Mehr als eine Gerichtsverhandlung

In den USA ist ein afroamerikanischer Muslim und Ex-Black-Panther wegen Mord an einem Hilfsscheriff angeklagt

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Die Gerichtsverhandlung gegen Jamil Abdullah Al-Amin hätte eigentlich am 12. September stattfinden sollen. Doch wegen der Anschläge am 11. September und dem nationalen Ausnahmezustand, der die darauf folgenden Tage und Wochen prägte, wurde der Prozess vertagt. Am Dienstag, vier Monate danach, begann nun die Auswahl der Geschworenen, und das Verfahren löste bereits jetzt in den USA ein großes Medienecho aus.

Tags zuvor hatte eine Entscheidung die Wellen hoch schlagen lassen: Die zuständige Richterin Stefanie B. Manis verhängte über Al-Amin solange Isolationshaft, bis die 12 Geschworenen feststehen. Der 58-jährige Angeklagte darf wegen "Verächtlichmachung des Gerichts" mit niemanden außer seinen Anwälten kommunizieren, nicht mehr telefonieren, keine Briefe schreiben oder Besucher empfangen.

Grund dafür ist, dass er kurz zuvor der New York Times ein Interview gegeben, in dem er den Behörden vorwarf, die muslimischen Gemeinden unter Druck zu setzen und ihn selbst schon seit den 60er Jahren zu verfolgen. "Das FBI hat eine Akte mit 44.000 Seiten über mich", sagte Al-Amin der Zeitung, die Behörden wollten, da sie nichts gegen ihn vorbringen könnten, mit einem konstruierten Mordverfahren die Ermittlungen legitimieren und die dafür eingesetzten Ausgaben rechtfertigen. Schon Mitte Dezember vergangenen Jahres hatte sich die amerikanische Sektion von "Amnesty International" als erst große unabhängige Gefangenenvereinigung in einem Brief an die Behörden in Atlanta für den Imam eingesetzt.

Jamil Abdullah Al-Amin hiess vor seinem Übertritt zum Islam Mitte der 70er Jahre H. Rap Brown, er war für wenige Monate Mitglied der "Black Panther Party", die von der Bundespolizei FBI systematisch zerstört wurde. Schon 1964 hatte er sich im "Student Nonviolent Coordinating Committee" für die Registrierung von Afroamerikanern in die Wählerlisten eingesetzt. Nach einer dreijährigen Haft wegen bewaffneten Banküberfalls in New York ließ sich Al-Amin 1976 in Atlanta im Südstaat Georgia nieder, wo er eine schnell wachsende afroamerikanische muslimische Gemeinde gründete und deren Imam in der Moschee wurde. Unter anderem half er drogenabhängigen Schwarzen, von ihrer Sucht loszukommen, und bewegte sie zum Übertritt zum Islam.

Trotz seiner nicht unüblichen und friedlichen Community-Aktivitäten stand Al-Amin weiter unter Polizeibeobachtung. Am 16. März 2000 soll er, so die Anklage, auf zwei Hilfssheriffs geschossen haben, als diese versuchten, ihm eine Vorladung wegen geringfügiger Vergehen auszuhändigen. Bei einem Schusswechsel starb Ricky Kinchen, der andere Hilfsscheriff, Aldranon English, überlebte. Dieser soll Al-Amin vor Gericht als Täter identifizieren. Die "New York Times" wies darauf hin, dass in Atlanta zum Zeitpunkt der Verhaftung Al-Amins "der Bürgermeister, der Polizeichef, der Sheriff und der Staatsanwalt ebenso wie die Mehrheit der Stadtbevölkerung und die beiden Hilfssheriffs Schwarze waren". Als würden diese Tatsachen die berühmt-berüchtigten Ermittlungs- und Verfolgungsmethoden des FBI besser aussehen lassen.

Denn ähnlich wie im Fall des Journalisten und Ex-Black-Panthers Mumia Abu-Jamal, der jahrelang in der Todeszelle saß und einer lebenslangen Strafe entgegenblickt (Todesstrafe gegen Abu-Jamal aufgehoben), strotzt der Fall Al-Amin vor Widersprüchlichkeiten - und offenbar auch dem Rachebedürfnis von Polizei, Staatsanwälten und weißen Interessensgruppen, die Geschichte afroamerikanischer Bürgerrechtler und ihre Exponenten zu kriminalisieren.

Immerhin zieht der Fall das Interesse zahlreicher Medien auf sich. Die große Zeitung der Hauptstadt von Georgia, die "Atlanta Journal-Constitution", sah sich nach einer Kampagne der anfänglichen Vorverurteilung von Al-Amin inzwischen zu einem Rückzieher gezwungen. "Kann es nach dem 11. September für Muslime in den USA faire Gerichtsverfahren geben?", hieß es dort jüngst sogar in einem Artikel.

Dass Al-Amin nicht einfach, wie so viele andere vor ihm, wegen fabrizierter "Beweise" hinter Gittern oder gar in der Todeszelle landet, dafür will jedenfalls eine breite Koalition der größten islamischen Interessensgruppen in den USA sorgen. Das Verfahren gegen Al-Amin wird von ihnen als Prüfstein für ihre eigene Stellung in der amerikanischen Gesellschaft angesehen. Auf der Liste (potenziell) politischer Gefangener stand Al-Amin bei Knast-Solidaritaetsgruppen freilich schon viel länger - wegen seiner linken Vergangenheit.