Medien im Tunnelblick: Warum bestimmte Mehrheiten skandalisiert, andere ignoriert werden

Fernseher mit AfD-Logo als Teufel

Probleme einer ungeregelten Migration werden in Gut-und-Böse-Schemen gepresst. Journalistische Meinungen werden zu Tatsachen. Was auf der Strecke bleibt.

Die gemeinsame Abstimmung von Union und AfD am 29. und 31. Januar 2025 beschäftigt die Medien weiterhin.

In dem mit 348 Ja- zu 344 Nein-Stimmen angenommenen "Entschließungsantrag" wurde die Regierung unter anderem aufgefordert, Grenzkontrollen einzuführen, illegale Einreiseversuche zu unterbinden, vollziehbar Ausreisepflichtige nicht "auf freiem Fuß" zu lassen, die Länder beim "Vollzug der Ausreisepflicht" stärker zu unterstützen und das Aufenthaltsrecht für Straftäter und Gefährder zu verschärfen.

In der Berichterstattung zu dieser Parlamentsabstimmung ist seitdem nachrichtlich von einem "Tabubruch" die Rede, weil die AfD hierbei als Mehrheitsbeschafferin fungierte.

Allerdings stellt sich die Frage, wo dieses "Tabu" kodifziert sein soll, um als Tatsache gelten zu können anstatt als Meinung von Abgeordneten und Pressevertretern.

Was ist ein Tabubruch?

Im Newsletter des Medienmagazins Übermedien bemüht sich Redakteurin Lisa Kräher auszuloten, wann ein Tabubruch vorliegt und wann nicht, wenn andere Parteien gemeinsam mit der AfD abstimmen.

Denn verschiedentlich wurde, auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (z.B. Moma), darauf hingewiesen, dass auch andere Parteien als die Union schon mit der AfD für oder gegen etwas gestimmt haben.

So haben im Kreistag Weimarer Land fünf Mitglieder der Fraktion "Linke/ Grüne" gemeinsam mit der AfD gegen eine Klage der Landrätin gestimmt, an das Land Thüringen rund zwei Millionen Euro zurückzahlen zu müssen. Denn die Landrätin selbst hatte darauf hingewiesen, "dass der Rechtsstreit aus Sicht der Verwaltung keine Aussicht auf Erfolg hat". Die Klage würde allerdings 29.523 Euro kosten.

Kräher sieht in dieser gemeinsamen Abstimmung, mit der die Klage zurückgenommen werden musste, keinen Tabubruch.

Es ist ein Unterschied, ob eine Partei Stimmen der AfD in Kauf nimmt bzw. damit kalkuliert, um ihre eigenen politischen Ziele durchzusetzen, oder ob Parteien, wie im Fall in Apolda (Kreisstadt Weimarer Land, Anm. d. Verf), gegen ein Gesetz oder einen Beschluss (der hier ja auch noch aus der Verwaltung kam) stimmen – und die AfD eben auch. Es wäre absurd, wenn Linke oder Grüne für den Beschluss gestimmt hätten, obwohl sie dagegen sind, nur weil die AfD auch dagegen stimmt.

Lisa Kräher, Übermedien

Zu den Abstimmungen im Bundestag hatte der CDU-Vorsitzender Friedrich Merz allerdings Ähnliches erklärt: "Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, wenn die Falschen zustimmen."

Wenig Beachtung fand, dass in dem von der AfD unterstützten Entschließungsantrag eine deutliche Positionierung gegen die AfD steht:

Wer die illegale Migration bekämpft, entzieht auch Populisten ihre politische Arbeitsgrundlage. Die AfD nutzt Probleme, Sorgen und Ängste, die durch die massenhafte illegale Migration entstanden sind, um Fremdenfeindlichkeit zu schüren und Verschwörungstheorien in Umlauf zu bringen.

Sie will, dass Deutschland aus EU und Euro austritt und sich stattdessen Putins Eurasischer Wirtschaftsunion zuwendet. All das gefährdet Deutschlands Stabilität, Sicherheit und Wohlstand. Deshalb ist diese Partei kein Partner, sondern unser politischer Gegner.

