Migranten aus Libyen: Italien und die "Schleusenwärter"

Seite 2: Die großen Einflussfaktoren

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Das habe stattdessen sehr viel mehr mit Schmuggler-Milizen an der Küste, wie z.B in Sabratha zu tun. Infolge der Milizen-Kämpfe untereinander und von Massenverhaftungen von Migranten seien die Zahlen zurückgegangen, so der AIIA-Vertreter.

Ein anderer Behördenvertreter verweist auf einen monatelangen Krieg von rivalisierenden Stämmen im Migrantenhandel-Verkehrsknotenpunkt Sebha als Hauptursache für den Rückgang der Migranten, die es nach Europa schaffen ("The war in Sebha is one of the main reasons for the decrease in migrants arriving in Europe", Captain Wajidi al-Bashir al-Montassir, Chef eines Migrantenlagers bei Tripolis).

Was sich auf See abspiele, sei nicht entscheidend, lautet der Tenor der Aussagen der beruflich mit der Migration in Libyen Befassten, die der Bericht zitiert.

Zwei libysche Schmuggler, die in der Wüste arbeiten, wodurch die Niger-Libyen-Route verläuft, gaben an, dass die Zahl der Migranten, die sie transportieren, während der letzten drei Jahre gleich geblieben ist. Ihren Schätzungen nach, kommen wöchentlich etwa 1.200 Migranten nach Libyen allein auf dieser Route. Die anderen aus dem Sudan oder Südalgerien sind gar nicht mitgerechnet.

IRIN

Auf das Phänomen, dass sich die Zahl der Migranten, die nach Europa kommen, entscheidend nach dem richtet, wie Milizen in Libyen entscheiden, kommt auch Luca Raineri in seiner aktuellen Studie "Die Erfüllung unplausibler Erwartungen. Die Beschränkung von Migrationsflüssen aus Libyen inmitten durchlässiger Grenzen".

Der wissenschaftlich arbeitende Raineri widerspricht auf gut lesbaren fünf Seiten mit Zahlen und Argumenten zwei Hypothesen: einmal, dass der Rückgang der Migranten, die von Libyen aus nach Italien kommen, von etwa 80 Prozent gegenüber dem Vorjahr mit Aktivität der Küstenwache zu erklären ist.

Zwei Hypothesen, zwei Widerlegungen

Zwar sei die Zahl der Migranten, die von der libyschen Küstenwache zurückgebracht werden, gegenüber dem Vorjahr beachtlich gestiegen, aber die Zahlen würden nicht annähernd den weitaus größeren Rückgang der Migranten erklären, die nach Italien gekommen sind (der Anstieg der zurück an die Küste gebrachten gegenüber den Vorjahreswerten bewegt sich die ersten vier Monate 2018 bei etwa plus 1.500; dagegen würden in diesem Zeitraum 32.000 weniger Migranten als 2017 verzeichnet, die in den ersten vier Monaten nach Italien kamen).

Als zweites nimmt sich der italienische Forscher die Hypothese vor, wonach die bessere Kontrolle an der südlichen Grenze Libyens für den Rückgang der von Libyen nach Europa gelangenden Migranten im Vergleich zum Vorjahr verantwortlich ist. Seine Widerlegung begründet Rainieri ebenfalls mit einer stupenden Kluft zwischen zwei Zahlenangaben.

So soll die Zahl der Migranten aus Nigeria, die den berühmten nigerischen Migranten-Verkehrsknotenunkt Agadez passieren, nach Angaben der IOM von 53.000 im Jahr 2017 auf 2.700 im Jahr 2017 gefallen sein. Gleichwohl sollen 2017 etwa 18.000 Nigerianer nach Italien gekommen sein, die in der Mehrheit angaben, dass sie die Route über Niger genommen hätten

Zwar, so schließt Rainieri, mag der Migrationsstrom aus Niger abgenommen haben, aber bei weitem nicht so deutlich, wie es die Zahlen der IOM (Internationale Organisation für Migration) aussagen, woraus folge, dass es eine Dunkelziffer gebe, die von der IOM nicht erfassst werde, weil man sich nur schwer ein offizielles Bild von versteckten, alternativen oder neuen Routen machen kann ("This data does not reflect overall entries or exits to and from Niger").

Rainieri zieht aus all dem die Folgerung, dass Milizen der neuen italienischen Regierung ein Zeichen ihrer Macht geben könnten. Dass es auf sie ankomme, um die Zahlen der Migranten zu regulieren. Ganz ähnlich wie es früher Gaddafi gemacht habe.

Aussichten: Weniger NGOs, trotzdem mehr Migranten - und mehr Tote?

Ob Rainieri mit seiner Einschätzung richtig liegt wird sich die nächsten Monate zeigen. Ebenso wie sich auch die hier mehrmals geäußerte Annahme zeigen wird, dass die NGO und andere Rettungsschiffe zwar im Kalkül des Schlepper-Verkehrs eine Rolle spielen (was etwa zu sehen ist bei der Benutzung von motorisierten Schlauchbooten und einer Tankfüllung, die nicht bis ans andere Mittelmeerufer reicht). Dass sie aber nicht der entscheidende Pullfaktor sind, zu dem sie erklärt werden. Man darf überdies gespannt sein, was sich aus den Ermittlungen in Italien gegen deutsche NGOs ergibt.

Dass die NGOs nicht mehr vor der libyschen Küste operieren, macht sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar. Es werden andere Boote benutzt, die Routen ändern sich und die Zahl der Toten steigt weiter?