Me, Myself & I – Die Suche nach dem Flow, Selbstoptimierung statt Arbeitsschutz?

Arbeitnehmer fließt duech Sanduhr

Selbstoptimierung liegt im Trend. Wissenschaftler suchen nach Wegen, wie Beschäftigte im Job in den "Flow" kommen. Doch ist das wirklich der richtige Ansatz?

Von Trendforschern wird das 21. Jahrhundert als "Zeitalter der Selbstoptimierung" ausgerufen, meldet die Bundeszentrale für politische Bildung und beschreibt die Erfahrungen vieler Angestellter.

Denn seit Jahren werden sie durch Ratgeber, Schulungen oder betriebliche Coaching-Prozesse immer mehr gedrängt, die eigene Arbeitsweise zu hinterfragen und ihr Vorgehen gegenüber Kunden oder Teammitgliedern zu verbessern.

Es liegt in der Natur des Menschen, sich immer weiterentwickeln und verändern zu wollen, was ja an und für sich extrem positiv und gut ist, denn wir müssen uns immer wieder anpassen, um mit neuen Herausforderungen im Leben gut umgehen zu können – Stichwort: lebenslanges Lernen. Wir müssen nur aufpassen, dass es nicht zu krass wird und zu exzessiver Selbstoptimierung ausartet.

Prof. Dr. Eva Asselmann

Der Flow im Betrieb

Manche betrieben "Biohacking". Mit Fitnesstrackern, Schrittzählern und Pulsmessern, die am Handgelenk getragen werden, sind jederzeit aktuelle Zahlen verfügbar. Durchschnitte können errechnet werden, die beeinflussen, was zu essen oder wie lange durch den Stadtwald gelaufen wird.

Erkenntnisse dazu sollen auch im Betrieb genutzt werden. Eine Weiterentwicklung im Unternehmensinteresse präsentiert das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) in Stuttgart:

In unserer Arbeitswelt wird physische Arbeit immer mehr von mentaler Arbeit abgelöst, die fortschreitende Digitalisierung und die Einführung von KI-Technologien werden zu bestimmenden Faktoren.

Dr. Mathias Vukelić

Dies führe zu "einer immer schnelleren Arbeitsweise und nahezu ständiger Verfügbarkeit", erläutert Vukelić. Eine "scheinbare Entlastung durch neue Technologien könnte sich zu einer neuen Dimension von Stress und Überlastung entpuppen", so der Experte.

Es seien neue Arbeitskonzepte erforderlich, um "die kognitiven und emotionalen Anforderungen der Arbeitnehmenden optimal zu gestalten". Daran arbeitet das NeuroLab des Fraunhofer IAO, in dem Wissenschaftler an der "Schnittstelle zwischen kognitiver Neurowissenschaft, positiver Psychologie und künstlicher Intelligenz" aktiv sind.

Bei der "Deep Work", dem Arbeiten ohne Ablenkung, müssen anspruchsvolle Aufgaben konzentriert bearbeitet werden. Davon abzugrenzen sei "Shallow Work", ein eher oberflächliches Arbeiten mit einfacheren Aufgaben, die schnell gelöst werden können: das Beantworten von E-Mails oder das Schreiben kurzer Berichte zwischen Kundenterminen.

Wissenschaftler auf der Suche nach dem "Flow"

Das konzentrierte Arbeiten könne zum "Flow" führen: Dieser könne "in einen Zustand der völligen Hingabe versetzen – eine tiefgehende Immersion, gepaart mit intensiver Konzentration", beschreibt der Forscher.

In Momenten des Flows sinkt die Ablenkbarkeit, während unsere Aufmerksamkeit die Arbeitsgedächtnisressourcen effektiv auf die relevanten Informationen fokussiert. Diese Schutzfunktion von Flow trägt wesentlich zur Förderung der psychischen Gesundheit und Produktivität bei.

Dr. Mathias Vukelić

Diesen Idealzustand zu messen, ist Ziel des Wissenschaftlerteams. Mit einem innovativen Ansatz haben werde die Tiefe des individuellen Flow-Erlebens empirisch erfasst.

Unser Team nutzte ein neuroergonomisches Paradigma, indem wir ein eigens entworfenes Videospiel mit der Präzision der Elektroenzephalografie (EEG) kombinierten. Wir variierten die Schwierigkeit des Spiels für jede Testperson individuell und provozierten so Zustände von Unterforderung, Überforderung und Flow.

