Merkel will nur auf eine Billion hebeln
Nach zwei Jahren hat auch die Bundeskanzlerin begriffen, dass Griechenland einen Schuldenschnitt von mehr als 50% braucht
Nun hat sich auch in Berlin das durchgesetzt, was seit zwei Jahren teuer von der Bundeskanzlerin Angela Merkel, Finanzminister Wolfgang Schäuble und den jeweiligen Wirtschaftsministern der FDP verzögert wurde. Stets hat man in Berlin versucht, sekundiert aus Paris, an Symptomen herumzudoktern und ist mit dieser Politik teuer an die Wand gefahren. Nun hat Merkel vor, den bisherigen temporären EU-Rettungsschirm (EFSF) auf eine Billion Euro aufzuhebeln. Vor dem EU-Gipfel am Mittwoch hat Merkel die Fraktions- und Parteichefs am späten Dienstag über Details informiert, wonach der "Haircut" (Schuldenschnitt) bis zu 60 Prozent betragen soll. Am Mittwoch soll nun doch der gesamte Bundestag über das Vorhaben abstimmen.
Die schwarz-gelbe Regierung in Berlin hat ihr Waterloo erlebt. Ihre gesamte Unfähigkeit hat sich nun offenbart. Mit dem Berliner Schlingerkurs wurde zwei lange Jahre teuer eine Griechenland-Rettung verhindert. Merkel und Schäuble sind mit dem Versuch an die Wand gefahren, der neuerlichen Banken-Rettung den Anstrich einer Griechenland-Rettung zu geben. Griechenland wurde derweil ruiniert. Es war klar, dass der Versuch scheitern würde, sich mit vielen Milliarden Zeit bis 2013 zu erkaufen. Wenn der temporäre Krisenmechanismus dann zum Normalzustand mutiert, sind im "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM) auch Staatspleiten mit einem Haircut vorgesehen. Bis dahin wollte man den Banken weitere Zeit zum Rückzug aus Griechenland zu geben, den vor allem deutsche Institute gegen einstige Abmachungen längst angetreten haben.
Derweil wurden den Griechen immer neue Schulden aufbürdet, obwohl sie schon die bisherigen Zinsen nicht mehr bezahlen konnten. Die Sparprogramme, mit der das Land angeblich konsolidiert werden sollten, haben es tief in die Depression und an den Rand des Chaos gedrückt. War die Wirtschaftsleistung schon 2010 um 4,5% geschrumpft, hat die Rezession 2011 weiter Fahrt aufgenommen und die Regierung erwartet, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sogar mehr als 5% schrumpfen werde (Mögliche Griechenland-Pleite sorgt für Panik). Dazu hat man es derweil geschafft, dass auch Irland an seiner Bankenrettung abgestürzt ist, Portugal regelrecht abgeschossen wurde und sogar die Euro-Schwergewichte Spanien und Italien an den Rand des Absturzes geraten sind.
Das sind die Ergebnisse der Nein-Non-Achse zwischen Merkel und dem Franzosen Nicolas Sarkozy. Da inzwischen die Bankenkrise 2.0 auf der Tagesordnung ist (man hatte sie nur mit hohen Subventionen wegretuschiert), geht man nun endlich zaghafte Schritte in die richtige Richtung. Von der Berliner "freiwilligen Beteiligung privater Gläubiger" ist nun nichts mehr zu hören, mit der man die Banken mit etwa 12% beteiligen wollte.
Wie gehebelt werden soll, ist weiter unklar
Inzwischen hat Merkel einige Details geliefert, wie sie mit Sarkozy ihre Euro-Rettung retten will, und die die Fraktions- und Parteichefs teilweise informiert. Nach dem Treffen gaben die beiden Grünen-Führer Cem Özdemir und Jürgen Trittin bekannt, dass der Schuldenschnitt zwischen 50 und 60% betragen soll. Wie schon Schäuble kürzlich angedacht hat, soll nun der European Financial Stability Facility (EFSF) auf ein Volumen von einer Billion Euro gehebelt werden. Damit wird klar, dass Berlin die Versicherungslösung anstrebt. Die Billion ergibt sich aus dem noch vorhandenen Geld im EFSF-Fonds, denn von den 440 Milliarden Euro ist ein Teil schon für die Nothilfe Irlands und Portugals weg. Bei einer geplanten Absicherung von 20-30% kann nur auf eine Billion gehebelt werden.
