Merkel und Macron: Bloß die USA nicht verärgern

Iranische Reaktion auf das Ende des JCPOA. Der iranische Präsident Rohani am Sprecherpult, links von ihm Außenminister Zarif. Foto: Screenshot/Press TV

Trumps einseitige Aufkündigung des Iran-Abkommens führt die Grenzen der europäischen Souveränität vor

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Merkel hatte vor einem Jahr, am 28. Mai 2017, in einem Truderinger Bierzelt gesagt, dass sich etwas ändern müsse: "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt."

Ihre Bierzeltrede fand europaweit Beachtung, was daran lag, dass sie mit Donald Trump zu tun hatte, der damals noch nicht lange im Amt war und für die europäische Öffentlichkeit eine ungewohnt deutliche Wortwahl an den Tag legte: "The Germans are bad, very bad", hatte er zuvor auf einem Treffen mit EU-Spitzen in Brüssel gesagt.

Merkel reagierte darauf und was sie dann im Truderinger Bierzelt sagte, erregte besonders Aufmerksamkeit: "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen". Und: "Aber wir müssen wissen, wir müssen selber für unser Schicksal kämpfen."

Ein Jahr später gibt es nun die Gelegenheit, genau zu sehen, wie es um die Eigenständigkeit der Europäer steht. US-Präsident Trump kündigte am 8. Mai 2018 den Ausstieg der USA aus der Atomvereinbarung mit Iran an und am selben Abend noch teilte der französische Präsident Macron im Namen der Regierungschefs in Großbritannien und in Deutschland mit, dass sie diesen Schritt bedauern.

Dem folgten tags darauf Absichtserklärungen, die nahelegen, dass die drei Länder ungeachtet der Entscheidung der USA an der JCPOA-Vereinbarung mit Iran festhalten wollen. Merkel verknüpfte dies mit ihrem früherem Pochen auf mehr Eigenständigkeit in Europa.

Merkel sagte, neben Deutschland hätten Frankreich und Großbritannien den Rückzug der USA aus der mühsam verhandelten Vereinbarung mit "Bedauern" und "Sorge" zur Kenntnis genommen. Die Vereinbarung sei eine wichtige Säule, die nicht infrage gestellt werden sollte. Zugleich habe die Entscheidung Trumps abermals gezeigt, dass Europa gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik in Zukunft mehr Verantwortung übernehmen müsse.

Die Zeit

Zwar ging der iranische Präsident Rohani auf die Möglichkeit ein, dass die Vereinbarung mit 4+1 (China, Russland, Frankreich, Großbritannien plus Deutschland) ohne die USA fortgesetzt werden könnte, wie gemeldet wird.

Aber das ist eine Geste für die Galerie; Rohani steht selbst nun unter Druck und kann über internationale Anerkennung, geteilten Ärger über das geplatzte Abkommen, obwohl die IAEA-Inspektoren keine Verletzung des Abkommens durch Iran feststellten, Öffentlichkeitspunkte sammeln.

Realistische Einschätzungen

Doch schon Tage vor der Entscheidung Trumps hatte Irans Außenminister Rohani gezeigt, dass er sich nichts vormacht. Das Abkommen steht und fällt mit der Unterstützung der USA. "Wenn die USA die Vereinbarung beerdigen, dann sei es sehr unwahrscheinlich, dass Iran die Vereinbarung zusammen mit den anderen Unterzeichnern weiter respektiere", sagte er in einem Interview Mitte April (siehe Überlebt die Atomvereinbarung mit Iran?).

Sein oberster geistlicher Führer, Ayatollah Khamenei, wurde, was die Rolle der Europäer angeht, ganz deutlich:

Ich traue den drei EU-Ländern nicht. Wenn die Regierung (gemeint ist die iranische Regierung, Einf. d.Verf.) einen Vertrag mit ihnen machen will, sollten sie Garantien verlangen, ansonsten werden diese es genau so machen wie die USA, wenn es keine definierte Garantie gibt. Der JCPOA wird nicht fortgesetzt.

