Meinungsfreiheit siegt über "Anstand"

Amerikanisches Jugendschutzgesetz wird auch von Berufungsgericht als verfassungswidrig abgelehnt.

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Mit dem Child Online Protection Act wollte die US-Regierung 1998 Kindern den Zugang zu Porno-Sites erschweren. Die American Civil Liberties Union hatte gegen das Gesetz in Sorge um die Aufrechterhaltung der Meinungsfreiheit geklagt sowie eine einstweilige Verfügung erwirkt. Das US-Justizministerium legte daraufhin Berufung ein, die von einem Gericht in Philadelphia nun zurückgewiesen würde: Die Richter fürchteten, dass bei einer Durchsetzung der Verordnung im internationalen Cyberspace Einschränkungen der Meinungsfreiheit Überhand nehmen könnten.

Trotz einer wachsenden Zahl von Kinderportalen wie dem KinderCampus, 4Kidz.de sowie Bolt Media oder Alloy Online in den USA ist das Netz nach wie vor nicht immer stubenrein. Seit dem Boom des Web suchen Politiker daher händeringend nach Möglichkeiten, die Jung-Surfer von den Sexangeboten im Cyberspace fernzuhalten.

Die US-Regierung startete ihre erste Großinitiative mit dem Communications Decency Act (CDA). Der amerikanische Oberste Gerichtshof wies das Gesetz allerdings 1997 nach einer Klage der American Civil Liberties Union zurück, da das Gesetz zu breit angelegt war und jegliche sexuell bezogene Äußerung als "unanständig" verboten hätte.

Schon ein Jahr später glaubten die Abgeordneten ihre Hausaufgaben gemacht zu haben und verabschiedeten den spezifischer ausgerichteten Child Online Protection Act (COPA). Das Gesetz richtet sich gegen die Veröffentlichung "jeglicher kommerziell ausgerichteter Kommunikation", die Kinder und Jugendliche "schädigen" könnte, falls nicht Zugangskontrollen zu den entsprechenden Angeboten bestehen. Bei Nichtbefolgung der Anweisung drohen eine Geldstrafe von täglich bis zu 150.000 Dollar sowie sechs Monate Gefängnis und weitere Zivilstrafen. US-Präsident Bill Clinton unterzeichnete im Oktober 1998 die drastische Jugendschutzmaßnahme.

Doch die amerikanischen Politiker hatten nicht mit der ACLU gerechnet. Noch im selben Monat klagten die glühenden Verfechter der Meinungsfreiheit im Namen von 17 Individuen und Organisationen gegen die Vorschrift. Sie argumentierten damit, dass auch medizinische Beratungsstellen, Diskussionsforen rund um Sexualkrankheiten, Online-Buchshops, homosexuelle Nachrichten-Sites oder Kunstgalerien von dem Gesetz betroffen wären. Dadurch würde die von der US-Verfassung hochgehaltene Meinungsfreiheit eingeschränkt. Ein Bundesrichter verhinderte daraufhin schon kurze Zeit nach der Verabschiedung des Gesetzes seine Umsetzung mit einer einstweiligen Verfügung.

Das Justizministerium hatte daraufhin Berufung gegen die Entscheidung eingelegt. Sie wurde gestern nun von dem zuständigen Bundesgericht in Philadelphia mit der Begründung abgewiesen, dass das umstrittene Gesetz auch Auswirkungen auf nicht-pornographische Angebote gehabt und im Namen einer einzelnen Benutzergruppe das gesamte Internet eingeschränkt hätte.

Teufelskreis der Restriktionen befürchtet

"Wegen der Eigenart des Cyberspace, sich nicht einer bestimmten Geografie unterzuordnen, würde das Beharren auf bestimmten E-Community-Standards letztlich die Notwendigkeit mit sich bringen, dass jegliche Webkommunikation sich nach den restriktivsten Standards richtet", heißt es in der Urteilsbegründung der drei Berufungsrichter. Deswegen bestünden große Bedenken, dass das gesamte und erneut zu breit angelegte Gesetz nicht mit der amerikanischen Verfassung harmoniere.

Vertreter der ACLU feierten die Entscheidung als Sieg der freien Meinungsäußerung im Internet über die Zensurbestrebungen der Regierung. Ann Beeson, eine für die Bürgerrechtsorganisation tätige Anwältin, forderte die Clinton-Regierung und den Congress außerdem dazu auf, "das Buch zu schließen über diesem Anfangskapitel der Internet-Geschichte und die freie Rede online genauso zu begrüßen wie in jedem anderen signifikanten Kommunikationsmedium."

Die US-Regierung hat nun drei Optionen, wie Chris Hansen, ACLU-Anwalt, erläuterte: Sie könnte erneut Berufung einlegen und den Fall vor den Obersten Gerichtshof bringen oder das Gericht in Philadelphia bitten, die Durchsetzbarkeit des Gesetzes in einem gesonderten Verfahren zu prüfen. Am liebsten wäre es der Bürgerrechtsorganisation allerdings, wenn das amerikanische Justizministerium "die Niederlage eingestehen" und die Entscheidung akzeptieren würde. Arbeitslos dürften die Anwälte der ACLU aber auch in diesem Fall nicht werden. Schon droht weiteres Ungemach für die Meinungsfreiheit im Netz, diesmal unter dem Aufhänger des Kampfs gegen den "Hass" im Netz: Das Simon Wiesenthal Center, die Friedrich-Ebert-Stiftung sowie das Bundesministerium der Justiz haben sich zumindest zusammengetan, um "internationale Mindeststandards" zur Strafverfolgung extremistischer Äußerungen im Netz aufzustellen und die Grenzen der freien Meinungsäußerung auszuloten.