Als weitere Details wurde bekannt, dass die Banken eine höhere Kapitalausstattung benötigen. Dafür sollen sie in ganz Europa über Steuergelder mit 100 Milliarden Euro rekapitalisiert werden. Die Kernkapitalquote soll nun auf 9% steigen. Das ist deutlich höher als die, die als sogenannte "Finanzmarktregulierung" erst vor einem Jahr mit "Basel III" beschlossene Quoten. Ausreichend ist aber auch das nicht. Man muss nur in die Schweiz schauen, wo 10% verlangt werden. Man könnte sich aber auch ein Beispiel in der EU nehmen. Wenn in Dänemark schwache Kreditinstitute abgewickelt werden, verlangt man dort sogar 16%.
Dass nur auf eine Billion gehebelt werden kann, liegt daran, dass sich Merkel im Streit mit Sarkozy durchgesetzt hat. Der wollte dem EFSF eine sinnvollere und billigere Refinanzierung über die Europäische Zentralbank (EZB) ermöglichen. Doch so hat Merkel das nächste Problem geschaffen: Eine Billion wird keinesfalls reichen, wenn Berlusconis Chaos-Italien abstürzt. Die Billion reicht sogar nicht, wenn Spanien dabei nicht mit nach unten gerissen würde (was wahrscheinlich ist).
Weil die Lage inzwischen dramatisch ist, wurde am Sonntag auf dem Palaver-Gipfel in Brüssel zum Teil alle Etikette über Bord geworfen. Mit Berlusconi wurde dabei auch hart ins Gericht gegangen. Von ihm werden nun definitive Maßnahmen verlangt. Er sollte in drei Tagen gegen seine Koalitionspartner und die Opposition das durchsetzen, was er in Monaten nicht erreicht hat oder wollte. Die Lega Nord ist zum Beispiel aus wahltaktischen Gründen strikt dagegen, das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre anheben. Umberto Bossi hat inzwischen wieder einmal erklärt, dass die Regierung in Italien in Gefahr sei, nachdem eine Sondersitzung des Kabinetts gestern Abend ergebnislos gescheitert war.
Merkel ist dagegen auch darin umgefallen, den Bundestag bei der neuen Entscheidung aushebeln zu wollen. Noch am Dienstag hatte ihr Regierungssprecher Steffen Seibert gesagt: "Ziel ist, dass dem Haushaltsausschuss rechtzeitig genügend konkrete Unterlagen vorliegen, um entscheiden zu können." Merkel hatte vor, einen der verschiedenen Hebelvarianten nur im Haushaltsausschuss abnicken zu lassen. Doch nun soll der gesamte Bundestag am Mittwoch über die Veränderungen am Euro-Rettungsschirm abstimmen. Das hatte Volker Kauder (CDU) gefordert. Der Unionsfraktionschef verwies auf die öffentliche Debatte in den vergangenen Tagen, weshalb die Frage "eine grundsätzliche Bedeutung bekommen" habe. Dabei meint er real den internen Streit. Zwar schießt diesmal die FDP nicht quer, denn FDP-Chef Rösler hat der Kanzlerin die Zustimmung zugesichert.
Aber es gibt die Abweichler in der Union und die haben schon jetzt ihr Nein angekündigt. Wie sich die sozialdemokratische und grüne Opposition verhalten wird, ist zudem unklar. Denn sie fühlen sich inzwischen von der Regierung getäuscht und haben sich nicht festgelegt. Dazu fehlen ihnen konkrete Vorgaben. "Wir sind bis heute nicht in der Lage, über konkrete Texte zu reden", erklärte der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, der sich deshalb außerstande sah, sich festzulegen. Unklar ist nämlich auch noch, wie gehebelt werden soll.
Steinmeier fordert, dass das bisherige deutsche Haftungsvolumen nicht über die beschlossenen 211 Milliarden Euro hinaus erweitert werden dürfe. Warum er Aufklärung über das erhöhte Ausfallrisiko will, bleibt aber sein Geheimnis. Denn das steigt auf alle Fälle. Die schwer angeschlagene Kanzlerin wird morgen um 12 Uhr mit in einer Regierungserklärung versuchen, für eine Mehrheit für ihre Pläne zu werben. Mit einer Zustimmung will sie dann am Abend nach Brüssel reisen. Dort soll der Merkel-Plan dann mit den Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone festgezurrt werden. Dass Merkel nun entweder in Berlin oder in Brüssel über die Stöcke stolpert, die sie sich selber in den Weg gelegt hat, ist nicht ausgeschlossen. Man darf gespannt sein.
Noch am Vormittag war Merkels Regierungssprecher davon ausgegangen, dass sich allein der Haushaltsausschuss mit den ergänzten Leitlinien auseinandersetzen würde. Er betonte, dass die deutsche Haftungsgrenze von 211 Milliarden Euro von den Neuregelungen beim EFSF "nicht berührt" werde.