Mexiko: Neue Rhetorik, alte Konzepte

Der neue Präsident Enrique Peña Nieto will die Oberschicht Mexikos politisch vereinen. Die soziale Misere und der Drogenkrieg werden andauern

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Mexikos neuer Präsident Enrique Peña Nieto hat sein Amt auf die gleiche Art wie seine Vorgänger angetreten: im Laufschritt und beschützt von Hundertschaften der Polizei. Der 46-Jährige sah sich schon beim Amtseid am Sonntag im Kongress mit massiven Protesten konfrontiert. Die Unruhen zum Amtsantritt waren symptomatisch für die politische Situation des südlichen US-Nachbarstaates.

Gustavo Madero Muñoz von der PAN, Präsident Enrique Peña Nieto, Jesús Zambrano Grijalva von der PRI und Cristina Díaz Salazar, Parteichefin der PRI, stellten am Dienstag ihren "Pakt" vor. Bild: PRI

Mexiko wurde in den vergangenen Jahren in einem blutigen "Krieg gegen den Drogenhandel" verstrickt, der die sozialen Probleme des Landes weiter verstärkt hat. Der Jurist und Ex-Gouverneur Peña Nieto verspricht, die bestehenden Probleme in den Griff zu bekommen. Als erste Amtshandlung schlug er zu Wochenbeginn einen Pakt für Mexiko zwischen den drei großen Parteien des Landes vor. Die Regierung Peña Nieto steht damit schon jetzt für den Versuch, die Oberschicht zu einen, während das Land selbst verfällt. Ein nachhaltiges Reformprojekt ist von dem 21. Staatschef des modernen Mexikos und seiner Partei der Institutionellen Revolution (PRI) kaum zu erwarten.

Die PRI hatte Mexiko von 1929 bis zum Jahr 2000 zunehmend autoritär regiert. Dass sie nun in erneut umstrittenen Wahlen an die Macht zurückgekehrt ist, trieb am Sonntag tausende politische Aktivisten auf die Straßen der Hauptstadt. "Mexiko ohne PRI" skandierten sie, und "Die PRI kehrt zurück - und mit ihr die Gewalt gegen das Volk". Insgesamt wurden bei den teilweise gewalttätigen Ausschreitungen vor dem Nationalkongress und im historischen Zentrum von Mexiko-Stadt 109 Personen festgenommen. 69 waren Mitte der Woche noch inhaftiert, was zu neuen Protesten führte.

In Erscheinung trat dabei vor allem die Protestbewegung YoSoy132, die sich für demokratische Reformen und Medienfreiheit in Mexiko einsetzt. Polizei und Justiz reagierten mit Härte: Mehrere der Inhaftierten wurden inzwischen wegen "Vergehen gegen den Frieden" und "bandenmäßiger Kriminalität" angeklagt. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International forderte indes faire Prozesse und eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse.

Schwere soziale Missstände

Peña Nietos Einstand wirft ein Schlaglicht auf die politische Krise Mexikos, der eine soziale Krise zugrunde liegt. Sein Vorgänger Felipe Calderón von der rechtsklerikalen Partei PAN hinterlässt ein Land mit 52 Millionen Armen bei einer Gesamtbevölkerung von 112 Millionen. Die Zahl spricht den Apologeten neoliberaler Freihandelsabkommen zwischen labilen Nationalökonomien Lateinamerikas und wirtschaftsstarken Industriestaaten Hohn. Seit Mexikos Eintritt in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) 1994 wurden zwar Milliarden umgesetzt, der Großteil der Bevölkerung aber wurde von der Wohlstandsentwicklung abgekoppelt. Rund 23 Prozent leben in besonders prekären Verhältnissen, stellte selbst die staatliche Statistikbehörde CONEVAL fest. Calderón hatte angesichts des Elends das Sozialprogramm Programa Oportunidades aufgestockt, dem jährlich umgerechnet fünf Milliarden US-Dollar zufließen, damit Kinder in den Genuss von Gesundheitsversorgung und Schulbildung kommen.

Das Hauptproblem Mexikos bleibt jedoch die enge Bindung an die kriselnde US-Wirtschaft durch das NAFTA. Im vergangenen Jahr konnte das Land bei fallender Tendenz gerade einmal ein Wachstum von 3,9 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verbuchen. Diese Zahlen reichen eindeutig nicht aus, um die soziale Lage der Bevölkerung zu verbessern. Die zuletzt an Stärke gewinnenden Proteste dürften also anhalten, zumal auch der Druck für politische Reformen wächst.

