schweine. Die Mast eines Ferkels kostete 60 Euro, im Verkauf brachte es etwa die Hälfte ein. Die Defizite trieben viele Mäster in den Ruin, entsprechend sank die Zahl der Betriebe auf rund 2200 (1992 waren es noch 45.000). Damit die Tierhalter halbwegs über die Runden kommen, sperren sie immer mehr Schweine - im Schnitt 1.300 Tiere - auf engstem Raum auf Spaltenböden zusammen.

Täglich wird ihnen hier eine eiweißreiche Plörre verabreicht. Für die Dauer ihres kurzen Schweinelebens müssen sie permanent den Gestank der Gülle einatmen. Auf Grund der hohen Besatzdichten ziehen sich die Tiere eine Reihe von Verletzungen zu.

Erst kürzlich entdeckte ein Team der Tierärztlichen Hochschule Hannover an 500 Mast- und 130 Zuchtschweinen in sechs Bundesländern Entzündungen an Gelenken und Gliedmaßen infolge Abriss von Afterklauen, Bissverletzungen an Schwanz, Ohren, Hautläsionen und andere Verletzungen. Artgerechte Haltung sieht anders aus.

Auch beim Fleischkonzern Vion wurden Mitte 2017 bei fast 40 Prozent aller untersuchten Schweine krankhafte Veränderungen an inneren Organen und Gelenken festgestellt. Dass laut der genannten Studie jährlich rund 13,6 Millionen Schweine (= 21 Prozent der lebend geborenen Tiere) noch vor ihrer Schlachtung an den Verletzungen und Krankheiten verenden, sollte uns Konsumenten nachdenklich stimmen.

Weniger Medikamente bei artgerechter Haltung

Unsere Ernährung, vor allem die Fleischproduktion, ist zu 60 Prozent für den weltweiten Verlust an Biodiversität verantwortlich, heißt es im kürzlich von der Heinrich-Böll-Stiftung veröffentlichten Fleischatlas 2018. Jährlich werden 131.000 Tonnen Antibiotika bei Tieren eingesetzt, doppelt so viel wie beim Menschen. Bis 2030 soll sich diese Menge um mehr als die Hälfte erhöhen.

Dabei könnten die verabreichten Medikamente bei artgerechter Haltung drastisch reduziert werden. Eine Vorlage für einen artgerechten Stall liefert die Heinrich-Böll-Stiftung: genügend Auslauf, strukturreiches Futter wie Heu, Stroheinstreu, Beschäftigungsmaterial, Ringelschwänze - das findet man bestenfalls auf Biobetrieben mit Schweinhaltung.

Würden sich die Konsumenten vom billigen Schweineschnitzel verabschieden, könnte dieses Modell zum Standard werden. Viele müssten dafür die Gewohnheit ablegen, täglich und überall billiges Fleisch zu essen. Das wäre schon allein aus Gründen des Klimaschutzes sinnvoll.

So liegt der Selbstversorgungsgrad von Schweinefleisch hierzulande aktuell bei 122 Prozent. Während bei der Produktion von einem Kilogramm Weizenmehl 1,7 Kilogramm Kohlendioxid-Äquivalente emittiert werden, entstehen bei einem Kilo Schweinefleisch etwa vier Mal so viel.