Medien stören

Nachdem Luhmann Fritz Heider und seinen Medienbegriff wieder entdeckt hatte, beschäftigte sich mit Heiders Ansatz eine Tagung

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Medien werden zu einem Ärgernis, wenn man einer Fußnote des Soziologen Niklas Luhmann folgt. Ihm kommt die bedenkliche Ehre zu, den Text "Ding und Medium" des Psychologen Fritz Heider wieder entdeckt zu haben. Das Fazit von Heiders Text, der 1927 in der Zeitschrift "Symposion" veröffentlicht wurde, lautet, dass Medien stören. Denn sie können die Wahrnehmung von Objekten trüben. Auf einer Tagung der Bauhaus-Universität Weimar ging es um diesen Medienbegriff

Heiders Medienbegriff bezeichnet freilich nicht Kommunikationstechniken, sondern verbleibt im Kontext vormoderner Naturwissenschaft. Eben diese erkenntnistheoretische Einstellung nahm Friedrich Balke in seinem Eröffnungsvortrag ins Visier. Die Tagung, die am 19. und 20. Mai in Weimar stattfand, lotete Anschlussmöglichkeiten der Medienwissenschaft an Heider und Luhmann aus.

Zu Beginn des Jahres 1920 reichte Heider im Alter von 24 Jahren bei Alexius Meinong in Graz eine Dissertation ein, die sich mit den Ursachen sinnlicher Wahrnehmung auseinandersetzt. Nach der Dissertation hält sich der junge Österreicher im Berlin der zwanziger Jahre mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser, unter anderem als Hilfselektriker bei einer Firma für Alarmanlagen und als Psychologe, der Eignungstests für die Lehrlinge in den Borsigschen Lokomotivenwerken und für die Fahrer von Postautos entwickelt. Durch Vermittlung von Kurt Lewin kann er Kontakte zur akademischen Philosophie ausbauen.

Auf einem philosophischen Treffen in Erlangen trägt Heider im Frühjahr 1923 dann die Thesen seines Aufsatzes "Ding und Medium" im Aristoteles-Saal der dortigen Philosophischen Akademie vor. Der Saal stürzt samt des Gebäudes wenig später ein. Das ist ein Zeichen für den jungen Intellektuellen, das er rückblickend in seiner Autobiographie würdigt: "Ich habe immer gedacht, dass in diesem Ereignis eine philosophische Botschaft zu sehen ist, aber vielleicht ist es besser, dass ich nie herausbekommen habe, welche".

Heider geht, nachdem er einen Winter frierend in florentinischen Galerien verbracht hat, schließlich nach Hamburg. Dort assistiert er William Stern in der Lehre und darf auch einmal eine Botschaft des von ihm verehrten Ernst Cassirers an Martin Heidegger in Freiburg überbringen. Die Medientheorie, so legt es die Autobiographie Heiders nahe, lässt die Trümmer des traditionellen philosophischen Gebäudes hinter sich und sucht neue Wege. Heider hat seinen Weg erst nach der Übersiedlung in die Vereinigten Staaten (1930) als Psychologe gefunden. Die Medienwissenschaft ist jedoch nicht gut beraten, wenn sie Heider als einen klassischen Autoren kanonisiert. Er verbleibt in Gedankengängen, die schon zu seiner Studienzeit in Misskredit geraten waren. Heider argumentiert so, als wäre die Wahrnehmung eines Dings an sich erstrebenswert, und verschließt sich damit relativistischen Auffassungen, wie sie etwa Cassirer in seiner Beschäftigung mit Einstein formuliert und dann in der "Philosophie der symbolischen Formen" entwickelt.

Friedrich Balke (Universität Köln) charakterisierte während der Tagung der Bauhaus-Universität Heiders Aufsatz als weitere Fußnote zu Platon und konterkarierte ihn durch einen Vergleich mit Kafkas Erzählung "Blumfeld ein älterer Junggeselle". Blumfelds geregelter Alltag wird eines Abends durch zwei Zelluloidbälle gestört. Eigentlich wünscht sich Blumfeld einen Hund. Doch statt dieses treuen Gefährten folgen ihm nun zwei Bälle, in zwar wohl bemessenem, aber dennoch aufdringlichem Abstand. Sie passen sich seinen Bewegungen an, erfüllen aber nicht sein Ruhebedürfnis nach einem Arbeitstag im Lohnbüro der Wäschefabrik. Die Zelluloidbälle stören, weil sie sich mal leise mal trommelnd, aber unaufhörlich zwischen Blumfeld und seine häuslichen Gewohnheiten drängen.