Dr. Mathias Vukelić

Die entwickelte Technik ermögliche eine Messung des Flows und gebe Hinweise, wie die Arbeitsumgebungen gezielt zu gestalten sind, damit das Engagement gesteigert wird. Für Beratungen steht das Institut, das bereits bundesweit in Industrie 4.0-Projekte eingebunden war, den Unternehmen zur Verfügung. "Diese Fortschritte werden den Weg ebnen für eine Arbeitswelt, die es uns ermöglicht, unsere kognitiven Ressourcen so zu nutzen, dass wir uns häufiger im Flow-Zustand befinden", ist sich Vukelić sicher.

Berliner Kitas: Streiken statt Flow

Außen vor bleibt bei diesen Überlegungen die Frage, warum – trotz verbesserter Optimierungsstrategien – die Zahlen der psychischen Erkrankungen fast parallel zum Anwachsen der Selbstverbesserungswelle stiegen.

Selbstoptimierung begeistert aber nicht alle Arbeitenden. Einen anderen Weg gehen die Beschäftigten in den Berliner Kitas. Sie wollen die Ursachen der Belastungen angehen. Einen "Tarifvertrag pädagogische Qualität und Entlastung", der beim Personalmangel gegensteuern soll, will die Gewerkschaft Verdi für die 7.000 Beschäftigten der 282 landeseigenen Kitabetriebe durchsetzen.

Dafür fordert Verdi eine neue Berechnung für die notwendige Personalausstattung. Ziel ist, in den Kitas mehr Personal einzusetzen.

Die Gewerkschaft knüpft damit an Erfahrungen der Belegschaften in Krankenhäusern an. Die Beschäftigten der Charité in Berlin haben einen vorbildlichen Tarifvertrag erkämpft. Die Verknüpfung tarifpolitischer Ziele mit gesamtgesellschaftlichen Themen stärkte den Arbeitskampf: Unter dem Motto "Mehr von uns ist besser für alle" wurde deutlich, dass auch die Kranken Vorteile durch den Tarifabschluss haben. In den Kitas wird argumentiert, dass mehr Erzieher die Situation der betreuten Kinder verbessern.

Vertragsstrafen für Unternehmen wegen KI?

Manche Beschäftigten versuchen individuell gegen den Leistungsdruck anzugehen. Rund die Hälfte der User nutzt ChatGPT beruflich, davon 17 Prozent ohne Wissen des Vorgesetzten, meldet der gewerkschaftliche Bund-Verlag. Angestellte, die ihre Aufgaben schneller durch Einsatz von ChatGPT erledigen, warnt der Arbeitsrechtsexperte Peter Wedde:

Sind vertraglich bestimmte Arbeitszeiten vereinbart, müssen Beschäftigte ihren Arbeitgebern innerhalb dieses Rahmens für die Erledigung zugewiesener Arbeitsaufgaben uneingeschränkt zur Verfügung stehen. Praktisch kann dies bedeuten, dass Beschäftigte ihre Vorgesetzten darüber informieren müssen, dass sie alle ihnen übertragenen Aufgaben erledigt haben und deshalb für weitere Aufträge bereitstehen.

Auch andere greifen das Thema auf. "KI: Wenn Mitarbeiter plötzlich ganz flott und besser werden", spottet die Wirtschaftswoche.

KI ermöglicht, manchen Text schneller zu erstellen oder Recherchen mit weniger Zeitaufwand zu erledigen. Dies findet aber nicht in jedem Unternehmen Unterstützung.

Angestellte nutzen KI "unkontrolliert und hinter dem Rücken ihres Arbeitgebers", beklagt Christoph Werkmeister, IT-Experte der Kanzlei Freshfields. Dies können jedoch zu Problemen führen. Denn die eingegebenen Daten können vertraulich sein. Einmal in die KI eingeben, teilt diese die geheimen Zahlen möglicherweise unkontrolliert mit weiteren Nutzern.

Werkmeister berichtet von einem Mitarbeiter der Baubranche, der die KI mit einem großen Kaufvertrag über eine Million Ziegel fütterte. Die Konkurrenz sollte Bezugsquelle und Einkaufspreis nicht erfahren. Unternehmen riskieren durch dieses Angestellten-Verhalten "deftige Vertragsstrafen", warnt der IT-Experte.