Middelhoffs Napster-Coup
Unklarheit über das Geschäftsmodell, Unsicherheit bei den Usern
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: Gestern verkündete Bertelsmann, mit Napster eine strategische Allianz einzugehen. Auch am Tag danach gibt es in der Netaudio-Community kaum ein anderes Thema. Noch bleiben viele Fragen offen, doch mit Bertelsmann steht der Gewinner des Coups bereits fest.
Thomas Middelhoff hat es also geschafft. Lange hat er davon gesprochen, noch vor seiner Ablösung als Bertelsmann-Chef Weltmarktführer im Musikbereich werden zu wollen. Doch dann fusionierte Universal mit Vivendi und AOL mit Time Warner. Um ein Haar hätten sie sich sogar noch die EMI einverleibt. Bertelsmanns Zusammenarbeit mit AOL wurde Stück für Stück reduziert, und Middelhoff fand sich plötzlich in der dritten Reihe wieder. Einzige Chance, doch noch mit den anderen mitzuhalten, schien nun ein spektakulärer Zukauf.
Zur Popkomm spekulierte die ZEIT bereits darüber, dass Middelhoff Napster kaufen wolle. Doch der stellte sich nur gut gelaunt der chronisch depressiven Branche, lobte Napster für seinen potentiellen Marktwert, tadelte ein bisschen wie ein nachsichtiger Onkel die Copyrightverletzungen und sprach noch etwas nebulös davon, dass man einfach ein anderes Geschäftsmodell für den Filesharing-Anbieter brauche. Wie dies aussehen könne, verriet er nicht.
Thunderball: Ein Projekt mit offenem Ausgang
Angeblich arbeitet man bei Bertelsmann schon seit einigen Wochen unter dem Projektnamen Thunderball an der Zusammenarbeit mit Napster. Die Details sind aber auch nach der gestrigen Entscheidung noch völlig offen. Dabei weiß Middelhoff, dass er über Napsters Zukunft entscheiden kann: Entwickeln die beiden Firmen in absehbarer Zeit eine juristisch wasserdichte Alternative zum jetzigen Filesharing-Modell, ergibt sich daraus auch eine Chance in den laufenden Prozessen gegen Napster.
Gelingt dies nicht, kann sich Bertelsmann immer noch durch die Einstellung der eigenen Klage und Investiontionen Namen und User-Datenbank sichern, ohne selbst in die juristische Schusslinie zu kommen. Denn auch das ist der Vorteil der jetzigen Bindung: Die juristische Verantwortung für alles Geschehene müssen Napster-CEO Hank Barry und seine Mannschaft ganz allein tragen. Doch wenn Bertelsmann tatsächlich einen nenneswerten Teil der 38 Millionen Napster-User für sich gewinnen will, sollte der Konzern nicht allein auf solcherart Leichenfledderei setzen. In ersten Erklärungen sprechen deshalb beide Seiten davon, die "Integrität" des Services zu bewahren. Wie aber könnte ein solches Business-Modell aussehen?
Der Multimedia-Buchclub
Hank Barry hat bereits erklärt, dass Napsters neues Business-Modell immer noch den Austausch von "Promotion-Content" erlauben werde. Schon heute besitzt Napster die Erlaubnis von mehr als 20.000 Musikern, ihre Musik legal über Napster zu verbreiten. Denkbar wäre nun, dass Bertelsmann dieses legale Filesharing mit Download-Verkäufen, CD-Handel oder begrenzten Abonnements kombinieren will. Dazu müsste der Konzern nicht einmal so sehr umdenken: Bereits jetzt erlaubt Napster neben dem ungesicherten MP3-Format auch den Austausch von Windows-Media-Dateien, die sich mit einem Digital-Rights-Managment-System verbinden lassen.
