Migration und Bildungschancen: Wo Schulpflicht nur noch Theorie ist

Symbolbild: Thomas G. / Pixabay Licence

Weder Pflicht noch Recht auf Schulbesuch in allen Bundesländern gewährleistet. Betroffen sind zugewanderte und geflüchtete Kinder. Vor den Folgen wird gewarnt.

Im Normal drohen Eltern in Deutschland Bußgelder, wenn sie nicht dafür Sorge tragen, dass ihre schulpflichtigen Kinder regelmäßig am Unterricht teilnehmen. Ab dem vollendeten 14. Lebensjahr können Jugendliche selbst belangt werden, wenn sie der insgesamt mindestens neunjährigen Schulpflicht nicht nachkommen. Die Höhe der Bußgelder variiert zwischen den Bundesländern.

Allerdings gilt die Schulpflicht in der Praxis nicht für alle Kinder gleichermaßen – und auch das "Recht auf zukunftsfähige, diskriminierungsfreie schulische Bildung und Erziehung", wie es zum Beispiel im Berliner Schulgesetz steht, gilt für viele nur theoretisch.

Fünf Bundesländer können Schulpflicht nicht umsetzen

Fünf Bundesländer können die Schulpflicht aufgrund von Kapazitätsproblemen nicht umsetzen. Dies ergab eine Umfrage des Magazins stern bei den Kultusministerien. Tausende Familien, die in den letzten Jahren zugewandert oder nach Deutschland geflüchtet sind, warten demnach auf Schulplätze.

Allein in Berlin seien nach Angaben des Senats für Bildung schätzungsweise tausend Kinder betroffen. Die Lage ändere sich ständig durch den Zuzug, heißt es in dem Bericht. Über die Aufnahme entscheiden demnach die Schulträger, in der Regel die Bezirksverwaltungen, die allerdings teilweise nicht genügend Plätze in den Willkommensklassen ihrer Schulen anbieten können.

Besser Containerschulen als gar kein Unterricht?

In einer großen Sammelunterkunft in Tegel würden mehr als 250 Schülerinnen und Schüler in "Willkommensklassen" auf dem Gelände der Unterkunft unterrichtet, eine ähnliche "Containerklasse" soll im neuen Schuljahr auch in der Unterkunft auf dem Tempelhofer Feld unterrichtet werden.

Der Flüchtlingsrat kritisiert jedoch solche "Lagerschulen" als ausgrenzend. Der Bildungsforscher Aladin El-Mafaalani warnt allerdings vor zu langen Wartezeiten und versäumtem Unterrichtsstoff von mehr als einem Jahr.

Versäumtes Schuljahr erschwert Werdegang zur Fachkraft

"Diese Zeit lässt sich nicht mehr aufholen", sagte der Soziologe dem stern. Demnach entscheidet sich gerade, wie die Chancen der betroffenen Kinder und Jugendlichen stehen, später einmal zu den dringend gesuchten Fachkräften zu gehören.

In Brandenburg soll die Anzahl "zeitweilig unversorgter Schülerinnen und Schüler" nur im "einstelligen bis niedrig zweistelligen" Bereich liegen, in Thüringen ist von exakt 146 Betroffenen die Rede. Als Gründe werden Lehrermangel und fehlende Raumkapazitäten, vor allem in großen Städten, genannt.

Allein in NRW fehlen 2.000 Schulplätze

Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen warten den Angaben zufolge fast 2.000 schulpflichtige Kinder und Jugendliche auf einen Schulplatz. Die Schulpflicht beginnt dort allerdings erst nach einigen Monaten – mit dem Umzug der Familien von den zentralen Unterkünften in die Kommunen. Dort soll sie ein "schulnahes Bildungsangebot", vor allem Sprachunterricht, auf die Schule vorbereiten.

Eine "Erstförderung" in Deutsch erhielten in diesem Schuljahr bisher rund 100.000 Schülerinnen und Schüler in NRW, davon etwa 40.000 aus der Ukraine.

In Sachsen fehlen nach Angaben des Kultusministeriums derzeit Schulplätze für rund 1.400 Kinder – die Wartezeit könne mehrere Monate betragen. Vor allem in Leipzig und Dresden fehlen demnach Plätze in Vorbereitungsklassen – nur knapp die Hälfte der sächsischen Schulen bietet solche an.