Mehr deutsches Militärengagement: "Tun wir es nicht, verzwergen wir uns"
Macron spricht von einer "hirntoten Nato", die französische Verteidigungsministerin will deutsche Elitesoldaten in Mali, und AKK plädiert grundsätzlich für eine neue deutsche "Sicherheitspolitik"
Der EU-Kompass wird auf mehr Militär ausgerichtet, mehr gemeinsame Einsätze und mehr Aufträge für die europäische Rüstungsindustrie; man will geopolitisch mit größerem Gewicht auftreten, nicht bloß als Wirtschaftsmittelmacht. Frankreich und Deutschland präsentieren sich als Vorreiter auf diesem Kurs. Das geht aus aktuellen Äußerungen von Macron und seiner Verteidigungsministerin Florence Parly sowie einer Grundsatzrede ihrer deutschen Kollegin Annegret Kramp-Karrenbauer hervor.
Der französische Präsident, ewig auf der Suche nach einem markanten internationalen Profil, macht mit der Aussage, wonach "wir derzeit einen Hirntod der Nato erleben" "Breaking News". Europa müsse anfangen, sich strategisch als geopolitische Macht zu begreifen, sagte er dem britischen Magazin The Economist (mit Zahlschranke). Er zielt damit auf eine größere Eigenständigkeit gegenüber den USA.
Rettung vor dem Verschwinden: "Europa der Verteidigung"
Die Debatte dazu ist bekanntlich schon älter, Merkel hatte vor gut zwei Jahren in einem Münchner Vorstadtbierzelt einen Anstoß gemacht, der international Aufsehen erregte (Merkel: Europäer müssen selber für ihr Schicksal kämpfen). Jetzt wird sie neu hochgefahren. Auch Macron spricht vom europäischen Schicksal, das man nicht mehr kontrollieren könne, wenn man keine eigenen geopolitischen Strategien entwickle. "Das beinhalte militärische Souveränität und die Öffnung eines Dialogs mit Russland. Alles andere sei ein 'großer Fehler'" (Die Welt).
Zwei Elemente seiner "Nato-Hirntod"-Kritik sind bemerkenswert: Er verknüpft sie einmal mit den strategischen Alleingängen Trumps, die dazu führen würden, dass es keine Koordination bei strategischen Entscheidungen zwischen den USA und ihren Nato-Verbündeten mehr gebe. Und zweitens - was in deutschen Berichten zu seinem Economist-Interview noch nicht auftaucht, aber in französischen Medien angesprochen wird - die Rolle der Rüstungsindustrien:
Präsident Trump stellt, wofür ich viel Respekt habe, die Nato-Frage als kommerzielles Projekt. Für ihn ist das ein Projekt, bei dem die USA einen Art geopolitischen Sonnenschirm bereitstellen, aber im Gegenzug dafür, eine kommerzielle Exklusivität verlangen. Das ist ein Motiv, um "amerikanisch zu kaufen". Frankreich hat (die Mitgliedschaft zur Nato, Erg. d. A.) nicht dafür unterzeichnet.
Emanuel Macron
Um nicht zu verschwinden, müsse sich das "Europa der Verteidigung" eine autonome Strategie und eine Kapazität auf dem militärischen Feld zu legen, wird Macron vom Figaro wiedergegeben. (In diesem Kontext spricht er von einem strategischen Dialog Europas mit Russland, der "ohne Naivität und ohne Hast, geduldig" angegangen werden soll).
AKK: "Nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen"
Ihren Zuhörern in der Bundeswehr Hochschule in München erklärte die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer heute, dass Deutschland aufgrund seiner "Größe, unserer wirtschaftlichen & technologischen Kraft, mit unserer geostrategischen Lage & globalen Interessen" nicht einfach nur am Rande stehen und zuschauen könne. Ein weiterer Kernsatz, den Annegret Kramp-Karrenbauer über Twitter verbreitete, lautet:
Als Europa sind wir stark - wirtschaftlich, politisch und auch militärisch. Wenn wir es denn sein wollen und bestehende Hürden aus dem Weg räumen. Tun wir es nicht, verzwergen wir uns. Für mich ist klar: Das geht nur mit einem starken deutsch-französischen Tandem.
Annegret Kramp-Karrenbauer
Die vollständige Grundsatzrede der Verteidigungsministerin enthält noch weitere Ausführungen zu einer neuen, größeren und militärisch robusteren geopolitischen Rolle Deutschlands (auf die Reaktion von Außenminister Maas darf man gespannt sein). AKK folgt dabei der Spur, die der ehemalige Bundespräsident Gauck, ihre Vorgängerin von der Leyen und andere Politiker gelegt haben, die von "mehr Verantwortung" sprachen und damit mehr militärisches Engagement Deutschlands meinten. "Früher, entschiedener und substantieller einbringen", heißt das aktualisiert jetzt bei Kramp-Karrenbauer.