Die Zelluloidbälle entsprechen damit einer ursprünglichen Wortbedeutung von Medien. Sie sind ein Mittleres, etwas, das sich zwischen anderen Dingen bewegt. Eben als solche Störenfriede betrachtet Heider Medien im erwähnten Aufsatz, z.B. das Fensterglas und den Nebel, "in ihm werden die Zuordnungen der Lichtwellen zu den Dingen gestört ... Seeleute und Bergsteiger kommen im Nebel um, und die kleinen Vögel gehen zu Grunde, wenn sie sich an die Ausnahme des Glases angepasst haben und mit dem Schnabel gegen Fensterscheiben stoßen".

Die Anpassung an die Glasfassaden moderner Bürogebäude ironisiert Jacques Tati in dem Film "Playtime". Der Filmwissenschaftler Lorenz Engell, der gemeinsam mit Jörg Brauns zu der Tagung nach Weimar eingeladen hatte, entwickelte die eigentliche medientheoretische Brisanz des Films. "Playtime" ist ein Film, der ohne Musik auskommt, aber durch akustische Gestaltung das Verhältnis von Nähe und Ferne zu einem bürokratischen Labyrinth verdichtet, in dem sich Tatis Monsieur Hulot verliert. Raum und Zeit sind in dieser Auffassung die Milieus, die durch akustische und optische Techniken geformt werden. Diese Milieus können in Anschluss an Luhmann und die konstruktive Erkenntnistheorie Medien genannt werden.

In einem Exkurs zur Staats- und Wirtschaftlehre von Adam Müller zeigte Joseph Vogl, der an der Bauhaus-Universität Weimar den Lehrstuhl " Geschichte und Theorie künstlicher Welten" innehat, dass in Müllers romantischer Wissenschaft das öffentliche Geld die Funktion eines Mediums einnehme. Dieses Medium differenziere sich durch die Form des Kredits aus. Das Jahr 1797 ist nach dieser Auffassung eine Zäsur. Denn in diesem Jahr wird die Bank von England ihrer Pflicht enthoben, Papiergeld gegen harte Währung eintauschen zu müssen, und seit diesem Jahr bilde der Kredit, der diesem Papiergeld gewährt werde, die eigentlich gemeinschaftsbildende Kraft. Sie erzwinge die stete Teilnahme aller am ökonomischen System.

Gerhard Plumpe (Universität Bochum) legte die Funktion der Fotografie in der Rechtsprechung des neunzehnten Jahrhunderts dar. Er argumentierte, dass in Abhängigkeit von urheberrechtlichen oder strafrechtlichen Fragestellungen unterschiedlich definiert wurde, was Fotografie ist. Bemühten sich die Kunstfotografen um eine Würdigung ihrer Produkte als von ihnen geschaffene Werke, in dem sie zum Beispiel aufwendige Retouchiertechniken benutzten und so farblich hervorhoben, dass sie nicht bloß die Natur darstellten, so kehrte sich dieses Bemühen in der Bewertung der Polizeifotografie um. Die juristischen Fotografen waren angehalten, eine Situation oder einen Verdächtigen ohne künstlerisches Hinzutun abzulichten. Das, was als fotografisch galt, wurde nicht aus der technischen Disposition des Apparates abgeleitet, sondern durch diskursiv-kulturelle Rahmenbedingungen definiert.

Eine solche "funktionale" Definition von Medien hilft, die schlichte Erkenntnistheorie, in der nach Heider Medien stören, zu vermeiden. So mag denn die junge Disziplin "Medienwissenschaft" vor der Unbeholfenheit des älteren Junggesellen Blumfeld noch eine Zeit bewahrt bleiben. Den Segen der kritischen Instanz von Peter Fuchs (FH Neubrandenburg) hat sie jedenfalls. Der intime Kenner der Luhmannschen Soziologie bekräftigte in seinen Diskussionsbeiträgen das explosive Potential des Medienbegriffs in der Systemtheorie des "heiligen Niklas".