Khamenei

Welche Grenzen der europäischen Eigenständigkeit bei ihren Geschäften mit Iran von den USA gesetzt werden und wie wenig entwickelt Gegen-Mechanismen sind, zeigt sich in einem Gespräch, das der Deutschlandfunk mit Volker Treier von der Deutschen Industrie und Handelskammer (DIHK) geführt hat. Das Problem zeigt sich schon im Titel: "Das US-Sanktionsrecht kann Unternehmen empfindlich treffen".

US-Botschafter Grenells Empfehlung zu deutschen Geschäften mit Iran

DIHK-Hauptgeschäftsführer Volker Treier ärgert sich in dem Gespräch über die starke Empfehlung des US-Botschafters Richard Grenell an die deutsche Wirtschaft, sofort die Geschäfte mit dem Iran runterzufahren. Zugleich stellt Treier die Machtverhältnisse klar. Sobald ein Unternehmen im Dollar-Geschäft ist, haben die USA einen enormen Hebel.

Das ist dieses sperrige Wort der Exterritorialität der US-Sanktionen, weil Airbus Beziehungen hat mit den USA - völlig zurecht, das ist eine gute Sache - und dementsprechend sind sie verwundbar, ist Airbus verwundbar, wie viele andere Unternehmen auch, bis runter in den Mittelstand hinein. Wenn sie mit den USA Beziehungen haben, dann kann sie das US-Sanktionsrecht ganz empfindlich treffen, mit hohen Strafen. Finanzinstitute können da ein ganz übles Lied davon singen.

Volker Treier

Die Politik, so macht Treier im Gespräch deutlich, ist noch nicht so weit, um die Unternehmen oder Banken vor solchen Handelsbeschränkungen über Sanktionen zu schützen.

Es sei die Frage, welchen Rahmen die Politik da setzen kann. Der andere - europäische - Rechtsrahmen alleine genügt nicht, ist aus den Erklärungen des DIHK-Hauptgeschäftsführers herauszulesen. Hier müsse Politik eingreifen.

(…) hier müssen wir sicherlich auch noch nachjustieren, damit wir nicht durch neu erhobene, wieder eingeführte und sogar verschärfte, was auch immer das dann heißt, Sanktionen der USA ins Visier kommen, dass Strafen womöglich lauern, die nichts mit unserem Rechtsrahmen zu tun haben. Hier, glaube ich, braucht die deutsche Wirtschaft auch von der Politik ein konzertiertes Vorgehen. Das ist jetzt auch ermutigend, wie sich deutsche und andere europäische Politiker jetzt geäußert haben. Aber wir müssen vielleicht auch darüber nachdenken, wie wir andere Formen des Schutzes der Geschäfte, die ja angebahnt wurden, weil es die Aufhebung der Sanktionen gab, wie wir diesen Schutz hinkriegen.

Volker Treier

Auch in Frankreich wird mit Verärgerung auf die Rolle der USA verwiesen.

Weit vom Bierzelthimmel entfernt

Es sei inakzeptabel, dass sich die USA als Wirtschaftsgendarm des Planeten aufspielen, tönte Wirtschaftsminister Bruno Le Maire nach Trumps JCPOA-Kündigungserklärung und Sanktionsandrohung. Man erinnert sich an die Strafzahlungen, welche die französische Bank BNP Paribas 2015 wegen Sanktionsverletzungen zu zahlen hatte: 9 Milliarden Euro.

Die Europäer sind, wie sich das nun deutlich bei Trumps unilateraler Kündigung der Iran-Vereinbarung zeigt, in ihrer tatsächlichen Politik weit von einer Souveränität entfernt, die Merkel in den Bierzelt-Himmel gemalt hatte. Dabei geht es um den politischen Willen. Man duckt sich noch immer lieber aus Angst vor Washington.

Beide, Merkel wie Macron, machen sich nun für Nachverhandlungen mit Iran stark, was einen gewissen Widerspruch zur Behauptung Merkels (siehe oben) darstellt, wonach die Vereinbarung "nicht infrage gestellt werden sollte". Sie lassen sich damit einspannen.