Vor diesem Hintergrund hat Peña Nieto zumindest rhetorisch einen Teil des Programms der politischen Linken angenommen und soziale Neuerungen in Aussicht gestellt. Die Ankündigungen stehen allerdings in einem deutlichen Widerspruch zu der strengen Haushaltspolitik und seiner Nähe zu IWF und Weltbank. Auch angesichts der Inflationsentwicklung sind die Spielräume für sozialpolitische Maßnahmen ohne grundlegende Reformen gering: Mexiko wies zuletzt mit 4,6 Prozent die dritthöchste Inflationsrate im OECD-Raum nach Ungarn (6,0 Prozent) und der Türkei (7,8 Prozent) auf.

Bild: YoSoy132

Undurchsichtiger Pakt für mehr Transparenz

Der von Peña Nieto am Montag vorgestellte "Pakt für Mexiko" ist offenbar der Versuch der politischen Klasse, angesichts stürmischer Zeiten die Stabilität zu wahren. Die PRI unterzeichnete das Abkommen, das deutliche Züge des 1977er Moncloa-Paktes in Spanien trägt, mit den Vorsitzenden der Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der linksliberalen Partei der demokratischen Revolution (PRD). Peña Nieto überhöhte das Abkommen quasi zu einer historischen Zäsur für Mexiko. Erstmals hätten sich konkurrierende politische Kräfte nicht durch äußeren Zwang, sondern aus freiem politischen Willen zusammengeschlossen, um das Land voranzubringen, sagte der 46-Jährige, der den Kontrakt als "großes soziales Abkommen" lobte. Nach Berichten mexikanischer Medien zählen zu den Zielen des Mehrparteienabkommens eine größere Rolle des Staates in der Wirtschaftspolitik, die Modernisierung der mexikanischen Volkswirtschaft und die Stärkung der sozialen Rechte der Bevölkerung. Gemeinsam strebe man auch die Entwicklung der parlamentarischen Demokratie und mehr Transparenz an, heißt es in dem Dokument.

Die mangelnde Transparenz bei der Erarbeitung sorgte indes für einen handfesten Streit in der oppositionellen PRD, deren Vorsitzender Jesús Zambrano das Abkommen offenbar ohne vorherige Debatte mit seinen Parteifreunden unterzeichnete. Der spanische Dienst der italienischen Nachrichtenagentur ANSA berichtete von "harten verbalen Auseinandersetzungen" zwischen Zambrano und anderen führenden Mitgliedern. Tatsächlich traten zwei Bundesabgeordnete, Gerardo Villanueva und Rodrigo Chávez, in Konsequenz aus der PRD aus, um sich der neuen linken Bewegung Morena anzuschließen. Diese Kraft war vor wenigen Wochen von dem Linkspolitiker Andrés Manuel López Obrador ins Leben gerufen worden. López Obrador hatte sich noch kurz zuvor im Namen der PRD für das Amt des Präsidenten beworben und war in einem umstrittenen Wahlgang nur knapp gescheitert. Die jüngste Entwicklung nun stärkt die Morena-Bewegung, die sich womöglich als neue linke Oppositionskraft neben der inzwischen deutlich etablierten PRD festigen könnte.

Geht der "Krieg gegen den Drogenhandel" weiter?

Aufmerksam beobachtet wird von Menschenrechtsgruppen der sogenannte Krieg gegen den Drogenhandel. Die militärische Strategie gegen die Kartelle hatte verheerende Auswirkungen für Mexiko: Seit Ex-Präsident Felipe Calderón nach seinem Amtsantritt 2006 rund 100.000 Armee- und Polizeiangehörige mobilisierte, sind den Kämpfen nach offiziellen Zahlen 47.500 Menschen zum Opfer gefallen, die meisten von ihnen Zivilisten. Menschenrechtsorganisationen sprechen sogar von bis zu 100.000 Toten. Dieser Entwicklung zum Trotz drängte bei Peña Nietos Amtseinführung Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos auf eine Fortführung der Militärstrategie.

Bei einem Treffen mit Generälen von Heer, Luftwaffe und Marine am Dienstag kamen von dem neuen Präsidenten Mexikos unterschiedliche Signale. Zwar hatte Peña Nieto eine schrittweise Rückführung der im Inneren eingesetzten Soldaten in die Kasernen angekündigt. Dies werde jedoch nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, fügte er bei dem Arbeitsfrühstück in der zentralen Militärschule des Landes hinzu. Die Armee würde auch von seiner Regierung als ein "Stabilitätsfaktor" gesehen, so der PRI-Politiker weiter.

Eine Legalisierung weicher Drogen wie Marihuana hatte Peña Nieto zuvor abgelehnt. Über einen entsprechenden Ansatz war gemutmaßt worden, nachdem er in einem Interview mit dem US-Nachrichtenmagazin Time die Legalisierung dieses Rauschmittels in den US-Bundesstaaten Colorado und Washington hervorgehoben hatte. Diese Schritte seien Anlass, um die Politik auch im Süden des amerikanischen Kontinents zu überdenken, so Peña Nieto. Später relativierte er diese Aussage.