Maulkorb für US-Wissenschaftler
Obgleich das Weiße Haus US-Präsident Bush als altgedienten Klimaschützer geoutet hat, werden noch immer Wissenschaftler in Behörden gehindert, über den Klimawandel zu sprechen
Anfang Februar hatte das Weiße Haus zum Mittel eines Offenen Briefes greifen müssen, um US-Präsident Bush davor in Schutz nehmen, er würde den Klimaschutz vernachlässigen. Nach der Veröffentlichung des UN-Klimaberichts, der deutlicher als zuvor auf die von Menschen verursachte Klimaerwärmung und die daraus entstehenden Folgen hinwies (Kein Weckruf, sondern eine gellende Sirene), wuchs der Druck auf die USA und war Schadensbegrenzung angesagt. "Ungenauigkeiten" in den Medien sollten richtig gestellt werden, Bush würde sich erst seit kurzem stärker der Klimapolitik zuwenden. Nichts könne falscher sein, hieß es in dem Brief, da der "Klimawandel seit dem ersten Jahr des Präsidenten oberste Priorität gehabt" habe.
Zweifel an dieser Darstellung kann man nicht nur deswegen haben, weil die Bush-Regierung sich bislang aller Abkommen verweigert und keine wirkliche Maßnahmen zur Reduktion des Energieverbrauchs ergriffen hat, sondern auch, weil noch im letzten Jahr bekannt geworden war, dass Wissenschaftler von der Nasa nicht über die Klimaerwärmung sprechen sollten. Zum Thema wurde dies schon 2004, als nämlich Hollywwod erstmals mit Roland Emmerichs Film "The Day after Tomorrow" die Folgen einer möglichen Klimaerwärmung in einem spektakulären Katastrophenfilm verarbeitete (Maulkorb für Nasa-Wissenschaftler). Im Januar 2006 kulminierte die Diskussion, als der führende Klimaforscher bei der Nasa, James Hansen, öffentlich seinen Protest über die Zensur äußerte.
Erst im März 2006 gab die Nasa offiziell Regelungen für ihre Mitarbeiter heraus. In dem Papier hieß es, man sei einer "Politik der Offenheit" verpflichtet, die Wissenschaftler dürften frei und ohne Begleitung eines Pressesprechers mit den Medien über ihre Forschungsergebnisse sprechen und persönliche Deutungen abgeben. Allerdings, so Nasa-Chef Griffin, wäre eine solche Begleitung weiterhin wünschenswert. Mitteilungen und Veröffentlichungen dürften vom Pressebüro überarbeitet werden, das aber nicht die wissenschaftlichen und technischen Daten und die Bedeutung verändern dürfe. Neben dem Maulkorb waren auch solche Vorwürfe laut geworden, dass die Veröffentlichungen der Klimapolitik des Weißen Hauses angepasst wurden.
Wissenschaftler von der National Oceanic and Atmospheric Administration und dem U..S. Geological Survey wiesen im April darauf, dass seit 2004 auch hier Veröffentlichungen zum Klimawandel verändert wurden und auf sie Druck ausgeübt wurde. Die Maxime im Weißen Haus war es, analog zur Haltung christlicher Fundamentalisten, darauf zu beharren, es wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt, ob die Klimaerwärmung auch durch die Aktivitäten der Menschen verursacht wird.
Auch nach dem Schwenk im Weißen Haus und dem Offenen Brief wird aber zumindest in einzelnen staatlichen Forschungseinrichtungen noch immer versucht, Äußerungen der Wissenschaftler zum Klimawandel politisch korrekt im Sinne der Bush-Regierung zu beschneiden. Jetzt sind Anweisungen des Direktors des Fish and Wildlife Service für Mitarbeiter bekannt geworden, die zu Treffen nach Norwegen und Russland über die Arktis reisen. Die Wissenschaftler dürfen nicht über "Klimawandel, Eisbären und das Meereseis" sprechen oder Fragen dazu beantworten. Das entspreche den "Verpflichtungen mit anderen Ländern, nur über das zu sprechen, was auf der Tagesordnung steht". Ein Vertreter des Innenministeriums versuchte inzwischen die Anweisungen abzumildern und sagte, bei einem Bier könne man schon auch mal über diese Themen sprechen.
Bei der Konferenz in Russland geht es um die Beziehungen zwischen Eisbären und Menschen. Da im Zuge der Klimaerwärmung Eis abschmilzt, wird auch der Lebensbereich der Eisbären davon betroffen, was Auswirkungen auf die Sicherheit von dort lebenden Menschen hat. Eine dritte Anweisung erweitert die Schweigeverpflichtung auch für Reisen nach Kanada und andere nördliche Länder.
Als Hintergrund dieses Maulkorberlasses wird gesehen, dass der Fish and Wildlife Service unter dem Druck von Umweltschützern Ende des letzten Jahres angekündigt hatte, Eisbären zu den gefährdeten Arten zu zählen. Das hatte Aufsehen erregt, weil damit das erste Mal von einer US-Behörde zugegeben würde, dass die Klimaerwärmung das Leben auf der Erde verändert, also dass in diesem Fall der Lebensraum der Eisbären schrumpft, auch wenn in den Dokumenten davon nicht explizit die Rede ist. Allerdings heißt es:
Which of these ESA criteria is judged to be most important to the future status of the polar bear? In the case of polar bears, the decision to propose this listing as Threatened is based on the future effect of the continued expected modification or curtailment of its habitat or range, specifically from receding sea ice, and the absence of any known regulatory mechanisms at the national or international level effectively addressing this threat to polar bear habitat.
Ein Mitarbeiter des Innenministeriums, dem die Tierbehörde untersteht, hatte anonym erklärt, dass nach Berechnungen aufgrund der Klimaerwärmung der Eisbär in 45 Jahren ausgestorben sein könnte. Die Entscheidung über die Aufnahme in die Liste steht noch aus.