Mehr Verbote als Verschleierte
- Mehr Verbote als Verschleierte
- Seit 2017 ist es Soldatinnen und Richterinnen verboten ihr Gesicht zu verschleiern
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An immer mehr Schulen und Universitäten in Deutschland sollen Musliminnen ihre Gesichtsschleier ablegen. Ungewiss ist, ob es überhaupt Frauen gibt, die einen tragen
Ein paar Zentimeter Stoff reichten aus, um Schleswig-Holsteins Koalition aus CDU, Grünen und FDP in eine handfeste Krise zu stürzen. Nach monatelangen Diskussionen hatte CDU-Bildungsministerin Karin Prien am 31. Januar einen Gesetzesvorschlag für ein "Burkaverbot" im Hochschulgesetz eingebracht. Doch dann lehnte der grüne Koalitionspartner diesen überraschend ab und die Aufregung in Land und Bund begann: Die Bild-Zeitung berichtete tagelang. Selbst aus der Führung der Bundespartei hagelte es Kritik.
Dabei hatte Schleswig-Holsteins Streit um ein "Burkaverbot" vergleichsweise unspektakulär begonnen. Anfang 2019 war an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel eine Erziehungswissenschaftsstudentin mit Niqab zum Botanik-Tutorium erschienen. Die Deutsche war nach eigener Auskunft zuvor evangelikale Christin und zum Islam konvertiert. Der Dozent wandte sich daraufhin an die Uni-Leitung, die wiederum am 31. Januar 2019 zunächst ein Schleierverbot erließ und sich anschließend mit der Bitte um Klärung an die Landespolitik wandte. Ein Jahr lang ließ diese Dutzende Wissenschaftler anhören und in zahllosen Anhörungen das Thema diskutieren und konnte sich dann doch nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.
Richter in Hamburg entschieden gegen ein Verbot des Gesichtsschleiers
Mit dem Problem ist man in Schleswig-Holstein nicht allein. Auch in Hamburg ringt man derzeit um den richtigen Umgang mit vollverschleierten Musliminnen. Dort diskutieren die regierenden SPD und Grüne derzeit über eine Änderung des Schulgesetzes, um Gesichtsschleier in Klassenräumen verbieten zu können. "Burka und Niqab sind für mich Unterdrückungssymbole", erklärte die Grüne-Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank letzte Woche.
Wie in Kiel reichte auch in Hamburg eine einzelne Schülerin, um die Debatte auszulösen: Die Schulbehörde hatten die Eltern der 16-jährigen Niqab-Trägerin aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass sich das Kind im Unterricht nicht mehr verschleiert. Die Mutter klagte und bekam recht. In seinem Entscheid vom 3. Februar verwies das Hamburger Oberverwaltungsgericht auf Glaubensfreiheit und fehlende Bestimmungen im Schulgesetz. Letzteres will die Regierung des Stadtstaates nun ändern.
Auch in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg plant man "Burkaverbote"
Motiviert durch das Hamburger Urteil haben auch andere Bundesländer ihr Interesse für das Thema entdeckt. Vier Tage nach dem Hamburger Urteil kündigte das rheinland-pfälzische Bildungsministerium an, in eine schon geplante Neufassung des Schulgesetzes, ein Verbot der Vollverschleierung aufnehmen zu wollen. "Das Gesicht der Schüler muss erkennbar, und eine Kommunikation muss möglich sein", sagte Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) der Zeitung Trierischer Volksfreund.
In Reaktion auf das Hamburger Urteil kündigte auch die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann vergangene Woche an, ebenfalls das Schulgesetz ändern zu wollen. "Auch die Religionsfreiheit hat ihre Grenzen - und zwar an unseren Schulen ganz konkret, wenn sich Lehrkräfte und Schülerinnen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ins Gesicht schauen können. Wir dulden keine Vollverschleierung an unseren Schulen", sagte die CDU-Politikerin gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Kritik kam allerdings vom grünen Koalitionspartner, der das Vorhaben als Scheindebatte kritisierte. Die Zahl betroffener Schleier-Trägerinnen seien nahe null.
In Sachsen-Anhalt tauschten die Grünen "Burkaverbot" gegen Bestattungsreform
Darauf dass es kaum Frauen gebe, denen man das Niqab-Tragen verbieten könne, verwiesen auch Linke-Politiker in Sachsen-Anhalt kürzlich. Dort plant die die Landesregierung aus CDU, SPD und Grünen für März ein "Gesetz zum bereichsspezifischen Verbot der Gesichtsverhüllung" in den Landtag einzubringen. "Das Verschleiern oder Verhüllen des Gesichts widerspricht der Funktion der Schule als Ort der offenen Kommunikation und der Integration", heißt es im Gesetzesentwurf, der es auch verbieten soll, sich bei Wahlen zu verschleiern.
Unterstützt wird das Verbot auch von den Grünen. Diese machten ihre Zustimmung von einer Reform des Bestattungsgesetzes abhängig, die es Juden und Muslimen in Zukunft ermöglichen soll, ihre Toten gemäß eigener Traditionen zu beerdigen.
Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte schon 2014 für ein Verbot entschieden
Unsicher ist, ob ein Verbot der Vollverschleierung rechtlich Bestand haben kann. Im Deutschlandfunk erklärte der Politikwissenschaftler Ulrich Willems vergangene Woche, ein Verbot sei womöglich nicht mit dem grundgesetzlich verankerten Recht auf Religionsfreiheit zu vereinbaren. Zudem warnte der Münsteraner Wissenschaftler davor, dass ein Verbot betroffene Frauen erst recht in die Arme von Salafisten treibe.
Befürworter eines "Burkaverbots" an Schulen und Universitäten berufen sich hingegen auf ein Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs. Dieser hatte bereits im April 2014 zu Ungunsten einer muslimischen Schülerin entschieden. Diese hatte geklagt, nachdem ihr eine Berufsoberschule die Aufnahme aufgrund ihres Niqabs verweigert hatte.
Die Richter urteilten, dass das Verbot nicht die Religionsfreiheit in unzulässiger Weise einschränke. In der Urteilsbegründung hieß es, dass "offene Kommunikation" an einer Schule möglich sein müsse. Diese beruhe nicht nur auf dem gesprochenen Wort, sondern geschehe auch nonverbal mit Mimik, Gestik und Körpersprache: "Fehlen diese Kommunikationselemente, ist die offene Kommunikation als schulisches Funktionserfordernis gestört."
Einen Monat später kam es damals zum ersten bekannt gewordenen Fall eines Schleierverbots an einer Universität. Die Uni Gießen untersagte es im Mai 2014 einer vollverschleierten Lehramtsstudentin an Uni-Veranstaltungen teilzunehmen: Ein wissenschaftlicher und interaktiver Diskurs sei in der Kleidung nicht möglich, teilte die Uni-Leitung damals mit.