Es stinkt zum Himmel
Die US-Regierung gilt international als Bremser in Sachen Umweltschutz. National hat sie jetzt heimlich, still und leise die Vorschriften im Bereich Luftverschmutzung grundlegend geändert
Spätestens seit der Nicht-Ratifizierung des Kyoto-Protokolls (vgl. Goodbye Kyoto?) ist der Welt klar, dass der ehemalige Ölbaron George W. Bush und seine Wahlkampfunterstützer aus den großen Energiekonzernen andere Prioritäten haben, als die Bekämpfung der globalen Erwärmung (vgl. Greenpeace: Die Öl-Lobby).
Mit den engagierten Umweltschützern hat es sich der US-Präsident verdorben und das nicht erst, seit seine Administration Öko-Aktivisten vor Gericht zerrt (vgl. Bush administration targets Greenpeace). Obwohl selbst dem Pentagon die Gefährlichkeit des Treibhauseffekts bestens bekannt ist (vgl. Eiswüste in Europa, Nuklearkriege und andere Schreckensszenarien), ignoriert die US-Regierung eifrig alle Horrorszenarien.
Dabei weiß der gewiefte Populist Bush, dass er vor allem national nicht mit offenem Visier Position gegen den Umweltschutz und für die Wirtschaft beziehen sollte. Eine Gallup-Umfrage von 2001 ergab, dass mehr als 80 Prozent der Amerikaner strengere Umweltschutzauflagen für die eigene Industrie befürworten, während im gleichen Jahr nur ein Drittel die globale Erwärmung als ein sehr hohes Risiko ("a great deal") einstufte - der Treibhauseffekt gehörte damit zu den Umweltproblemen, die sie am wenigsten beunruhigen. Menschen, die gegen Umweltverschmutzung kämpfen, haben in den USA ein ähnlich positives Image wie in Europa. Nicht umsonst wurde die Geschichte der Erin Brockovich in Hollywood verfilmt (vgl. White Trash Supergirl).
"Wir vertrauen den Leuten in diesem Kraftwerk"
Wer Wähler bei Laune halten möchte, sollte ihnen also eine saubere Umwelt versprechen. Entsprechend klingt der Abschnitt seines Berichts zur Lage der Nation vor beiden Häusern des Kongresses vom 28. Januar 2003 so:
(...) Ich habe Ihnen einen umfassenden Energieplan vorgelegt zur Förderung von Energieeffizienz und Umweltschutz, für die Entwicklung saubererer Technologien und zur erhöhten Energieproduktion im Inland. Ich habe Ihnen ein Gesetz für saubere Luft vorgelegt ("Clear Skies"), das im Lauf der nächsten 15 Jahre eine siebzigprozentige Verringerung der Luftverschmutzung durch Kraftwerke vorsieht. (...) Darüber hinaus fordere ich Sie auf, zum Schutz unserer Umwelt entscheidende Schritte zu unternehmen, wie sie für Generationen vor uns unvorstellbar waren. In diesem Jahrhundert werden die größten umweltrelevanten Fortschritte nicht durch endlose Klagen oder Zwangsvorschriften erreicht, sondern durch Technologie und Innovation. (...) Schließen Sie sich mir bei dieser wichtigen Innovation an, damit unsere Luft deutlich sauberer wird und unser Land weniger von ausländischen Energiequellen abhängig ist.
Der Gesetzesentwurf "Clear Skies" war allerdings nichts als heiße Luft und bedeutet dazu auch noch eine Verschlechterung gegenüber dem bereits gültigen "Clean Air Act" (vgl. US-Senate Considers Clear Skies vs Clean Air Act). Inzwischen wird die Regierung von Wissenschaftlern angeklagt, auch in diesem Fall vorliegende Erkenntnisse unterdrückt zu haben, um ihre Politik durchzusetzen (vgl. Über den Verfall der Kunst des politischen Lügens). Kein Wunder, dass "Clear Skies" immer noch nicht verabschiedet ist. Wie das Magazin der New York Times jetzt in einer Titelgeschichte aufdeckt, war das wohl auch beabsichtigt. Denn gleichzeitig wurden still und leise die Vorschriften des Clean Air Act, den es seit 1970 gibt, mittels neuer Durchführungsbestimmungen aufgeweicht, sehr zugunsten der Energieindustrie.
