Maulkorb für Nasa-Wissenschaftler
Roland Emmerichs neuer Film über die Klimakatastrophe trifft im Wahljahr auf einen wunden Punkt der Bush-Regierung
Der Spezialist für Katastrophenfilme, Roland Emmerich, hat mit seinem neuesten Film The Day After Tomorrow offenbar einen empfindlichen Nerv bei der US-Regierung getroffen. Die geht entschlossen militärisch und technisch gegen die Gefahr des globalen Terrorismus vor, kümmert sich aber nicht um die Beseitigung der Armut und nimmt wenig Rücksicht auf die Erhaltung der Lebensgrundlagen der Menschen. Weil nun Emmerich drastisch vor Augen führt, was auf die Menschheit durch die globale Klimaveränderung zukommen könnte, wenn sie so weiter macht wie bisher, könnte dies auch in den USA die bislang praktizierte Verleugnung des Problems in Frage stellen. Der Nasa wurde sicherheitshalber schon mal ein Maulkorb verordnet.
Weltweit startet der Film Ende Mai - und bringt damit ein Thema in die globale Öffentlichkeit, das zwar allseits bekannt ist, aber wenig greifbar, obgleich der erwartete Anstieg der Erdtemperatur um einige Grade die Lebensbedingungen auf der Erde für alle Menschen grundlegend verändern könnte. Ob nun die Erderwärmung vollständig oder nur teilweise auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, spielt zwar eine wichtige Rolle für die Wirksamkeit dämpfender Gegenmaßnahmen, wie sie etwa im symptomatisch weich gekochten oder abgelehnten Kyoto-Abkommen umgesetzt werden sollen, entlastet aber nicht davon, dass die Menschheit sich schon jetzt auf die Veränderungen im globalen Maßstab einstellen sollte.
Das geschieht nicht oder noch viel zu wenig, das Thema wird in aller Regel beiseite gestellt, betrifft es doch erst die künftigen Generation und sind damit keine Wählerstimmen zu erhalten. Und weil das schleichend geschieht und nur gelegentlich regional Symptome der Verschlechterung auftreten, tritt kein Alarmsystem in Kraft, das dauerhaft wäre und zur Einleitung von langfristigen, tiefgreifenden Veränderungen führt. Der von Bush ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus hat dies vermocht. Während der Feind in der Klimakatastrophe alle Menschen sind, allen voran aber die der reichen westlichen Länder und die Vertreter der wirtschaftlichen Macht, hat es der Krieg gegen den Terrorismus einfach: Es gibt einen Feind, der ist böse, fremdartig und der Opponent der Zivilisation, weswegen die Lösung des Problems die Vernichtung des Gegners und der Aufbau von Schutzsystemen ist. Ansonsten muss sich nichts ändern.
Ein schnell wieder weggesteckter Bericht, der im Auftrag des Pentagon verfasst wurde, hatte vor kurzem erst auf die Folgen der globalen Erderwärmung hingewiesen, die um viele Dimensionen gefährlicher wäre als der Terrorismus (Eiswüste in Europa, Nuklearkriege und andere Schreckensszenarien). Das Szenario ging davon aus, dass die Erwärmung zum Abschmelzen der Polkappen und zum Kollaps des Golfstroms führt. Umweltkatastrophen wie verheerende Stürme und gewaltige Überschwemmungen treten auf, im Süden der Erde verdorrt das Land, der Norden wird zu einer Eiswüste. Heerscharen von Menschen fliehen, um sich woanders anzusiedeln. Staaten brechen zusammen, die Ordnung löst sich auf, Kriege um Nahrung, Wasser und andere Rohstoffe brechen aus, möglicherweise auch mit Einsatz von Atomwaffen. All das könnte bereits in den nächsten drei Jahrzehnten eintreten, warnt der Bericht.
