Mehr abgetauchte rechte Straftäter
Nach dem Bundesinnenmisterium konnten Haftbefehle gegen 462 Rechtsextreme nicht vollstreckt werden, die teils schon länger gesucht werden
Jahre lang konnten sich die Mitglieder des NSU trotz der Serie von Morden und Banküberfällen im Untergrund aufhalten. Ob Polizei und Verfassungsschutz versagt oder Teile eine schnelle Aufklärung verhindert haben und dies noch tun, sei dahingestellt. Beunruhigend ist jedenfalls, dass nach Angaben des Bundesinnenministeriums derzeit 462 Personen weiterhin in Freiheit sind, die aufgrund eines Haftbefehls wegen rechter Straftaten gesucht werden.
Das Ministerium hat auf eine Parlamentsanfrage von Ulla Jelpke, der innenpolitischen Sprecherin der Linkspartei, geantwortet, aus der die Zeitung "Der Westen" zitiert. Danach sind fast 600 Haftbefehle gegen 462 Straftäter nicht vollstreckt worden. Immerhin 104 werden wegen Gewaltdelikten gesucht, 106 wegen politisch motivierter Straftaten.
Damit hat sich die Zahl der rechten Straftäter, die nicht verhaftet werden konnten, Gründe werden nicht genannt, deutlich erhöht. 2015 waren es nach der Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion 372 rechte Straftäter, darunter 98 wegen einer Gewalttat (Körperverletzung bzw. gefährliche Körperverletzung, manche nicht politisch motiviert), jetzt sind es bereits 90 mehr, die sich der Justiz entziehen. Dazu kommt, dass fast 100 schon seit 2015 oder länger gesucht werden, also einen sicheren Unterschlupf gefunden haben.
Für Ulla Jelpke ist es beunruhigend, dass sich "Neonazis" so lange einer Festnahme entziehen können. Wenn sie sagt, dass "die zumindest ein Indiz für einen sich etablierenden Nazi-Untergrund" sei, dann geht sie wohl zurecht davon aus, dass es wie im Fall des NSU rechte Netzwerke gibt, die Untergetauchten helfen.
Die rechte Junge Freiheit hatte Anfang 2016 als Reaktion auf die Anfrage der Grünen das Bundesinnenministerium nach Linksextremisten befragt, gegen die ein Heftbefehl vorliegt, die sich aber noch auf freiem Fuß befinden. Angeblich waren 2015 mit dem Stichtag 23. September 110 liksmotivierte Täter noch auf freiem Fuß sind. In 47 Fällen wurde der Haftbefehl wegen einer Gewalttat ausgestellt, in 21 gab es einen politisch motivierten Hintergrund.
Linke Gewalt wird gegen rechte und umgekehrt ausgespielt
Möglicherweise auch zur Relativierung der Meldung über die wachsende Zahl der untergetauchten Rechtsextremen veröffentlichte die Welt gestern einen Beitrag über linksextreme Gewalt in Berlin im Umkreis des besetzten Hauses in der Rigaer Straße 94. Der Vorwurf lautet, dass "linke Gewalt für Rot-Rot-Grün keine Rolle" spiele, im Koalitionsvertrag komme das Wort Linksextremismus oder linke Gewalt nicht vor. Hingewiesen wird auf den Vorfall in der Nacht zum 21. Mai, als Vermummte Polizisten mit Steinen und Flaschen angegriffen hatten. Man habe sie in einen Hinterhalt gelockt, heißt es in der Welt, nachdem sie bei der Verfolgung auf weitere Vermummte in einem Innenhof getroffen waren.
Die Welt übermittelt die Kritik der Opposition. CDU, FDP und AfD sind sich offenbar mit dem Berliner Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) einig, dass die Koalition nicht gegen die Linksextremen vorgehe. FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja sagte, der Senat lege "einen Schutzmantel über diese Chaosextremisten".
CDU-Generalsekretär Stefan Evers gibt sich entsetzt, dass die Koalition die Gewalt nicht verurteile, und spricht von einem Schmusekurs. Er fordert ein hartes Durchgreifen. Der Konflikt mit dem besetzten Haus ist allerdings unter dem früheren CDU-Innensenator eskaliert. Der Innensenator hat allerdings die Gewalt verurteilt, vermerkt auch die Welt: "Wir werden nicht dulden, dass eine Minderheit einen ganzen Kiez in Angst und Schrecken versetzt. Den Linksextremisten sage ich ganz klar: Eure Gewalt ist sinnlos, menschenverachtend und unpolitisch. Ihr seid isoliert."
Evers könnte man allerdings auch einen Aufruf zur Gewalt vorwerfen. In einem Facebook-Posting hatte er die Bewohner des Objektes als "widerliches Pack" bezeichnet und den Wunsch oder die Aufforderung geäußert: "Ich hoffe, der Innensenator erwacht endlich aus seinem politischen Koma und räuchert dieses Nest von Linksfaschisten aus!" Nach Kritik von Usern ergänzte Evers sein Posting mit der Formulierung "mit allen Mitteln des Rechtsstaats". Innensenator Geisel riet dazu, die Gewalt nicht weiter zu eskalieren und "verbal nicht weiter aufzurüsten".