Interessant ist, dass sie dabei auch die Handelswege in Bezug zur Sicherheitspolitik bringt, was einem früheren Bundespräsidenten noch den Posten gekostet hat. Auch AKK bringt Trumps Position ins Spiel, um mehr Einsatz zu fordern:
Wir sind die Handelsnation, die von internationaler Verlässlichkeit lebt. Wir sind neben China führend in der internationalen Containerschifffahrt - und auf freie und friedliche Seewege angewiesen.
Und wir sind in der Mitte eines Europas, das von sicheren Grenzen und gleichzeitig kraftvollem Miteinander lebt - nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in Wissenschaft und Kultur, unserem gesellschaftlichen Leben.
Das gibt es nicht zum Nulltarif.
Lange haben andere den Großteil der dafür erforderlichen Energie aufgebracht, allen voran die USA.Derzeit schwinden dort aber der Wille und die Kraft, überproportionale Beiträge zu leisten. Und deswegen sind wir für die Zukunft gefordert.
Annegret Kramp-Karrenbauer
Nun hat der Einsatz der Bundeswehr im Pazifikraum, den Kramp-Karrenbauer andeutet, eine ähnlich realitätsferne, von luftigen Ambitionen getragene Note wie ihr Vorschlag zu Nordsyrien (AKKs Schnapsidee einer internationalen Sicherheitszone in Nordsyrien. Aber sie hat noch eine andere konkrete militärische Einsatzausweitung in petto.
Auf ihre selbstgestellte Frage, was das heiße, Verantwortung zu übernehmen, kommt sie auf den Einsatz in der Sahelzone zu sprechen. "Wir müssen aber auch etwas tun und Initiative ergreifen, damit aus Haltung und Interesse Wirklichkeit werden kann", sagt sie:
Dazu gehört es auch, unseren gegenwärtigen sicherheitspolitischen Status quo zu hinterfragen. So liegt z.B. zum Beispiel die Bekämpfung des Terrorismus in der Sahelregion vor allem in den Händen unserer französischen Freunde - obwohl wir in Deutschland gleichermaßen vom Terror und seinen Folgen bedroht sind.
Annegret Kramp-Karrenbauer
Man müsse die materiellen und die moralischen Lasten gemeinsam tragen, dazu gehöre "letztendlich auch die Bereitschaft, gemeinsam mit unseren Verbündeten und Partnern das Spektrum militärischer Mittel wenn nötig auszuschöpfen".
Robusterer Einsatz in der Sahel-Zone
Die Verteidigungsministerin fordert demnach einen robusteren Einsatz, der über die bisherige auf Ausbildung konzentrierte Bundeswehrmission in Mali hinausgeht. Dies passt wie angegossen zu dem Vorschlag ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly, die kürzlich die Einrichtung einer europäischen Eliteeinheit namens "Takuba" forderte, die die französische Militäroperation Barkhane in der Sahelzone ergänzen soll.
Das Vorhaben Parlys soll ab 2020 umgesetzt werden. Französische Elitesoldaten sollen zusammen mit europäischen Partnern, zu denen Deutschland in erster Linie gehört, in Mail für eine bessere Abwehr von terroristischen Gruppen sorgen.
Zwar spricht die französische Verteidigungsministerin, wie es sich in der offiziellen Sprachregelung, die keine Ängste hervorrufen soll, so gehört, lediglich davon, dass die europäischen Spezialtruppen den Militärs in Mali ihr "Know-How" zur Verfügung stellen, aber man wäre nicht wirklich überrascht, wenn es zu handfesten Kampfhandlungen kommt.
Das damit zu rechnen ist, zeigt die "Sicherheitssituation" in Mail und den umgebenden Sahelstaaten. Florence Parly spricht zurückhaltend von einer "abgeschwächten Sicherheitssituation" im Kontext des geplanten "Takuba"-Einsatzes. In der Realität gäbe es Gründe genug, um von einer grimmigen, sehr schwierigen Situation zu reden.
Derzeit werden regelmäßig (auch heute) Anschläge mit vielen Opfern aus der Sahel-Zone gemeldet. Bei einem IS-Anschlag am vergangenen Wochenende in Mali kamen 49 Soldaten der malischen Armee ums Leben. Ein französischer Soldat kam durch einen Sprengsatz in Mali ums Leben.
Zwar verzeichnet die französische Anti-Terror-Operation Barkhane aktuell einen Erfolg: Wichtiger Dschihadistenführer in Mali getötet. Der steht jedoch einer Entwicklung der letzten Jahre gegenüber, bei der Dschihadistengruppen und insbesondere die Großverbände al-Qaida und IS in Nordafrika und in der Sahel-Zone immens zugelegt haben.
Der Dschihadistenführer Abou Abderahman al Maghrebi gehörte zu den meistgesuchten Anführern, die sich im März 2017 trafen, um einen Zusammenschluss zu verkünden. Das Treffen der Männer, die zur al-Qaida und deren Untergruppen gehören sowie zu artverwandten Gruppierungen, verlief damals völlig ungestört.