Microsoft will den Quantencomputer demokratisieren
Ziel ist ein Quantencomputer, den auch Wissenschaftler ohne Kenntnisse der Quantenphysik nutzen können
Microsoft verstärkt sein Engagement, einen Quantencomputer zu bauen. "Wir sind an einem Wendepunkt", sagt Todd Holmdahl. Die Zeit sei gekommen, von der Forschung zur Entwicklung überzugehen, zitiert der offizielle Microsoft-Blog den Leiter von Microsofts Quantencomputer-Team. Die Softwareschmiede aus Redmond (US-Staat Washington) schließt somit zu Google, IBM und Intel auf, die ebenfalls versuchen, einen "skalierbaren", also ausbaubaren Quantencomputer zu bauen.
Die Redmonder haben dafür ein handverlesenes Team aus Quantenphysikern rekrutiert: Leo Kouwenhoven von der Technischen Universität Delft, Charles Marcus von der Universität Kopenhagen, Matthias Troyer von der ETH Zürich und David Reilly von der Universität Sydney.
Das Team umfasst nicht nur Experimentalphysiker mit Erfahrung im Aufbau von Quantenhardware. Sondern mit Matthias Troyer auch einen Entwickler und Tester von Software für Quantencomputer. "Wie beim Supercomputer brauchen nicht nur die Hardware, sondern auch optimierte Software", sagt der Schweizer Forscher.
Dies zeigt, dass Microsoft den Quantencomputer demokratisieren will. Ähnlich wie einst Bill Gates den PC mit der grafischen Benutzeroberfläche Windows für Millionen zugänglich gemacht hat, geht es nun offenbar darum, einen Quantencomputer zu bauen, den auch Wissenschaftler ohne Kenntnisse der Quantenphysik nutzen können. Er soll nicht, wie derzeitige Quantencomputer-Prototypen, nur unter anspruchsvollen Laborbedingungen, also unter perfektem Vakuum und bei tiefkalten Temperaturen funktionieren.
Der Bedarf ist da. Experten erwarten, dass Quantencomputer besonders gut darin sein werden, chemische Moleküle oder Festkörper zu simulieren, was etwa die pharmazeutische Wirkstoffsuche und die Entwicklung smarter Materialien oder widerstandsloser Stromleiter nach vorne katapultieren könnte. Ob sich dieses Versprechen allerdings in der Praxis erfüllt, muss sich noch zeigen. Microsoft spricht auf seinem Blog denn auch von einer riskanten Wette auf die Zukunft.
Unter Physikern ist darüber hinaus noch unklar, mit welcher Hardware so ein künftiger Computer überhaupt gebaut werden soll. Erst im Juni haben die erfahrenen Qauntencomputer-Pioniere Serge Haroche und David Wineland auf der Nobelpreisträgertagung in Lindau bekräftigt, das Feld befinde sich noch tief in der Grundlagenforschung.
So verfolgen Microsoft, Google, IBM, Intel und akademische Forscher denn auch sehr unterschiedliche Ansätze. Es geht dabei um das materielle Substrat, mit dem ein Qubit dargestellt werden soll. Qubits sind die kleinsten Speicherzellen eines Quantencomputers. Sie nehmen gleichzeitig beide digitalen Werte 0 und 1 an und nicht nur jeweils einen davon, wie die Bits eines herkömmlichen Rechners. Ein Qubit verarbeitet beide Werte simultan und nicht nacheinander wie der normale PC. Dieser so genannte Quantenparallelismus ist es, der Quantencomputern einen Tempovorteil geben soll.
Während viele Forscher Ionen (geladene Atome) als Qubit nutzen, wollen Google und IBM ihre Quantencomputer mit supraleitenden Leiterschleifen umsetzen. Microsoft wiederum setzt auf ein sogenanntes topologisches Qubit. Dieses ist bislang nur ein theoretisches Konzept, das ein besonders stabiles Qubit verspricht, das auch bei Raumtemperatur und Normaldruck funktionieren soll. Mit welcher Hardware Microsoft dieses topologische Qubit umsetzen will, teilt der Softwareriese indessen nicht mit. Wahrscheinlich ist, dass die nun rekrutierten Forscher ihre bisherige Laborerfahrung einsetzen werden und Nanodrähtchen aus Halbleitern oder aus mehreren Halbleitern zusammengesetzte Nanostrukturen verwenden werden, um ein solches Qubit zu erzeugen.
Warum Holmdahl schon jetzt vom Wendepunkt zur Entwicklungsarbeit spricht, erklärt sich vielleicht damit, dass Physiker den Begriff "Entwicklung" in einem früheren Stadium der Technikentwicklung benutzen als Ingenieure. Holmdahl ist nicht der einzige, der sich so äußert. Gemeint ist, dass die vermeintlich schwierigsten Hürden genommen sind. Die Grundbausteine eines Quantencomputers liegen vor. Viele Labors demonstrierten in den letzten Jahren, dass ihre Qubits und Kombinationen weniger Qubits tatsächlich funktionieren. Nun geht es darum, Rechner mit sehr vielen Qubits zu bauen und anschließend fehlerfrei am Laufen zu halten.
Zur Lösung hochkomplexer Probleme, an denen selbst die größten derzeitigen Supercomputer scheitern, braucht es sehr große Quantencomputer, Experten nennen als Größenordnung 1000 Qubits oder mehr. Doch der Ausbau ist sehr schwierig und im Grunde: Forschung. Denn Physiker wissen nicht, wie sich so große Quantensysteme verhalten. Das könnte eben nur ein Quantencomputer ausrechnen. Die Sache könnte also noch kompliziert werden. Und Überraschungen mit sich bringen. Sie könnte auch scheitern, wenn unerwartete Hürden auftreten.
Scott Aaronson von der Universität Texas in Austin fände das sogar spannender als einen funktionierenden Quantencomputer. Denn die geltende Quantentheorie kennt keine grundlegende Hürde für ein solches Gerät. Würde sich eine solche zeigen, wäre ein Tor zu neuer Physik geöffnet.