Aber trotz aller Möglichkeiten der Voraussage, trotz aller Simulationen und trotz allen Wissens sind auch nur 30 Jahre zu lange für die Politik und für die Menschen im Medienzeitalter, die von einer Nachricht zur anderen, von einer Katastrophe zur anderen, von einer Angst zur anderen springen und dabei den Blick in die Zukunft vergessen, zumal wenn die Lebensbedingungen ungesichert sind und man schon nicht weiß, wie man sein Einkommen oder seinen Wohlstand in den nächsten Jahren halten kann. Im Hollywoodstil führt Emmerich in seinem Film nicht die realistisch wahrscheinlichere Entwicklung einer schleichenden Veränderung vor, sondern zieht den möglichen Umbruch emotions- und aufmerksamkeitsdramaturgisch in einem Zeitraffer auf einen spektakulären Weltuntergang zusammen. Realistisch hingegen ist, dass ein Wissenschaftler die Politiker vergeblich vor den Folgen einer kommenden Eiszeit warnt. Sie reagieren auch nicht, als sich bereits deutliche Veränderungen und erste Katastrophen einstellen.
Dabei spielen die USA, der amerikanische Präsident und vor allem der Vizepräsident, der Dick Cheney ähneln soll, eine hervorragende Rolle, die man im Weißen Haus wohl nicht schätzt. Dort versteht man sich zwar auf Panikmache, aber setzt lieber auf einen Feind, auch wenn man diesen mit den eigenen Aktionen erst noch weiter aufbaut. New York, das Ziel der Terroranschläge, wird nun von der Eiszeit getroffen, die Menschen fliehen ausgerechnet über die Grenze nach Mexiko ...
Zumindest scheint man bei der Nasa zu fürchten, dass der Film ausgerechnet im Wahljahr für Bush keine gute Botschaft enthält, zumal er gerade der Politikertypus ist, der die Welt in die Klimakatastrophe reitet (Es stinkt zum Himmel). Zudem ist der Umgang mit den Wissenschaften bei der Bush-Regierung bekannt (Über den Verfall der Kunst des politischen Lügens). Am ersten April ging eine Email, die die New York Times von einem Nasa-Wissenschaftler erhalten hat, vom Hauptquartier der Nasa an viele Wissenschaftler und andere Mitarbeiter mit strengen Anweisungen: Kein Mitarbeiter der Nasa darf Interviews geben oder auf andere Weise Bemerkungen über etwas machen, das etwas mit dem Film zu tun hat: "Jedes Nachrichtenmedium, das über Science Fiction versus wissenschaftliche Tatsachen über den Klimawandel berichten will, wird sich Personen oder Organisationen suchen müssen, die nicht mit der Nasa verbunden sind."
Möglicherweise aber ist eine solches Verbot gerade kontraproduktiv. Anscheinend wurde es mittlerweile wieder etwas gelockert. So erklärte Gretchen Cook-Anderson, eine Nasa-Sprecherin, dass die Weltraumbehörde doch zulassen wird, dass Wissenschaftler auf Verlangen von Medien Auskunft über die wissenschaftlichen Grundlagen des Films geben dürfen. Wie die New York Times berichtet, scheint man an einem Katalog von Fragen und (erwünschten) Antworten zu arbeiten, an den sich dann wohl die Wissenschaftler im Dienste der Politik halten sollen. Möglicherweise verdankt sich die Wende, falls Cook-Andersons Aussagen zutreffen sollten, auch interner Kritik. Ein Klimawissenschaftler sagte der Zeitung, dass "dies nur ein weiterer Versuch ist, alles herunter zu spielen, was zu der Schlussfolgerung führt, dass etwas getan werden muss. Aber sowohl dieser Wissenschaftler als auch andere, mit denen die New York Times gesprochen hat, zogen es vor, nicht genannt zu werden - weil die Anordnung noch in Kraft sei, nicht mit Medien über den Film sprechen zu dürfen.
Noch tut man im Weißen Haus so, als würde man sich weder um das Thema noch um den Film kümmern. Dana Perino, Sprecherin für den White House Council on Environmental Quality, erklärte, dass sie von "keiner Diskussion im Weißen Haus über diesen Film mit irgendjemanden" Kenntnis habe. Das aber könnte sich bald ändern, wenn der Film auf der ganzen Welt gleichzeitig in die Kinos kommt und mit einem Budget von 125 Millionen Dollar die Aufmerksamkeit auf ein Thema lenkt.