Mehr Chance als Gefahr

Internetnutzung bei kleinen Plattenlabels

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Wochen vor der geplanten Veröffentlichung der neuen Madonna-CD "Music" fanden sich diverse Versionen ihrer ersten Singleauskopplung im Netz als Raubkopien. Nach ersten aufgeregten Drohungen, rechtliche Schritte einzuleiten, hatte sich das Management von Madonna bald eines Besseren besonnen und den Spieß umgekehrt. Zur Veröffentlichung wurde schließlich das Internet massiv als PR-Kanal benutzt. Der Streit hingegen um illegale Musikkopien im Netz ist noch lange nicht beigelegt. Auch wenn sich unter den großen Musikfirmen inzwischen einiges bewegt, bleibt das Problem, das Napster aufgeworfen hat, virulent. Aber es ist ein Problem der großen Musikindustrie. Und trotz aller Verdrängungsversuche gibt es inzwischen eine Vielzahl kleiner unabhängiger Plattenlabels, für die das Internet mehr Chance als Gefahr darzustellen scheint.

Das österreichisches Elektronik-Duo MIKA (Matthias Wilhellm und Simon Haidenbauer) hat zeitgleich mit der Veröffentlichung seines regulären Albums "Mika" (Klein Records) zusätzlich eine EP im Internet veröffentlicht. Auf "Opposite of Silence" finden sich nicht nur Remixe des regulären Albums, sondern auch Stücke, die dort keinen Platz mehr gefunden haben. Sie stehen auf der Homepage des Duos zum freien Download zur Verfügung. Die beiden Musiker verstehen ihr Vorhaben als "Dessert Act" und forderten ihre Fans auf, von den Stücken eigene Versionen anzufertigen und ihnen zuzuschicken. Für Stefan Candid von Klein Records war das "eine geniale Marketing-Aktion, die ein riesiges Feedback nicht nur für die Musiker, sondern auch für uns als Plattenfirma ergeben hat."

Wer sich auf den Internetseiten kleiner Labels umschaut, findet zahlreiche MP3-Files. Es herrscht, wenn nicht gerade Hemmungslosigkeit, so doch eine gewisse Unbekümmertheit. Selbst ulftone hat inzwischen Musik zum Download freigegeben, obgleich doch Labelmitgründer David Lindley auf seinen CDs seine Fans auffordert, ihm 5$ zu schicken, wenn sie eine Kopie ziehen wollen.

Vor dem Unbill klauender Fans schützt diese Labels vor allem eins: ihr ganz spezieller Charakter. Keiner produziert eine Musik, die ein derart großes Publikum hat, dass Raubkopien gleich auf die Verkaufszahlen durchschlagen. Die Zielgruppe ist kleiner und in gewisser Weise elitärer. "Bei unseren Fans zählt die Labelidentität, die Qualität, die wir mit unseren CDs vermitteln. Jazzfreunde wollen ein gewisses Einkaufserlebnis haben, sie wollen etwas in der Hand halten", meint Andrea Linder von der Agentur Artelier Media, die in Deutschland das Jazzalabel GoJazz betreuen. Und Christian Candid stimmt ihr zu. "Eine schöne Platte in der Hand hat mehr Sex als ein paar Files auf der Festplatte und dazu ein Jpeg, das ich mir anschaue." Die meisten dieser Labels vermitteln ihre eigene Identität nicht nur durch die Musik, sondern auch durch einen entsprechenden Auftritt, der von einer einheitlichen Aufmachung der CDs bis zur regelmäßigen Clubnacht reichen kann.

Eine Skepsis, auch gegenüber der angekündigten Napster-Entwicklung, aber bleibt. Viele Labels sind von Künstlern gegen die etablierten und großen Konzerne gegründet worden, weil sie, wie bei David Lindley, sich nicht dem kommerziellen Druck und der immer noch grassierenden Ausbeutung der Künstler beugen wollten, oder, wie bei Ben Sidran, Gründer von GoJazz, die eigene Musik keine Nische bei den Großen gefunden hat. So steht bei aller Offenheit und bei allen Möglichkeiten, die das Internet bietet, vor allem das Interesse des Künstlers und sein Urheberrecht im Vordergrund.

"Wir verfolgen, was die Majors machen, wir verfolgen, was es Neues im Kopierschutz gibt", so Michael Reinboth von den Münchner Compost Records. Auch er hat inzwischen schon, wie diverse andere, eine Anfrage von Napster auf dem Tisch liegen. "Mittelfristig käme das für uns schon in Betracht, vielleicht, wenn es sich mit dem eigenen Webshop verknüpfen lässt", aber zuerst einmal müsse die Frage des Schutzes und der Bezahlung geregelt werden. Die Münchner sind selbst auch aktiv, schauen gelegentlich, was im Netz mit ihrer Musik passiert, beobachten die Entwicklung bei den Webradios. Compost Records, so scheint es, hat inzwischen die kritische Größe erreicht, bei der herumirrende Musikfiles nicht nur Werbung darstellen, sondern auch einen gewissen finanziellen Schaden.

Und doch gilt auch für die Münchner, dass das Internet und die eigene Website in erster Linie als weitere Marketing-Platform dienen, als Möglichkeit einer "Einszueins-Betreuung der Fans, die andere Medien nicht ermöglicht", wie es Andrea Linder ausdrückt. Die Emails werden noch persönlich beantwortet, der Interessentenkreis über die Neuigkeiten per Newsletter informiert, gelegentlich, so es die Technik zulässt, sogar in personalisierter Form. Und von Zeit zu Zeit werden potentielle Fans mit Musikproben auf den Geschmack gebracht. Auf diese Weise wird die Kundschaft gepflegt und vergrößert. Und wer etwas kaufen will, wird zum Shop geleitet, an dem die meisten, so sie noch keinen haben, intensiv arbeiten.

Radikale Aktionen wie die von MIKA werden wohl weiterhin Ausnahmen bleiben. Dennoch bietet das Internet kleinen Plattenlabels vor allem die Chance, ihr Nischendasein konsequent auszubauen und so das hervorzuheben, was sie von den großen Companies unterscheidet: den eigenen Charakter. Denn im Netz können sie auf elegante Weise mit den Großen gleichziehen oder diese gar übertrumpfen.