Merkel vorerst am Ziel

Während Merkel erwartungsgemäß zur Kanzlerkandidatin der Union gekürt wurde, bleibt das Neuwahlprozedere weiter offen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Zu anderen Zeiten wäre es eine kleine Sensation gewesen: die CDU/CSU nominiert Angela Merkel einstimmig zur Kanzlerkandidatin für die wohl im Herbst stattfindenden Neuwahlen. Doch am Montag rückte die Meldung angesichts des verlorenen EU-Referendums in Frankreich eindeutig in den Hintergrund. Schließlich war die Nominierung nur noch eine Formsache.

Angela Merkel wurde heute zur Kanzlerkandidatin nominiert. Bild: CDU/CSU-Fraktion

Seit letzter Woche wurde Merkel als Kanzlerkandidatin gehandelt. In fast allen Medien wurde ihre Biographie von allen Seiten analysiert. Mit Merkels Nominierung ist ein jahrelanger unionsinterner Streit vorerst beendet. Denn eigentlich hatte Merkel schon bei der letzten Bundestagswahl ihr Interesse an der Kanzlerkandidatur bekundet, konnte sich aber parteiintern gegen den CSU-Vorsitzenden Stoiber nicht durchsetzen. Damals hatte schließlich Merkel selbst Stoiber die Kanzlerkandidatur angetragen. An diesem Montag war es genau umgekehrt. Stoiber schlug Merkel als Kanzlerkandidatin vor. Dabei mag es sich um einen formalen Akt handeln, der allerdings auch die momentanen Machtverhältnisse klarstellt. Merkel hat sich vorerst durchgesetzt, doch ihre parteiinternen Gegner dürften nur auf ihre ersten Fehler warten.

Neben Stoiber gibt es noch einige weitere CDU-Politiker, die ihre Karrierepläne durch Merkels Aufstieg gefährdet sehen und das in der Vergangenheit auch immer wieder betonten. Doch diese CDU-Granden, an vorderster Stelle Roland Koch und Friedrich Merz, halten sich zur Zeit zurück. Wenn Merkel bei den Wahlen erfolgreich sein sollte, werden sie sich wahrscheinlich um Posten in ihrem Kabinett bemühen. Doch jede Schwäche der Kandidatin dürfte von ihnen schnell registriert und ausgenutzt werden. So könnte eine längere Debatte über Steuerkonzepte und Arbeitsmarktreformen erste Kratzer am Image der Kandidatin hervorrufen. Eine große Koalition nach den Bundeswahlen würde von den parteiinternen Merkelgegnern schon als Niederlage angesehen. Schließlich lautet das Wahlziel der Unionsparteien, die Bundesregierung gemeinsam mit der FDP abzulösen.

Währenddessen darf über das Prozedere der Neuwahlen weiter spekuliert werden. Kanzler Schröder will erst am 1.Juli vor dem Bundestag offenbaren, wie er die Parlamentsauflösung bewerkstelligen will. Das geschehe aus dem Respekt vor dem Parlament, heißt die entsprechende Sprachregelung aus dem Regierungslager. Dabei wollte man wohl eher nicht zugeben, dass man noch keine Lösung hat. Denn weder die SPD-Linken noch die Grünen sind zu einem Koalitionsbruch bereit. Dabei waren die Grünen in den letzten Tagen kräftig provoziert worden.

Die Regierung steht vor einem Dilemma, da sie für eine Neuwahl das Vertrauen der sie tragenden Fraktionen verlieren. Im Wahlkampf aber macht es sich nicht gut, wenn die Opposition der Regierung vorwerfen kann, dass sie nicht mal mehr ihr Lager zusammen halten könne. Das Hin und Her um die Neuwahlen lässt aber genügend Spielraum für unerwartete Entwicklungen. Schon haben einzelne Bundestagsabgeordnete nicht ausgeschlossen, die Neuwahlen gerichtlich verhindern zu wollen. Träte das ein, wäre die Regierung im wahrsten Sinne des Wortes zum Regieren bis zum nächsten Jahr verurteilt. Die Union kann sich dann zumindest trösten, dass sie die Kanzlerkandidatenkür schon hinter sich hat.