Mem_brane - Labor für mediale Strategien

Seite 4: Subjektives Nachwort

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Eigentlich, auch wenn es scheinbar unumgänglich ist, eine Menge komplizierter Worte zur Beschreibung derartiger Installationen und Konzepte aufzuwenden, ist das doch alles ziemlich einfach. Knowbotic Research ist ein interdisziplinäres Projekt, das sich mit Begriffen auseinandersetzt, welche die Wissenschaft verwendet, um die Welt zu erklären. Dazu ist es zunächst nötig, diese Wissenschaftsbegriffe in eine etwas populärere und sinnlichere Sprache zu übersetzen, die man auch Medienkunst nennen kann. Dabei entstehen Modelle von Wissenschaftsbegriffen. Ihr Publikum hat nun die Möglichkeit, sich mit einem Hypertext von Wissenschaftsbegriffen auseinanderzusetzen, ohne den Primärtext lesen zu müssen. Wenn wir, wie A.Broeckmann schreibt, in Gestalt des Internet, "... mit einer gesellschaftlichen und medialen Formation konfrontiert [sind], die Interventionspunkte anbietet, an denen sich neue Deterritorialisierungen initiieren lassen...", dann läßt sich bezogen auf Knowbotic anfügen, daß sie genau das bereits tun, nämlich Interventionspunkte ausfindig zu machen. Ihr Interventionspunkt war bisher die Wissenschaft als die im Augenblick stärkste Diskursmacht, die uns sagt, was "Wissen" überhaupt ist und wie wir es gewinnen können. Mit ihrer wissenschaftskritischen Auseinandersetzung übernimmt Knowbotic eine sehr wichtige Funktion, die man als "nach-aufklärerisch" bezeichnen könnte, ein Tanz mit dem Teufel des wissenschaftlichen Reduktionismus und seinen Objektivitätsdogmen. Allein der hohe Spezialisierungsgrad, der dafür erforderlich ist, läßt es naheliegend erscheinen, daß Knowbotic Research in diesem Tun fortfährt und sich von neomarxistischer Kritik nicht mürbe machen läßt. Daß ihre letzte Arbeit weithin mißverstanden wurde, nämlich von den Befürwortern ebenso wie von den Kritikern, ist sicherlich Grund genug, um über die gewählten Darstellungsweisen nachzudenken und vielleicht eine andere, weniger kühle künstlerische Syntax zu wählen. Letzteres mag eine rein subjektive Vorliebe des Schreibers sein. Und so ist es vielleicht angebracht, aus der journalistischen Distanz des "man könnte es so oder so sehen" herauszutreten. Ich sehe die "zweite Generation" an einem ganz notwendigen Scheidepunkt. Deshalb schrieb ich, sie hätte sich "in ein Zwischen-Aus" katapultiert. Entscheidend ist das Wort "Zwischen". Die Umstände, pragmatisch, kontextuell, zwingen die "Zweite Generation" zum Nachdenken und Überprüfen der Position. Das sollte weniger als ein Problem denn als ein Vorteil betrachtet werden. Es ist sicher besser, durch Druck von außen zu Veränderungen angeregt zu werden, als im Institutsspeck einer Professur oder eines Telekom-Forschungsprojekts auf die Frühpension hinzutüfteln. In unserer ach so schnellen Zeit neigen wir dazu, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Ein neues Phänomen taucht auf und alle (viele) glauben, alles (vieles) müsse jetzt neu gedacht werden. Dabei sind diese "neuen" Gedanken oft noch viel älter, als die vorletzt gedachten und stellen sich bloß in neuer rhetorischer Rüstung dar, wie wir es gerade mit dem Internet erleben, das sich scheinbar besonders gut eignet, überholte Positionen mit dem "Cyber!Neu!" Etikett wieder ans Licht zu holen (Beispiele: Neomarxismus, Transgenderismus, Körper, Stadt, u.a.).

