Medikamentenmisere: Das ganze System muss auf den Prüfstand

Bild: Pixabay License

Versorgung mit Medikamenten: Deutsche Mangelverwaltung mit Transparenzlücken und Betriebsgeheimnissen. Vom Bundesgesundheitsministerium kommt nur eine Absichtserklärung; vieles bleibt ungeklärt.

Am lautesten waren die Klagen wegen fehlender Fiebersäfte für Kinder. Das Problem dabei war jedoch nicht eine gegenüber den Vorjahren reduzierte Produktion, sondern eine deutlich gestiegene Nachfrage: Viele erkrankte Kinder und besorgte Eltern, die auch auf Vorrat kauften.

Rabattverträge, Preise und Fehler bei der Produktion

Die gesetzlichen Krankenkassen sind von der Politik angehalten, für die Versorgung ihrer Versicherten Liefer- und Rabattverträge mit Anbietern von generischen Medikamenten abzuschließen, bei welchen die preisgünstigsten Medikamente zum Zuge kommen. Welche Preise dabei ausgehandelt werden, muss bislang nicht veröffentlicht werden.

Es ist also durchaus möglich, dass sich die Preise für ein und dasselbe Medikament unterscheiden, je nachdem bei welcher Kasse ein Patient versichert ist. Für die Abrechnung der Apotheken spielen die Rabatte keine Rolle.

Sie werden erst im Nachgang von den Medikamentenanbietern an die Kassen überwiesen. Die Apotheken erhalten für jedes abgegebene Medikament einen Festbetrag, von welchem sie noch die Abgaben für den Nacht- und Sonntagsdienst zu leisten haben.

Die Rabattverträge stehen im Ruf, dass sie dafür verantwortlich dafür sein sollen, dass die Anbieter zur Sicherung ihrer Margen kontinuierlich nach billigeren Produktionen Ausschau halten. Zu großen Teilen kommen die Medikamente inzwischen aus Fernost.

In Deutschland wird in der Hauptsache die Verpackung gemacht und Beipackzettel gedruckt. Wenn ein fernöstlicher Hersteller aufgrund des Kostendrucks das Herstellungsverfahren wechselt und infolge der Änderungen im gelieferten Material Schadstoffe enthalten sind, muss dies den Weiterverarbeitern bei ihrer Eingangskontrolle nicht auffallen. Was man nicht sucht, wird man in der Regel auch nicht finden.

Deutsche Mangelverwaltung

Der bestehende Kostendruck und die daraus resultierende Verlagerung von Produktionsschritten nach Fernost verknüpft mit einer zunehmenden Konzentration auf wenige Produktionsbetriebe sorgten dafür, dass die Lieferketten immer fragiler wurden. Die Tatsache, dass die chinesischen Behörden zunehmend kleine Produzenten aufgrund von Umweltverstößen vom Markt nahmen, verschärfte diese Situation noch.

Die erste Reaktion der deutschen Politik war die Ausgestaltung eines Mangelverzeichnisses, in dem die gemeldeten Engpässe veröffentlicht werden, sofern sich die Seite nicht mit einem 404-Fehler meldet. Zuletzt waren dort knapp 370 Medikamente oder Darreichungsformen gelistet.

Das ist jedoch höchstens die halbe Wahrheit, weil nicht alle Medikamente in allen Darreichungsformen bei allen Pharmagroßhändlern verfügbar sind.

Gesundheitsministerium: Eckpunktepapier mit Absichten und viel Ungeklärtes

Mit dem am 16. Dezember 2022 veröffentlichten Eckpunktepapier hat das Bundesministerium für Gesundheit seine aktuellen Lösungsvorstellungen für die Medikamentenmisere bekannt gemacht.

So sollen Apotheker bei nicht verfügbaren Medikamenten künftig für Rückfragen beim verordnenden Arzt mit 50 Cent entschädigt werden, wobei der Aufwand des angesprochenen Arztes nicht entschädigt wird.

Im BMG-Eckpunktepapier heißt es hinsichtlich der Lieferkettenproblematik zudem:

Wir wollen Versorgungsengpässe entschieden bekämpfen und Maßnahmen ergreifen, um Lieferketten und Versorgungssicherheit zu stärken. Hierfür sind strukturelle Maßnahmen im Generika-Bereich erforderlich, insbesondere Maßnahmen zur Diversifizierung der Lieferketten, zur Einführung von Standortkriterien bei der Versorgung und zur frühzeitigen Erkennung und Vermeidung von Versorgungsengpässen.

Bundesministerium für Gesundheit

Was fehlt, sind konkrete Umsetzungsmaßnahmen und verbindliche Zeiträume. Lediglich eine Evaluierung der Maßnahmen ist bis 2025 vorgesehen.

Das grundlegende Problem bei den Lieferketten besteht darin, dass kein Beteiligter zuverlässig darüber Auskunft geben kann, wo welcher Wirkstoff hergestellt wird.

Auch pharmazeutische Unternehmen können oftmals nicht sagen, woher ihre Wettbewerber ihre Wirkstoffe beziehen. So hat die AOK Baden-Württemberg als bundesweite Verhandlungsführerin der Arzneimittelausschreibungen der AOK-Gemeinschaft deutlich mehr Transparenz entlang der gesamten Lieferkette gefordert.

Von der Wirkstoffproduktion bis zum Fertig-Arzneimittel unter Angabe der Produktionsorte sollten die relevanten Produktionsschritte veröffentlicht werden, um bei drohenden Engpässen rechtzeitig und zielgerichtet reagieren zu können.

Dies ist bislang jedoch vom OLG Düsseldorf in zweiter Instanz nach einer Klage pharmazeutischer Hersteller gestoppt worden.

Flickschusterei an Symptomen statt zielführender Lösungen

In der komplexen Gemengelage der deutschen Gesundheitsversorgung wird auch mit dem aktuellen Eckpunktepapier nur an der Lösung jener Probleme gearbeitet, die am lautstärksten vorgetragen werden. So konzentriert sich das BMG-Eckpunktepapier auf die Medikamente für Kinder.

Der Beirat zu Liefer- und Versorgungsengpässen beim BfArM erstellt unter Berücksichtigung der Zulassung, des Anwendungsgebietes, der Darreichungsform und der Dosierung eine Liste von Arzneimitteln, die für die Sicherstellung der Versorgung von Kindern erforderlich sind.

Für diese Arzneimittel dürfen zukünftig keine Rabattverträge abgeschlossen und keine Eingruppierungen in Festbetragsgruppen vorgenommen werden. Bestehende Festbeträge werden aufgehoben. Das Preismoratorium wird für diese Arzneimittel angepasst., als neue Preisobergrenze wird das 1,5-fache eines aktuell bestehenden Festbetrags oder, sofern kein Festbetrag besteht, das 1,5-fache des Preismoratoriums-Preises festgelegt.

Bundesministerium für Gesundheit

Dass das ganze System der deutschen Versorgung mit Medikamenten auf den Prüfstand gehört, wird einfach übergangen.

Dass eine Verlagerung der Medikamentenproduktion nach Europa keinesfalls die Verfügbarkeit in Deutschland sichert, hat sich beim Beginn der Corona-Pandemie in der EU gezeigt, als Italien die Lieferung von Medikamenten eingestellt hat.

Zudem können Lieferkettenprobleme nicht wirklich erkannt werden, solange die Lieferketten als Betriebsgeheimnis behandelt werden.