Vor den Mitarbeitern im Kraftwerk Monroe in Michigan fand der Präsident dann im Herbst 2003 auch die passenden Worte:
Die alten Vorschriften haben unsere Ziele, die Umwelt zu schützen und die Wirtschaft wachsen zu lassen, unterminiert. Nun haben wir neue Vorschriften erarbeitet, die es Versorgungsbetrieben wie diesem hier erlauben, Routinereparaturen und Verbesserungen ohne enorme Kosten und endlose Streitigkeiten durchzuführen. Wir haben die Regeln einfacher gemacht. Wir haben sie so gemacht, dass sie einfacher zu verstehen sind. Wir vertrauen den Leuten in diesem Kraftwerk, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen werden.
Das Kohlekraftwerk in Monroe wird von der Firma Detroit Edison betrieben und ist einer der Top-Luftverschmutzer in den USA. Durch seine Schote pustet es mehr giftiges Quecksilber in den Himmel als jedes andere Kraftwerk in den Vereinigten Staaten.
Bislang regelten die "New Source Reviews" (N.S.R.) Ausführungsbestimmungen zu den Umweltschutzgesetzen so, dass jede größere anstehende Reparatur mit dem Einbau von Filtern oder ähnlichem verbunden werden muss, um die Luftverschmutzung zu reduzieren. Fällig ist jeweils die neueste Technologie und das bei jeder substanziellen Reparatur. Das hat funktioniert, wie der Umweltverband "Natural Resources Defense Council" (NRDC) bestätigt, allerdings noch nicht gut genug (vgl. New Report Benchmarking Air Pollution from Top 100 Electric Companies Shows Carbon Dioxide Pollution Increasing).
Nach Dokumenten der Umweltschutzbehörde "Environmental Protection Agency" (E.P.A.) wurden in den USA durch diese Vorschriften der Schadstoffausstoß allein in den Jahren 1997 bis 1999 um mehr als vier Millionen Tonnen reduziert. 120 Millionen Amerikaner leben in Regionen, wo der Grad an Luftverschmutzung ihrer Gesundheit schaden kann. Durch die Kamine der Kohlekraftwerke kommen vor allem Kohlendioxid, Stickstoffdioxid, Schwefeldioxid und Quecksilber in die Luft. Die Folgen sind unter anderem Smog und saurer Regen. Die gesundheitlichen Folgen sind vielfältig und betreffen vor allem die Atemwege (vgl. Air and Health und Diese Stadt kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz).
Wenn Kinder nicht mehr atmen können
Die Hauptluftverschmutzer sind die Kraftwerke. Der Hauptgrund, warum der Clean Air Act noch nicht seine volle Wirkung entfalten konnte, liegt in der Verweigerungshaltung der Energiekonzerne, die ihn lange schlicht ignorierten. Die Umweltschutzbehörde E.P.A. begann in den 90er Jahren, die Umweltsünder aufzuspüren, die ihre Kraftwerke modernisiert hatten, ohne die Auflagen zu berücksichtigen. Die Konzerne versuchten sich rauszuwinden, lehnten aber letztlich auch alle angebotenen Kompromisse zur Nachbesserung ab. 1999 klagte das Justizministerium acht Stromversorgungsunternehmen an, die zusammen jährlich mehr als zwei Millionen Tonnen Schwefeldioxid und 660 000 Tonnen Stickstoffdioxid freisetzten. Die Justizministerin Janet Reno übernahm die Anklage persönlich und meinte:
Wenn Kinder wegen der Verschmutzung durch ein Kraftwerk, das Hunderte von Meilen entfernt ist, nicht mehr atmen können, muss etwas getan werden.