Am Ende der Nachdenkperiode, welche die "zweite Generation" gerade durchlebt, könnte sich herausstellen, daß die eigenen Positionen, wenn sie Substanz hatten, durch einige tektonische Bewegungen an der Oberfläche diese Substanz nicht verlieren. Öffentlichkeitsstrategisch gesehen muß also bloß das rhetorische Werkzeug neu geschliffen werden, solange es intern klar ist, daß die Ideen-Konfiguration stimmt. Die "zweite Generation" ist also noch lange nicht vom alten Eisen, sie hat im Augenblick bloß an Biß und Öffentlichwirksamkeit verloren. Die wissenschaftskritische Kunst von Knowbotic Research ist von vorneherein elitär, nur einem kleinen Kreis zugänglich und von geringem praktischen Wert. Das heißt aber nicht, daß sie von keinem Wert wäre. Sie erfüllt eben keine kurzfristigen utilitaristischen Ansprüche, wie sie gerade in Zusammenhang mit neuen Technologien so oft erhoben werden. Sie hat jedoch diskursiven Biß, d.h. die Kraft, das Denken zu verändern und den Blick auf sehr grundsätzliche Dinge zu lenken, die meist unhinterfragt bleiben. Damit erfüllen sie hervorragend die Voraussetzungen, beim nächsten Sinneswandel des Zeitgeists wieder als ganz große Kunst hochstilisiert zu werden (hoffentlich gibt ihnen dann niemand eine Professur). Daß sie sich in dieser kritischen Phase nicht in den Elfenbeinturm ihrer technokunstwissenschaftlichen Spezialisierung zurückziehen, sondern die Krise mit Mem_brane in öffentlicher Form ausdiskutieren, spricht sehr für Knowbotic. Schließlich und nicht zuletzt sollte gesagt sein, daß nicht jeder alles tun, alle kulturellen Normen und Wertvorstellungen erfüllen kann und daß wir froh sein können, wenn die streitfreudigen Knowbotics einen Teil, und keinen leichten, der Arbeit übernehmen. Deshalb ist es für andere Künstler genausowenig verwerflich, das Visuell-Gestalterische ganz aufzugeben und sich aufs Schreiben von Netzpamphleten zu verlegen. Der Kunstbegriff ist so fluktuierend geworden, die Stellung der Kunst in der Gesellschaft so problematisch, daß sich sowohl das politische als auch das wissenschaftliche Feld bestens eignen, die Negativbelegungen des Begriffs Kunst zu umschiffen und produktivere, im Sinne der kulturellen Dynamik, Querverbindungen herzustellen.
Diese interdisziplinäre Idee ist jedoch (aus dem Kunstblickwinkel betrachtet) genauso alt wie der Begriff Medienkunst. Was die interdisziplinäre Rhetorik in den letzten zehn Jahren immer wieder wohlweislich ausgeklammert hat, sind die Probleme, die den neuangepeilten Bereichen (Politik, bzw. "Das Soziale", Wissenschaft) selbst innewohnen. Wenn sich Künstler ernsthaft mit den Bereichen auseinandersetzen, werden sie gerade auch als Quereinsteiger sehr schnell auf diese betriebsinternen Probleme stoßen. Im Versuch, verantwortungsvoll damit umzugehen, kann es schließlich dazu führen, daß die Künstler quasi völlig in den neuen Bereichen aufgehen, zu Forschern oder Politaktivisten werden. Das wäre an sich nicht verwerflich, birgt aber die Gefahr in sich, von diesen mächtigen Systemen verschluckt und damit einiger der besten künstlerischen Waffen beraubt zu werden:der absichtlichen Polemisierung und Differenzbildung, der Übersteigerung, des Hype, der Legendenbildung - kurz, aller jener Mittel, die geeignet sind, kurzfristig und ohne eigene Medienmacht eine größere Öffentlichkeit herstellen zu können. "Gute Künstler" sind nicht "gut" im Sinne einer qualitativen Wertung ihrer Arbeit nach irgendeinem objektivistischen Schema, sondern gemessen am Verfahren, mit dem sie es verstehen, "ihre" Themen an die Öffentlichkeit zu bringen. Das Verfahren selbst kann jedoch so gewählt sein, daß es völlig außerhalb des konventionellen Kunstbetriebs liegt. Es geht also darum, die Kunst zu verlassen, um wieder zu ihr zurückzufinden. Als "schlechte Kunst" nehme ich subjektiv wahr, wenn Künstler versuchen, Themen von allgemeiner Relevanz zu besetzen, um sie dann mit konventionellen Methoden wieder in Kunsträume zurückzuführen. Dies wäre nicht prozedural gedacht und ist im Ergebnis weder ein Gewinn für die Themen noch für die Kunst und in der Rezeption meist so langweilig wie ein AI-Informationsstand auf einem Stadtfest. Aus diesem Blickwinkel ist der Begriff "interdisziplinär" bereits genauso korrumpiert und somit unbrauchbar wie "Kunst". Denn allzuoft wird interdisziplinär in einer einfachen Gleichung mit ist-gleich "neu" ist gleich "gut" in Verbindung gebracht. Doch bei "neu" und "gut" fragt sich immer, für wen neu und für wen gut. Institute wie das ZKM in Karlsruhe tragen schon als Gründungsabsicht eine Verbindung von "interdisziplinär" mit industriefreundlich und staatstragend in sich. Und das ist auch nur ein Beispiel von vielen und mit seiner protzigen Namensgebung "Zentrum für Kunst und Medientechnologie" schnell zur Hand. Die Rhetorik der Interdisziplinarität ist die Sprache des Infokapitalismus und der neuen virtuellen Klasse. Sie steht heute den großen Institutionen wesentlich besser zu Gesicht, als den kleinen unabhängigen Gruppierungen. Deshalb schlage ich vor, die Kunst als einen relativ gemütlichen und relativ sicheren Ort keinesfalls aufzugeben. Ebenso wie Interdisziplinarität kann beides ausgeübt werden, ohne die Begriffe selbst immer im Mund zu führen.