Für eine solche Datei kann beispielsweise festgelegt werden, dass sie nur 30 Tage abspielbar ist. Um das System auch für zahlende User attraktiv zu machen, könnte Bertelsmann einen Teil seines Katalogs im Windows-Media-Format kostenlos einspeisen und auch den Austausch dieser Dateien erlauben. Für den Rest der Inhalte würden die User dann zur Kasse gebeten. Napster wäre damit eine Art Bertelsmann-Buchclub für Musik, bei dem es als Lockangebot reichhaltige Prämien gibt. Bedingung für den Erfolg wäre allerdings, dass sich auch die anderen großen Labels an dem Modell beteiligen. Außerdem könnte dieses Napster-Modell dazu führen, dass einige User zwar zahlreiche kostenlose Goodies einkassieren, dann aber zum Download der kompletten Alben zu echten Filesharing-Diensten wie Gnutella oder Freenet wechseln.
Die Musik-Flatrate
Ein anderes Modell ist der Umbau von Napster zu einem echten Subscription-Service mit "All you can eat"-Appeal. Für einen Festpreis von beispielsweise 10 Dollar pro Monat könnten Napster-User dann so viel tauschen wie sie wollen. In den letzten Monaten haben alle großen Plattenfirmen Modelle für Subscription-Services entwickelt. Wie Universals unter dem merkwürdigen Namen "Jimmy and Doug's Farmclub" firmierendes Angebot basieren diese jedoch zumeist auf Streaming Audio-Angeboten und werden deshalb von den Napster-verwöhnten MP3-Downloadern ignoriert. Mit einem echten Download-Angebot hätte Bertelsmann hier mit einem Schlag die Nase vorn, müsste dazu aber alle bisherigen Online-Strategien radikal über den Haufen werfen.
Auch bei diesem Modell ist Bertelsmann allerdings auf die Zusammenarbeit mit den anderen Plattenfirmen angewiesen. Ob diese allerdings bereits sind, Bertelsmann ihre Titel zum Download zu lizenzieren, bleibt fraglich. Und selbst wenn sie sich dazu entschließen, könnten die Kartellbehören solch einem Modell ein schnelles Ende bereiten. Das Scheitern der Fusion von Time Warner und der EMI hat gezeigt, wie aufmerksam die Kartellwächter diesen Zukunftsmarkt beobachten.
Das Unbehagen der User
Am Tag danach herrscht vor allen Dingen bei den Usern große Unsicherheit. Während einige ihre Bereitschaft zu Abogebühren verkünden, beklagen andere den "Ausverkauf des Filesharing-Prinzips§. Kritisch wird auch hinterfragt, ob sich Bertelsmann wirklich zum Benutzen des MP3-Formats durchringen kann. Sollte Napster statt dessen auf Windows Media umschwenken, kündigen viele bereits den Wechsel zu freien Alternativen wie Gnutella oder Freenet an. In den Messageboards solcher Sites wie Dimension Music überwiegt derzeit jedenfalls eindeutig Skepsis und Zynismus. So bemerkt dort ein Poster:
"Sicheres Filesharing auf Abobasis? Sind die auf Crack?"
Doch solche Statements täuschen darüber hinweg, dass Filesharing längst nicht mehr das Hobby einer kleinen Community ist. Nach einer aktuellen Untersuchung der Firma PC Pitstop ist Napster auf 30 Prozent aller Internet-PCs installiert. Zum Vergleich: Den Netspace Navigator, einstmals Browser-Marktführer, haben 36 Prozent aller Surfer installiert. Außerdem erklärte Hank Barry vor wenigen Tagen, dass zu Spitzenlastzeiten eine Millionen User gleichzeitig auf Napster zugreifen. Der weltgrößte Onlinedienst AOL steht mit 1,5 Millionen simultanen Usereinwahlen nur unwesentlich besser dar. Bertelsmann müsste sich schon verdammt dumm anstellen, um daraus nicht ein rentables Geschäft zu machen - selbst wenn es mit dem ursprünglichen Napster nicht mehr viel zu tun haben wird.