Bundestags-Drucksache 20/14698

Sicherlich macht es einen Unterschied, ob eine Entscheidung nur wegen des Abstimmungsverhaltens der AfD fällt, oder ob deren Stimmen dafür unerheblich sind. Wo die Tabu-Linie verläuft, ist damit aber noch nicht gesagt. Auch Kräher kann sie nicht klar benennen.

Wann spricht man von einer Zusammenarbeit mit der AfD? Was genau soll Brandmauer bedeuten? Auf diese Fragen gibt es wahrscheinlich unterschiedliche Antworten, weil es sich dabei nicht um eindeutige Kategorien handelt – und die Brandmauer im kommunalpolitischen Alltag möglicherweise manchmal gar nicht der Realität entspricht. Medien täten gut daran, diese Fragen detailreich und unaufgeregt zu diskutieren.

Lisa Kräher, Übermedien

Übrigens gab es schon in der vorherigen Legislaturperiode wenigstens eine Gesetzesinitiative, die sogar von der AfD mit eingebracht wurde, gemeinsam mit allen anderen Parteien des Bundestags: nämlich im Corona-Jahr 2020, die Abgeordnetenvergütungen nicht automatisch anzuheben.

Persönliche Wertungen der Journalisten

Ein wesentliches Problem der Berichterstattung dürfte hier wie so oft sein, dass Journalisten ihre persönlichen Wertungen des Weltgeschehens für allgemein verbindlich halten.

Dass kaum ein Journalist großer Medien selbst der AfD nahesteht oder dies auch nur von Kollegen vermutet, schlägt sich dabei wohl nieder.

Der Blickwinkel des nach derzeitigen Umfragen etwa ein Fünftel der Wähler zählenden Bevölkerungsanteils kommt kaum vor, obwohl das möglich sein sollte, ganz gleich, wie Berichterstatter selbst zu der Partei stehen.

Während bei der AfD als faktische Grundlage stets die Einschätzung von Verfassungsschutzbehörden herangezogen wird (ungeachtet der Frage, wie politisch unabhängig der Verfassungsschutz arbeitet), wird in manch anderen Fällen komplett auf eine Begründung der als faktisch eindeutigen Weltsicht verzichtet.

Trump ist das Böse

Besonders deutlich wird dies stets bei Berichten über den US-Präsidenten Donald Trump. Analog der AfD-Einordnung gilt er quasi als "gesichert populistisch". Womöglich werden demnächst auch einzelne Parteien als "gesichert wirtschaftsfeindlich" oder Firmen als "gesichert klimaschädlich" vorgestellt, entsprechende Parameter dürften jedenfalls zu finden sein.

Im kürzlich veröffentlichten Deutschlandfunk-Podcast "Nach Redaktionsschluss" war es für die drei Gesprächspartner Sara Sievert (t-online), Stephan Weichert (Medienwissenschaftler) und Stephan Beuting (DLF) gar keine Frage, wie Trump einzuschätzen sei.

Entsprechend wurde auch nicht im Ansatz erörtert, wieso eine Mehrheit der US-amerikanischen Wähler ihn ein zweites Mal an die Staatsspitze gesetzt hat. Stattdessen ging es um die Frage, ob Trump in deutschen Medien zu viel Aufmerksamkeit bekommt.

Etwas, das auch immer wieder im Zusammenhang mit der AfD debattiert wird.

Dabei sollte es doch weniger um die Menge an Medienpräsenz gehen, als vielmehr um die vermittelten Inhalte. Manches mag in wenigen Sätzen oder Sekunden hinreichend erörtert sein.

Die von CDU/ CSU mit ihrem Entschließungsantrag aufgeworfenen Fragen zur Migration sind sicherlich nicht ganz so schnell zu beantworten – hierfür dürfte es deutlich mehr als die vom Parlament knapp angenommenen zwei A4-Seiten brauchen.