Merricks - The Sound of Munich

Ciao, Ciao Disco Bum Bum

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Wenn nach dem Beitrag Münchens zur Weltkultur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gefragt wird, dann wird wohl allenthalben der Name Fassbinder genannt werden und danach ein grosses Loch klaffen. Kommen wir aber ein wenig runter vom hohen Ross der ernsten Kultur, werden wir staunend feststellen, daß München noch einen anderen signifikanten Beitrag zum Kulturgut des Planeten Erde geleistet hat: Münchner Disco Sound. Ab Mitte der siebziger Jahre, als München in Folge der Olympiade 72 zu boomen begann, die Schwabinger Amüsiermeile entlang der Leopoldstraße zum Reservat für Cabrio-Fahrer wurde und Hippies und Bohemians im Englischen Garten das nackte Sonnenbaden (legal) und versteckte Kiffen (illegal) durchzusetzen begannen, in dieser Zeit also war München auch eine Metropole der Pop-Kultur. Studiomeister wie Frank Farian und ihre Schützlinge, ob Bony M., Donna Summer oder Baccara produzierten hier ihre Songs, die in Millionenauflagen verkauft wurden und in Discos und im Radio bis heute gerne und oft gespielt werden. Und genau diesem Kulturgut widmet sich die aktuelle CD-Veröffentlichung der "Merricks" mit dem Titel "The Sound of Munich".

Shine on mighty Schwabylon

Merricks CD Cover mit dem "Schwabylon"

Schon das Cover ist Programm. Es zeigt das legendäre "Schwabylon", ein futuristisches siebziger Jahre Bauwerk, das den Phantasien eines bekifften Virtual Reality Architekten entsprungen zu sein scheint und damals Ton- und Filmstudios und verschiedene Unterhaltungsangebote bereithielt, unter anderem die berühmte Haifischbar, in der man neben echten Haien am Beckenrand Cocktails schlürfen konnte (Vorsicht!). Damian Hirsts Hai in Formaldehyd wird zum Epigonen.

Doch das ist heute alles Legende. Es kamen die ernüchternden achtziger Jahre. Das Schwabylon wurde mangels Rentabilität 1985 abgerissen (leider gibt es keinen Denkmalschutz für siebziger Jahre Architektur-Exzesse). New Wave und Punk-Epigonen ließen einen grimmigeren Ton in die Musik einziehen und wer da noch Münchner Disco Sound hörte, tat es besser im Verborgenen, um nicht als total uncool zu gelten.

Erst mit den Neunziger Jahren änderte sich das kulturelle Klima wieder. München ist zwar weit davon entfernt, zu den Höhepunkten seiner internationalen Anschlüsse zurückzufinden, doch über den Trend zu "Easy Listening" wurde die (absichtliche) Geschmacklosigkeit wieder bekenntnisfähig. Ob in der "Soul City" oder im Schummerlicht der "Egon Bar", so outet sich ein immer breiter werdendes Publikum zu den Disco-Stampfern der frühen Jugend (für Leute ab 30 und darüber), oder zu den geheimen Lieblingsfundstücken aus den Plattensammlungen der älteren Geschwister oder Eltern (für die Anfang-20iger).

Es gibt eben kaum eine Musik, die so animierend und offen hedonistisch ist, wie der Disco Sound der siebziger Jahre. Bei "Born to be wild", "Y-M-C-A" oder "I feel Love" zuckt Discogeschädigten das Knie. Erinnerungen an Dirty Dancing in kleinen Clubs werden wach.

Von der Synthese des Synthetischen

Die Merricks verschreiben sich dem Disco-Thema mit Gewissenhaftigkeit und Überzeugung. Das heißt auch, daß sie es sich nicht zu billig machen und einige "Funky Originals" einfach nachspielen würden. Man merkt, und soll wohl auch merken, daß man sich in einer Produktion der 90ziger Jahre befindet. Jedes Detail "Original" nachempfunden. Mit fast schon musik-archäologischer Gewissenhaftigkeit. Da wird der alte KORG-Synthesizer ausgemottet (und am Cover-Inlet abgebildet), die Bässe wummern im bekannten 4/4 Takt mit leichtem Polka-Einschlag und die (falschen) Streichersätze schmeicheln süsslich um die Ohren. Bei den Texten gab man sich alle Mühe, ja nicht intellektuell anspruchsvoll zu erscheinen.

Doch hier liegt das Schlüsselwort: Intellektuell. Die Merricks sind eben keine schmierigen Typen aus dem Schwabinger Nachtleben, die mal eben auf die Schnelle eine heisse Scheibe produzieren, um sich den nächsten Jaguar mit Extrabreitreifen und tiefgelegter Hinterachse leisten zu können, sondern brav werkende Kulturschaffende, die neben "Merricks" auch in verschiedenen anderen Projekten involviert sind.
Ihr Umgang mit dem "Sound of Munich" zeugt von großer Liebe zum Sujet, doch es bleibt ein auf weite Strecken steriles, wenn auch unterhaltsames Unterfangen. Der "als ob"-Effekt bleibt immer spürbar.

Besonders deutlich wird das am Gesang von Claudia Dimbath. Sie flötet sich mit lieblich hoher Stimme von Song zu Song, die auch bei Textstellen wie "als ich mich zum ersten Mal in deinem Reissverschluss verlor, da kam es mir ganz stark so vor, als flüsterte Gott etwas in mein Ohr" weder die Contenance verliert, noch (akustisch/virtuell) errötet, doch bleibt das immer zu kultiviert, zu brav. "Sorry, I am a Lady?" Wenn auch mehr Girlie-Spirit nicht schaden würde, so kommt der unterkühlte Gesangsstil besonders den langsameren Stücken zugute, die an der Grenzfläche zum anspruchsvollen Disco-Chanson entlangflanieren.

Doch so geschmäklerisch oder an Einzelleistungen festhaltend sollte man "The Sound of Munich" vielleicht gar nicht betrachten. Es handelt sich hier um ein ganz gut gemachtes und von der Idee her gut durchdachtes Konzept-Werk, das vor allem auch einen sozialen Anspruch vorbringt, die Orte des einstigen Millionengeschunkels zu besetzen, sie einer künstlerisch anspruchsvollen Pop-Haltung, die aus dem Underground kommt, einzuverleiben. Die Symbole einer untergegangenen Feierkultur als Tapete für Slacker-Schlaffies der Gegenwart. Die Künstlichkeit der Siebziger Jahre, erneut synthetisiert, bekommt bei den Merricks bodenhaftende Graswurzel-Beständigkeit.

Unterstrichen wird die konzeptuelle Note übrigens durch die Cover- und Inlet-Gestaltung von Moritz R. (Ex-Der Plan). Wer die Merricks Live erleben möchte, hat(te) dazu am 6.6.97 im Ultraschall Gelegenheit.

Merricks
The Sound of Munich
Sub Up Records, SubCD 30
Sub Up
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