Es ging um viel Geld, die potenziellen Bußgelder lagen bei 27 500 Dollar pro Tag und Kraftwerk, und da einige Konzerne zwanzig Jahre lang das Gesetz gebrochen hatten, lagen die anvisierten Strafen im zweistelligen Millionen-Dollar-Bereich. Das Damokles-Schwert wirkte zunächst: Der Versorger Tampa Electric war jetzt doch zu einem Kompromiss bereit: er zahlte freiwillig 3,5 Millionen Strafe (weniger als 2 % seines Jahresgewinns) und investierte eine Milliarde Dollar in neue Umweltschutzmaßnahmen. 123 000 Tonnen jährliche Schadstoffbelastung verschwand dadurch aus der Luft. Der Verhandlungstisch im Justizministerium begann sich zu füllen.
Andere Konzerne investierten dagegen in den Wahlkampf von George W. Bush. Gut angelegtes Geld. Schon 2001, während der Energiekrise in Kalifornien, behauptete der Präsident, ein Grund für die Stromausfälle sei die Überregulierung durch Umweltschutzauflagen (vgl. Bush warnt vor großer Energiekrise). Und er begann die Dinge auf dem Verordnungsweg zu verändern. Köpfe bei der Umweltschutzbehörde E.P.A. wurden ausgetauscht oder gingen "freiwillig". Eric Schaeffer, einer der leitenden Köpfe schrieb in seinem Kündigungsbrief, er sei es müde: "gegen ein Weißes Haus zu kämpfen, das entschlossen sei, die Regeln zu schwächen, die wir zu verstärken versuchen."
Ein absurdes Verwirrspiel
Während Bush erbauliche Reden zur sauberen Umwelt an die Nation richtete, wurde das Justizministerium angewiesen, die anhängigen Klagen gegen die Kraftwerkbetreiber zu überprüfen und gleichzeitig der Clean Air Act ausgehöhlt. Das Justizministerium war zwar nicht bereit, dieses Spiel mitzuspielen, aber der Rest funktionierte. Im August 2003 wurden dann die neuen Regeln von der E.P.A. verkündet: die Auflage Umweltschutzverbesserungen durchführen zu müssen, gelte erst bei Reparaturen, die mehr als 20% der gesamten Widerbeschaffungskosten kosten würden. Das bedeutet, dass bei einem Kraftwerksblock, der eine Milliarde Dollar wert ist, bis zu 200 Millionen Dollar investiert werden können, ohne dass der Clean Air Act greift. Mit einem so großzügigen Rahmen hätte Ende der 90er Jahre praktisch keine Anklage gegen die Energieindustrie erhoben werden können.
Eric Schaeffer zeigte sich schockiert:
Was ich nicht verstehe ist, warum sie so gierig waren. Fünf Prozent wären schon zu hoch gewesen, aber 20? Ich glaube nicht, dass die Industrie das in ihren wildesten Träumen erwartet hat.
Noch ist der Vollzug der neuen Vorschriften durch ein Berufungsgericht ausgesetzt, weil die Anklagen gegen die Energiekonzerne (inzwischen sind es vierzehn) noch anhängig sind und erst geprüft werden müssen. Aber das ist nur ein Aufschub, zurückgenommen wurden sie nicht.
Stattdessen beginnt die E.P.A. neue Vorschläge zu unterbreiten (vgl. Clean Air Rules), die weit unter den bisherigen Möglichkeiten der Durchsetzung des Clean Air Acts bleiben und wahrscheinlich sogar unter denen der Clear Skies-Initiative des Präsidenten, die ja bereits von den Umweltschützern abgelehnt wird (vgl. The Bush Administration's Air Pollution Plan). Ein absurdes Verwirrspiel, das zum Himmel stinkt.
Welche Rolle die Umweltschutzdebatte im Wahlkampf spielen wird, ist noch nicht klar. Aber die Kritiker finden inzwischen klare und drastische Worte. Kürzlich sagte der Hollywoodstar Robert Redford, der für den Umweltverband NRDC wirbt:
Präsident George W. Bush und Vizepräsident Dick Cheney wollten mit ihren Energiegesetzen den Öl-, Gas-, Kohle-, und Atomenergiekonzernen Milliarden von Steuergeldern zukommen lassen. Und was bekommen wir? Mehr Luftverschmutzung und globale Erwärmung. Mehr Bohrungen auf öffentlichem Land. Mehr Abhängigkeit von ausländischem Öl.